OGH 12Os40/15x

OGH12Os40/15x27.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Yunus Ö***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Yunus Ö*****, Memduh Ü***** und Furkan G***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 14. Jänner 2015, GZ 48 Hv 8/14k‑68, sowie über die Beschwerde des Yunus Ö***** gegen einen gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00040.15X.0827.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und über die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Yunus Ö*****, Memduh Ü***** und Furkan G***** jeweils des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./), Yunus Ö***** überdies des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15 Abs 1, 127, 129 Z 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant ‑ Yunus Ö*****, Memduh Ü***** und Furkan G***** am 26. Juli 2013 in G***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Tum K***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem zunächst einer der Angeklagten mit seinem Glied in die Scheide der Genannten eindrang, während die beiden anderen Angeklagten das noch stehende Opfer gegen dessen Widerstand am Körper festhielten, und sodann ‑ nachdem das Opfer infolge der Gewaltausübung am Boden zu liegen gekommen war ‑ ein anderer der Angeklagten sich mit seinem Körpergewicht auf Tum K***** legte und mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang, während die beiden anderen das Opfer festhielten (I./).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, welche ihr Ziel verfehlen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Yunus Ö*****:

Der Angeklagte bekämpft lediglich den Schuldspruch wegen des Verbrechens der Vergewaltigung.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf die Abweisung von Beweisanträgen auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die Zeugin Tum K***** „in Folge ihrer eingestandenen starken Alkoholisierung in ihrer Wahrnehmungs‑ und Erinnerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war“ sowie auf Durchführung eines Ortsaugenscheins, zum Beweis dafür, dass sich der Sachverhalt „aus örtlichen und räumlichen Gründen“ nicht so wie von der Zeugin geschildert zugetragen haben kann (ON 62 S 28 f).

Beide Beweisanträge liefen auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus (RIS‑Justiz RS0118444). Der Nichtigkeitswerber legt nicht dar, warum die Zeugin in Folge ihrer ‑ lediglich leichten (US 10) ‑ Alkoholisierung in ihrer Aussagefähigkeit eingeschränkt gewesen sein sollte, zumal sie durchaus in der Lage war, detaillierte Angaben zum Geschehensablauf zu machen (vgl US 9). Dem Antrag auf Durchführung eines Augenscheins war nicht zu entnehmen, weshalb insoweit zusätzliche, über die in der Hauptverhandlung vorgelegten Lichtbilder (Beilage 1 zu ON 62) vom Tatort hinausgehende Aufschlüsse hinsichtlich der Gegebenheiten am Tatort zu erwarten gewesen wären.

Entgegen dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) schilderte die Zeugin Tum K***** bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung sehr wohl einen von den Angeklagten an ihr gegen ihren Willen durchgeführten Geschlechtsverkehr, wobei sie angab, dabei an den Armen festgehalten worden zu sein (ON 44 S 13, 17, 25 ff).

Soweit die Mängelrüge sich auf Feststellungen bezieht, ob das Opfer zuvor von den Angeklagten in die für Behinderte ausgestattete WC‑Kabine gezerrt wurde und die WC‑Kabine von innen versperrt wurde, spricht sie keine entscheidenden Umstände an ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 399). Das gilt auch für die Frage, „ob und wie die Hose bzw die Unterhosen der Zeugin niedergelassen wurden“.

Betreffend die subjektive Tatseite behauptet der Nichtigkeitswerber eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) und führt aus, die erstgerichtliche Urteilsbegründung bewege sich „auf dem Niveau einer unstatthaften Vermutung zu Lasten der Angeklagten“. Damit verkennt er, dass der Schluss von einem gezeigten Verhalten (welches das Erstgericht aufgrund der für glaubwürdig befundenen Aussage des Opfers feststellte) auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen rechtsstaatlich vertretbar, bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch auch gar nicht zu ersetzen ist (RIS‑Justiz RS0116882).

Indem der Rechtsmittelwerber (ohne Angabe der Aktenseiten; vgl RIS‑Justiz RS0124172) behauptet, den Aussagen der Zeugin wäre „ein definitiv mangelndes Einverständnis nicht zu entnehmen“, mit ihren Angaben könne man die Feststellung „gegen den Willen“ nicht begründen, richtet er sich neuerlich in unzulässiger Weise gegen die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung.

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Indem der Rechtsmittelwerber auf die Alkoholisierung des Opfers während der Tat hinweist und ausführt, diese spreche dafür, dass die Zeugin „enthemmt, kontaktfreudig und aufgrund ihrer euphorischen Stimmung bei geschlechtlichen Handlungen mitgetan hat“, gelingt es jedenfalls nicht, beim Obersten Gerichtshof derartig erhebliche Bedenken zu wecken.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) führt aus, lediglich wenn das Erstgericht festgestellt hätte, dass das Opfer „aufgrund der vorliegenden leichten Alkoholisierung weder enthemmt noch euphorisch, noch kritikschwach war“, hätte „man rechtlich zum Ergebnis gelangen können, dass die Zeugin nicht freiwillig bei geschlechtlichen Handlungen mitwirkte“. Damit verfehlt die Rüge prozessordnungskonforme Ausführung, weil sie sich nicht am festgestellten Sachverhalt orientiert, sondern neuerlich bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft (US 6; RIS‑Justiz RS0099810).

