European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00107.15I.0708.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
Der Kläger ist Facharzt für ***** mit einer eigenen Ordination. Aufgrund der Anzeige einer ehemaligen Patientin wurde gegen ihn wegen des Verdachts der Vergehen nach § 88 Abs 4, erster Fall StGB und § 212 Abs 2 Z 1, § 218 StGB ein Ermittlungsverfahren und infolge eines Medienberichts vom Amt der Salzburger Landesregierung ein Verfahren wegen der vorläufigen Untersagung der Berufsausübung gemäß § 62 Abs 1 Z 2 ÄrzteG eingeleitet. Mit Bescheid vom 15. 4. 2010 untersagte die Landeshauptfrau dem Kläger vorläufig die Ausübung des ärztlichen Berufs bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Landesgericht Salzburg unter dem Aktenzeichen 27 Hr 109/09a gegen ihn wegen des Verdachts der Begehung strafbarer Handlungen gemäß §§ 212, 218, 88 StGB eingeleiteten Strafverfahrens und sprach gleichzeitig aus, dass einer rechtzeitig eingebrachten Berufung keine aufschiebende Wirkung zukomme.
Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte das gegen den Kläger wegen des Verdachts der Vergehen nach § 212 Abs 2 Z 1, § 218 Abs 1 StGB zum Nachteil zweier Patientinnen geführte Verfahren gemäß § 190 Z 2 StPO am 19. 3. 2010 ein, wovon dieser mit Note vom 22. 3. 2010 verständigt wurde. Ebenso wurde ein zwischenzeitig geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts strafbarer Handlungen zum Nachteil neun weiterer Patientinnen zum Teil wegen Verjährung und zum Teil wegen Auslandstaten eines Ausländers gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt, und das nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB geführte Verfahren an den zuständigen Bezirksanwalt abgetreten. Von der Abweisung des Fortführungsantrags der anzeigenden ehemaligen Patientin mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 24. 6. 2010 war der Kläger zumindest mit 8. 7. 2010 in Kenntnis. Am 8. 11. 2010 wurde auch das wegen § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB bei der Bezirksanwaltschaft des Bezirksgerichts Salzburg zu 56 BAZ 136/10d geführte Verfahren nach Einholung und Ergänzung eines Gutachtens gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt. Die Benachrichtigung darüber wurde dem Rechtsvertreter des Klägers am 12. 11. 2010 zugestellt.
Der Bundesminister für Gesundheit stellte mit Bescheid vom 29. 11. 2010 das Verfahren über die Berufung des Klägers mit sofortiger Wirkung ein, weil durch die Einstellung des von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens der Grund für die vorläufige Untersagung der Berufsausübung weggefallen und der Bescheid gegenstandslos geworden sei. In der Begründung hielt er fest, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheids die Voraussetzungen gemäß § 62 Abs 1 Z 2 ÄrzteG gegeben gewesen seien und es sich bei den zur Last gelegten Verstößen nach §§ 212, 218 und 88 StGB um grobe Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufs gehandelt habe. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Klägers am 15. 12. 2010 zugestellt. Das Aufforderungsschreiben des Klägers gemäß § 8 AHG langte bei der Finanzprokuratur am 14. 11. 2013 ein und wurde von dieser ‑ ablehnend ‑ mit Schreiben vom 13. 2. 2014, per E‑Mail am selben Tag zugegangen, beantwortet.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung ab und berief sich auf die in § 6 Abs 1 Satz 1 AHG normierte dreijährige Verjährungsfrist. Eingetretene und aufgrund des selben Ereignisses vorhersehbare künftige Teil‑(Folge‑)schäden bildeten verjährungsrechtlich eine Einheit und lösten keinen gesonderten Fristenlauf aus (RIS‑Justiz RS0034618; RS0087613; RS0034372). Gemäß § 62 Abs 1 Z 2 ÄrzteG habe der Landeshauptmann in Wahrung des öffentlichen Wohls und bei Gefahr in Verzug Ärzten die Ausübung des ärztlichen Berufs bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens zu untersagen, wenn ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufs, die mit gerichtlicher Strafe bedroht seien, eingeleitet werde. Angesichts der Verdachtslage ‑ es seien Niederschriften von sechs ehemaligen Patientinnen des Klägers vorgelegen, die sexuelle Belästigungen behaupteten ‑ sei die Verhängung des vorläufigen Berufsverbots gerechtfertigt gewesen. Ob die groben Verfehlungen tatsächlich begangen worden seien, sei im Rahmen des jeweiligen Strafverfahrens festzustellen (VwGH 95/11/0339). Gehe man davon aus, dass der Bescheid allein wegen eines Vergehens nach § 88 StGB nicht erlassen hätte werden dürfen, hätte der Kläger ab der Abweisung des Fortsetzungantrags am 24. 