European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00051.15D.0827.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die vom Kläger begehrte Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schmerzengeldansprüche sowie Verdienstentgang, die auf das Fehlverhalten (von Organen) der Beklagten im gegen ihn geführten gerichtlichen Finanzstrafverfahren zurückzuführen seien. Dazu brachte er ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz ‑ vor, mit künftigen Schmerzengeld‑ und Verdienstentgangsansprüchen sei zu rechnen. Auslösend für diese Schäden seien die Bewilligung der Hausdurchsuchung (vom 16. 5. 1994), die (am 30. 5. 1994) durchgeführte Beschlagnahme aufgrund der rechtswidrigen Hausdurchsuchung und das Strafurteil eines Landesgerichts vom (richtig) 14. 10. 2002.
Die Vorinstanzen wiesen das Feststellungsbegehren insbesondere wegen Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Der vom Kläger während des Revisionsverfahrens (gestützt auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG) gestellte Antrag, § 6 (Abs 1) Satz 1 AHG insgesamt, in eventu dessen letzten Halbsatz, in eventu dessen Wortfolge „verjähren in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist“, als verfassungswidrig aufzuheben, wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 3. 7. 2015, G 114/2015, zurückgewiesen.
2. Nach § 6 Abs 1 Satz 1 AHG verjähren Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 leg cit in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist. Diese Frist wird dann in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten neben dem Schaden der gesamte seinen Anspruch begründende Sachverhalt soweit bekannt ist oder zumutbarerweise bekannt sein muss, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (RIS‑Justiz RS0034512 [T9]). Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt nicht vor dem tatsächlichen Schadenseintritt. Mit dessen positiver Kenntnis beginnt sie aber auch schon dann zu laufen, wenn der Geschädigte die Schadenshöhe noch nicht beziffern kann, ihm noch nicht alle Schadensfolgen bekannt sind oder diese auch noch nicht zur Gänze eingetreten sind (RIS‑Justiz RS0034512 [T4]; RS0050338). Die schon eingetretene und die aus demselben Schadensereignis voraussehbaren künftigen Schäden (Teil‑[folge‑]schäden) bilden verjährungsrechtlich eine Einheit. Diese Folgeschäden lösen verjährungsrechtlich keinen gesonderten Fristenlauf aus. Der drohenden Verjährung des Ersatzanspruchs für solche Folgeschäden ist mit einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist zu begegnen (RIS‑Justiz RS0087613).
Die Vorinstanzen wiesen gestützt auf diese Rechtsprechung das Feststellungsbegehren des Klägers infolge Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Satz 1 AHG ab. Der Kläger stellt nicht in Frage, dass „es eine derartige Rechtsprechung der Amtshaftungsgerichte gibt“, erachtet diese aber als unvereinbar mit dem Unionsrecht und im Widerspruch zur Verfassung.
3. Abgesehen davon, dass er nicht die Haftung der Beklagten für Schäden begehrt, die ihm durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden, bleibt im Unionsrecht ungeregelt, wann Staatshaftungsansprüche verjähren (VfGH A 30/04 = VfSlg 17576; A 21/05 = VfSlg 17877).
Der EuGH betonte in seiner Entscheidung vom 24. 3. 2009 (Danske Slagterier, C‑445/06, ECLI:EU:C:2009:178, Rn 31 ff unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung; vgl dazu auch 1 Ob 286/03w) seine Grundsätze zur Staats‑ und Amtshaftung im Zusammenhang mit dem Effektivitätsgrundsatz, wonach es mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten sei, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Der Staat habe daher die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im Schadenersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürften als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürften, dass sie es praktisch unmöglich machten oder übermäßig erschwerten, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität). Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung liege im Interesse der Rechtssicherheit und sei mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wobei eine nationale Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen sei (ebenso EuGH 15. 4. 2010, Barth, C‑542/08, ECLI:EU:C:2010:193, Rn 28).
Wenn der EuGH in der erstgenannten Entscheidung (Rn 56) zudem ausführt, das Gemeinschaftsrecht verwehre es auch nicht, die Verjährungsfrist für einen Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie zu dem Zeitpunkt in Lauf zu setzen, in dem die ersten Schadensfolgen (im zu beurteilenden Fall: der fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie) eingetreten und weitere Schadensfolgen absehbar seien, selbst wenn dieser Zeitpunkt vor der ordnungsgemäßen Umsetzung dieser Richtlinie liege, ist aus europarechtlicher Sicht der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist in § 6 Abs 1 AHG mit der Entstehung (= Wirksamkeit) des Schadens und dessen Kenntnis als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar anzusehen (1 Ob 107/15i).
Auch der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) (A 30/04 = VfSlg 17576; A 21/05 = VfSlg 17877; A 3/09 = VfSlg 18889) berechnet den Beginn der Verjährungsfrist für Staatshaftungsklagen entsprechend den Bestimmungen des AHG und führt dazu aus, eine dreijährige Verjährungsfrist mache die Geltendmachung einer Entschädigung nicht praktisch unmöglich und erschwere sie auch nicht übermäßig. Eine dreijährige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche aus Staatshaftung entsprechend jener des AHG widerspreche auch nicht dem Gemeinschaftsrecht.
Der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zu den vom Kläger formulierten Fragen bedarf es daher nicht.
4. Die vom Kläger als „absurd“ bezeichnete „gemäßigte Einheitstheorie“, wonach die dreijährige Verjährungsfrist auch für künftige vorhersehbare Teil‑(folge‑)schäden mit dem Eintritt des ersten Schadens (Primärschadens) zu laufen beginnt, gilt auch für die allgemeine Verjährungsregel des § 1489 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0034366 [T9]; RS0034711 [T3, T5]; RS0097976 uva). Worin eine gleichheitswidrige Verkürzung der dreijährigen Verjährungsfrist im Amtshaftungsverfahren im Vergleich zum „normalen sonstigen Rechtsleben“ liegen soll, wird nicht aufgezeigt. Der Kläger behauptet zwar einen Verstoß gegen den die Gesetzgebung und Vollziehung gleichermaßen bindenden Gleichheitsgrundsatz (Art 7 Abs 1 B‑VG; Art 2 StGG), vermag aber nicht darzulegen, inwiefern die Rechtsprechung zu § 6 Abs 1 Satz 1 AHG diesem Gebot nicht entsprechen soll.
5. Er begründete die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schmerzengeld‑ und Verdienstentgangsansprüche mit der im Jahr 1994 durchgeführten Hausdurchsuchung und Beschlagnahme sowie dem Schuldspruch im Urteil vom 14. 10. 2002, das nachfolgend über seine Nichtigkeitsbeschwerde mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 11. 9. 2003 im Schuld‑ und Strafausspruch aufgehoben wurde. Die geltend gemachten Schäden sind bereits während des Strafverfahrens und unabhängig von dessen Ausgang entstanden. Der spätere Freispruch klärte nicht die Frage des beanstandeten rechtswidrigen Handelns der Organe der Beklagten. Es ist daher ein nicht korrekturbedürftiges Ergebnis ihrer rechtlichen Beurteilung, wenn die Vorinstanzen entschieden, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 AHG für die Erhebung des Feststellungsbegehrens (jedenfalls) im Zeitpunkt der Klagseinbringung am 12. 11. 2007 bereits abgelaufen gewesen sei.
Darauf, ob hinsichtlich der im Jahr 1994 durchgeführten Hausdurchsuchung und Beschlagnahme auch die zehnjährige Verjährungsfrist (§ 6 Abs 1 Satz 2 AHG) abgelaufen wäre, kommt es nicht mehr an.
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