Indem der Rechtsmittelwerber weiters ausführt, den Feststellungen wäre nicht zu entnehmen, „wer nun mit Tum K***** Geschlechtsverkehr haben wollte und wer nur neugierig war und nur zusehen wollte“, lässt er die Feststellungen außer Acht, wonach jeweils zwei der Angeklagten das Opfer festhielten während der Dritte den Geschlechtsverkehr an ihr vollzog (US 6), und orientiert sich neuerlich nicht an dem ‑ den Bezugspunkt der Rechtsrüge bildenden ‑ konstatierten Sachverhalt. Der Angeklagte legt nicht dar, weshalb es erforderlich sein sollte, dass jeder Mittäter das Tatbild zur Gänze verwirklicht, und es nicht genügt, wenn eine wortlautkonforme Ausführungshandlung gesetzt wird (vgl RIS‑Justiz RS0090011).

Warum es für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 201 Abs 1 StGB auf die „Dauer des Eindringens“ und auf die Frage, „wie der Geschlechtsverkehr im Stehen erfolgte“, ankommen sollte, bleibt offen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Memduh Ü*****:

Soweit der Beschwerdeführer sich auf seinen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Ladung und Vernehmung der Zeugin Tum K***** bezieht (Z 4), weil bei der kontradiktorischen Vernehmung seinem „Antrag, sie konkret zu befragen, wie sich der Sachverhalt abgespielt hat“, nicht stattgegeben wurde und die Zeugin „eine Vielzahl von Versionen dargestellt“ habe, legt er nicht dar, warum die Genannte nicht von ihrem Recht auf Aussagebefreiung nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO Gebrauch machen sollte. Im Übrigen läuft die Antragstellung auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus, weil nicht dargelegt wird, warum die Zeugin nunmehr detailliertere Angaben als im Ermittlungsverfahren zu machen in der Lage sein sollte.

Betreffend den Antrag auf Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen (ON 62 S 29) kann auf die Ausführungen zur Nichtigkeitsbeschwerde des Yunus Ö***** (dessen Antrag sich der Rechtsmittelwerber in der Hauptverhandlung angeschlossen hatte) verwiesen werden.

Entgegen dem Vorwurf der Mängelrüge (Z 5) haben sich die Tatrichter mit den Widersprüchen in den Angaben der Zeugin Tum K***** sehr wohl auseinandergesetzt (US 9 f), weshalb von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht die Rede sein kann. Das erkennende Gericht ist weder dazu verhalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen in extenso zu erörtern und daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, noch muss es sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinander setzen. Es genügt vielmehr, wenn das Gericht im Urteil in gedrängter Form (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und schlüssig und zureichend begründet, warum es von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS‑Justiz RS0098778 [T6, T7]).

Die Ausführungen der Tatsachenrüge (Z 5a) beschränken sich darauf, die Einschätzung des Schöffengerichts betreffend die Glaubwürdigkeit der Angaben des Opfers unter Hinweis auf Widersprüchlichkeiten in deren Aussagen in Frage zu stellen. Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher ist aber der Anfechtung mit Mängelrüge und mit Tatsachenrüge entzogen (RIS‑Justiz RS0106588 [T8, T9]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Furkan G*****:

Die leugnende Verantwortung der drei Angeklagten hat das Erstgericht entgegen dem diesbezüglichen Vorwurf der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) sehr wohl berücksichtigt (US 11 ff). Die Tatrichter waren jedoch nicht verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Satz aus der Verantwortung der Angeklagten im Detail auseinanderzusetzen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO).

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) des Angeklagten auf die widersprüchlichen Angaben der Zeugin Tum K***** verweist, welche ursprünglich in Abrede gestellt hatte, dass es zum Geschlechtsverkehr mit einem der Angeklagten gekommen war, und später bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung angegeben hätte, dass sie nicht glaube, den Jugendlichen mitgeteilt zu haben, keinen Geschlechtsverkehr zu wollen, bekämpft sie bloß die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung. Mit den Angaben des Opfers haben sich die Tatrichter ‑ wie bereits erwähnt ‑ ausreichend auseinandergesetzt (US 9; vgl Z 5 zweiter Fall). Ebenso bloß nach Art einer Schuldberufung gegen die Beweiswürdigung richten sich die weiteren Ausführungen, es wäre „in einer solchen Ausnahmesituation lebensfremd anzunehmen, dass das Opfer selbst im Falle einer … leichten Alkoholisierung keinerlei Angaben über die Anzahl der Täter bei den jeweiligen Tathandlungen machen kann“.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen und der Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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