6. 2010 einen Schaden durch Verdienstentgang ab diesem Zeitpunkt zu Grunde legen müssen, weil er bekanntermaßen bereits ab 15. 4. 2010 keine beruflichen Tätigkeiten habe entfalten dürfen. Auch sei sein Rechtsvertreter bereits damals beauftragt gewesen, womit die Verpflichtung zu dessen Bezahlung verbunden gewesen sei, und sei im Verwaltungsverfahren kein Kostenersatz normiert, sodass auch dieser Schaden bereits wirksam entstanden sei. Ebenso sei die Kreditaufnahme erst im September 2011 ein vorhersehbarer Schaden gewesen. Selbst bei großzügiger Betrachtung hätte der Kläger Mitte August 2010 zur Kenntnis nehmen müssen, dass weder über seinen Antrag vom 8. 7. 2010 noch über seine Berufung vom 2. 5. 2010 binnen angemessener Frist, bezogen auf die Bedeutung der Sachen, entschieden worden sei, und so von einer Säumigkeit der Behörden ausgehen müssen. Der Einstellung des Berufungsverfahrens mit 29. 11. 2010 komme damit keine fristauslösende Wirkung zu, sondern greife nur die Ablaufhemmung des § 6 Abs 1 AHG. Damit seien ausgehend von dem erst am 14. 11. 2013 eingelangten Aufforderungsschreiben die Ansprüche des Klägers verjährt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es führte aus, dass auch, wenn der Kläger nicht habe wissen können, wie lange er nach Zustellung des Bescheids vom 15. 4. 2010 an der Ausübung seines Berufs gehindert sein würde und welche finanziellen Nachteile für ihn daraus entstehen würden, diese Fragen sich auf die Schadenshöhe und das Entstehen weiterer Folgeschäden bezögen. Solche Schäden setzten keine neuen Verjährungsfristen in Gang. Sämtlichen im Verwaltungsverfahren denkbaren Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen sei gemeinsam, dass sie nicht geeignet seien, einen schon tatsächlich eingetretenen Schaden, etwa im Bereich des Verdienstentgangs, abzuwenden.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Der Kläger vertritt in der Revision zum Beginn der Verjährungsfrist erneut die Ansicht, es habe sich für ihn definitv erst aus der Zustellung des Bescheids vom 29. 11. 2010 als „contrarius actus“ ergeben, dass die Entscheidung vom 15. 4. 2010 rechtswidrig gewesen sei.
Nicht stichhältig ist dies schon deshalb, weil der Einstellungsbescheid festhielt, zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheids seien die Voraussetzungen gemäß § 62 Abs 1 Z 2 ÄrzteG gegeben gewesen, bei den zur Last gelegten Verstößen nach §§ 212, 218 und 88 StGB habe es sich um grobe Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufs gehandelt. Der Kläger stand dagegen ohnehin immer auf dem Standpunkt, die Verhängung des vorläufigen Berufsverbots sei von Beginn an rechtswidrig gewesen. Dieses wurde zum einen sofort wirksam; ein dadurch entstandener Verdienstentgang sowie die weiteren an den Bescheid anknüpfenden, von ihm geltend gemachten Folgen hätten durch eine etwa von ihm (später) erhoffte Aufhebung des Bescheids nicht mehr beseitigt werden können. Zum anderen endete das Berufsverbot (schon nach dem Spruch des angefochtenen Bescheids) mit der rechtskräftigen Einstellung des Strafverfahrens ‑ also am 8. 11. 2010, wovon der Kläger am 12. 11. 2010 in Kenntnis war. Eines aufhebenden Aktes bedurfte es danach nicht mehr (vgl VwGH 2010/11/0047) ‑ ein „contrarius actus“ ist mit dem Einstellungsbescheid des Bundesministers auch nicht erfolgt.
2. Selbst unter Zugrundelegung seiner ‑ unzutreffenden ‑ Ausführungen (vgl nämlich zum Beginn des Fristenlaufs der dreijährigen Verjährungsfrist und zur Geltung der gemäßigten Einheitstheorie für Teil-[Folge-]Schäden auch im Amtshaftungsverfahren ausführlich die Ausführungen unter C.1. und C.3. in 1 Ob 211/14g mwN) folgte aber für den vorliegenden Fall, dass der Anspruch bei Einbringen der Klage am 20. 3. 2014 verjährt war:
Es wurde nach den ‑ sich auf den Rückschein im Verfahren BMG-92100/0123-I/B/7/2010 beziehenden ‑ Fest-stellungen der Bescheid vom 29. 11. 2010 dem Vertreter des Klägers am 15. 12. 2010 ‑ nicht, wie er meint, am 17. 12. 2010 ‑ zugestellt. Auch auf Basis seiner eigenen Erwägungen hätte damit die dreijährige Verjährungsfrist am 15. 12. 2013 geendet und wäre lediglich in der Zeit von 14. 11. 2013 bis zum Zugang des E‑Mails am 13. 2. 2014 gehemmt gewesen.
Bei der Frist in § 6 Abs 1 Satz 3 AHG handelt es sich um eine Fortlaufhemmung (RIS‑Justiz RS0111778; zuletzt 1 Ob 25/10y; Mader/Janisch in Schwimann , ABGB³ Vor §§ 1494‑1496 Rz 9, Mader aaO § 6 AHG Rz 9; Paar , Die Verjährung von Amtshaftungsansprüchen nach den Bestimmungen des AHG, AnwBl 2014, 662 [666]).
Eine Fortlaufhemmung hindert Beginn oder Weiterlauf der Frist. Nach Wegfall des Hemmungsgrundes muss die ganze Frist bzw der verbliebene Anteil ablaufen ( Mader/Janisch in Schwimann , ABGB³ Vor §§ 1494‑1496 Rz 1; Dehn , KBB 4 § 1494 Rz 1). Der Grundsatz der Geltendmachung in angemessener Frist, greift bei der Fortlaufhemmung also nicht ( Mader/Janisch aaO Rz 9); im Ergebnis geschieht nichts anderes, als dass sich die anwendbare Frist um den Zeitraum der Hemmung verlängert ( Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , ABGB³ Vor §§ 1494‑1496 Rz 3). Neben den Hemmungsvorschriften des AHG kommen zwar grundsätzlich auch die allgemeinen Hemmungs‑ und Unterbrechungsgründe der §§ 1494 ff ABGB zur Anwendung (RIS‑Justiz RS0109755), solche hat der Kläger aber nicht dargetan.
Schließt man an den Zeitraum der Hemmung (auch bei Annahme einer bis 14. 2. 2013 laufenden Maximalfrist von drei Monaten) den noch nicht verstrichenen Zeitraum der Verjährungsfrist (von maximal 32 Tagen) an, war der Anspruch bei Einbringung der Klage am 20. 3. 2014 bereits verjährt.
3. Ausführungen des Klägers dazu, warum die vom Erstgericht seiner Ansicht nach angenommene „Verjährungshürde“ in § 6 Abs 1 AHG (die er in der Wendung „keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung“ in § 6 Abs 1 AHG erblickt, weil das „Schadensereignis“ vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens noch nicht geendet habe, verfassungswidrig oder mit dem Europäischen Unionsrecht unvereinbar wäre, sind daher nicht entscheidungsrelevant, weswegen auch Feststellungen zu einem Wanderungssachverhalt, wonach der Kläger italienischer Staatsbürger sei und sich als solcher nach ausländischer Ausbildung in Österreich niedergelassen habe, nicht erheblich sind.
Der EuGH wiederholte im Übrigen in der Rechtssache Köbler (C‑224/01 = ECLI:EU:C:2003:513, Rn 31 f), dass die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht für alle Staatsgewalten unabhängig davon gelten, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat. Damit kommt es nicht darauf an, ob der schadensverursachende Verstoß dem Gesetzgeber, den Gerichten oder der Verwaltung anzulasten ist.
Er betonte in seiner Entscheidung vom 24. 3. 2009 (Rs C‑445/06 ‑ Danske Slagterier = ECLI:EU:C:2009:178, Rn 31 ff unter Verweis auf seine bisherige Rsp; vgl dazu auch 1 Ob 286/03w) seine Grundsätze zu Staats- und Amtshaftung in Zusammenhang mit dem Effektivitätsgrundsatz, wonach es mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Er erläuterte, es habe daher der Staat die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürften als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürften, dass sie es praktisch unmöglich machten oder übermäßig erschwerten, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität). Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung liege im Interesse der Rechtssicherheit und sei mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wobei eine nationale Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen sei.
Wenn der EuGH in dieser Entscheidung (Rn 56) zudem ausführte, das Gemeinschaftsrecht verwehre es auch nicht, die Verjährungsfrist für einen Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie zu dem Zeitpunkt in Lauf zu setzen, in dem die ersten Schadensfolgen (im zu beurteilenden Fall: der fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie) eingetreten und weitere Schadensfolgen absehbar seien, selbst wenn dieser Zeitpunkt vor der ordnungsgemäßen Umsetzung dieser Richtlinie liege, ist vergleichbar der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist in § 6 Abs 1 AHG mit der Entstehung (= Wirksamkeit) des Schadens und dessen Kenntnis als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar anzusehen.
Hier war aber sogar unter Heranziehung des Ereignisses, das der Kläger selbst als fristauslösend ansieht (der Zustellung des Einstellungsbescheids), die dreijährige Verjährungsfrist vor Klagseinbringung verstrichen.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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