VwGH 95/11/0339

VwGH95/11/033925.6.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde der Dr. B in M, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 20. September 1995, Zl. 207.809/1-II/D/14/94, betreffend vorläufige Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufes, zu Recht erkannt:

Normen

ÄrzteG 1984 §101 Abs1 Z3;
ÄrzteG 1984 §101 Abs1 Z4;
ÄrzteG 1984 §22 Abs1;
ÄrzteG 1984 §22 Abs2;
ÄrzteG 1984 §35 Abs1 Z2;
ÄrzteG 1984 §35 Abs5;
ÄrzteG 1984 §95 Abs1 Z2;
ÄrzteG 1984 §95 Abs2 Z1;
StGB §146;
StGB §297 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1996:1995110339.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin, einer in Wien niedergelassenen Ärztin für Allgemeinmedizin, gemäß § 35 Abs. 1 Z. 2 des Ärztegesetzes 1984, BGBl. Nr. 373, die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum rechtskräftigen Abschluß eines der Geschäftszahl nach bestimmten beim Magistrat der Stadt Wien (MBA für den 10. Bezirk) anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens und eines ebenfalls der Geschäftszahl nach bestimmten beim Landesgericht für Strafsachen Wien anhängigen Strafverfahrens untersagt.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 4. März 1996, B 3364/95, die Behandlung einer gegen den angefochtenen Bescheid an ihn gerichteten Parallelbeschwerde abgelehnt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst ist die Beschwerdeführerin auf das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1995, Zl. 95/11/0333, hinzuweisen. Mit diesem Erkenntnis war ihre Beschwerde gegen einen Bescheid der belangten Behörde vom selben Tag wie der angefochtene, betreffend Zurückweisung der Berufung gegen einen im wesentlichen inhaltlich übereinstimmenden Untersagungsbescheid des Landeshauptmannes von Wien, als unbegründet abgewiesen worden. Aus den Entscheidungsgründen dieses Erkenntnisses ergibt sich, daß das gegen den angefochtenen Bescheid gerichtete Beschwerdevorbringen, soweit es sich auf die Tatsache bezieht, daß zwei erstinstanzliche Bescheide des Landeshauptmannes von Wien (vom 16. März und vom 14. April 1995) der Beschwerdeführerin die Berufsausübung untersagt hatte, unbegründet ist, weil ihr der Bescheid vom 16. März 1995 nicht rechtswirksam zugestellt wurde (sodaß die dagegen erhobene Berufung zu Recht zurückgewiesen wurde).

2. Gemäß § 35 Abs. 1 Z. 2 ÄrzteG hat der Landeshauptmann in Wahrung des öffentlichen Wohles und bei Gefahr in Verzug Ärzten die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum rechtskräftigen Abschluß eines Verfahrens über die Bestellung eines Sachwalters nach § 273 ABGB oder eines Strafverfahrens zu untersagen, wenn gegen sie von Amts wegen ein Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach § 273 ABGB oder ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes, die mit gerichtlicher oder Verwaltungsstrafe bedroht sind, eingeleitet worden ist.

3. Die beiden im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Strafverfahren betreffen folgende gegen die Beschwerdeführerin erhobene Vorwürfe:

Das Verwaltungsstrafverfahren betrifft die Anschuldigung, die Beschwerdeführerin habe gegen § 22 Abs. 1 und 2 ÄrzteG verstoßen, indem sie ihre beiden Ordinationsgehilfinnen mit der eigenständigen Durchführung von Ärzten vorbehaltenen Tätigkeiten betraut habe.

Das gerichtliche Strafverfahren betrifft die Vorwürfe des Betruges (§ 146 StGB) im Zusammenhang mit der Ausstellung von Rezepten und der Verleumdung von Hilfspersonen (§ 297 Abs. 1 StGB).

Die Voraussetzung der von der belangten Behörde angewendeten Gesetzesbestimmung, daß ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes eingeleitet wurde, ist damit - jedenfalls in Ansehung des Verwaltungsstrafverfahrens und des gerichtlichen Strafverfahrens wegen Betruges - erfüllt.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kommt es in einem Verfahren betreffend vorläufige Untersagung der ärztlichen Berufsausübung nicht darauf an, ob die groben Verfehlungen tatsächlich begangen wurden. Dies festzustellen ist Sache der jeweiligen Strafverfahren. Die Anhängigkeit der Strafverfahren wird von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Die von ihr in diesem Zusammenhang gerügten Verfahrensmängel - insbesondere die behauptete Verletzung des Parteiengehörs - betreffen das Vorliegen der groben Verfehlungen. Das in der Beschwerde hervorgehobene "amtsärztliche Gutachten" (der MA 15 vom 3. März 1995) betrifft die Frage, ob die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Handlungsweisen Verstöße gegen die ärztlichen Berufspflichten darstellen. Es war im übrigen im erstinstanzlichen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 14. April 1995 vollinhaltlich wiedergegeben, sodaß von einer Verletzung des Parteiengehörs keine Rede sein kann.

Es spielt im gegenständlichen Zusammenhang auch keine Rolle, daß die beiden Ordinationsgehilfinnen, die der Beschwerdeführerin als Ärztin vorbehaltene Tätigkeiten ausgeübt haben sollen, von ihr angeblich nicht mehr beschäftigt werden. Ebenso unerheblich ist es, daß der Beschwerdeführerin durch die bekämpfte Maßnahme ein wirtschaftlicher Schaden entsteht, sowie daß der Vertrag der Beschwerdeführerin mit der zuständigen Gebietskrankenkasse einvernehmlich beendet wurde; vor allem in letzterem Umstand kann kein für die Behörde bestehendes Hindernis gesehen werden, die Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Z. 2 ÄrzteG - nämlich der Wahrung des öffentlichen Interesses und der Gefahr im Verzug - als gegeben anzusehen. Das Motiv der Beendigung eines Vertrages mit einem untreuen Vertragspartner ist nicht ident mit der Aufgabe der Behörde im Sinne des § 35 ÄrzteG, solche Ärzte, bei denen Verdachtsgründe gegeben sind, daß sie zur Ausübung des ärztlichen Berufes nicht in der Lage sind oder daß sie dabei durch grobe Verfehlungen strafbare Handlungen begehen, bis zur Beendigung der bereits anhängigen Verfahren, in denen diese Umstände geklärt werden, bei Gefahr im Verzug zum Schutz der Allgemeinheit von der Ausübung des ärztlichen Berufes auszuschließen. Selbst wenn durch inzwischen eingetretene Sachverhaltsänderungen, wie die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse zu den Ordinationshilfen und des Vertrages mit der Gebietskrankenkasse keine unmittelbare Wiederholungsgefahr mehr bestehen sollte, lastet auf der Beschwerdeführerin der zu klärende Verdacht, sie habe bei ihrer Berufsausübung (verschiedenartige) strafbare Handlungen begangen, und damit die Gefahr, sie könne bei Fortsetzung der Berufsausübung (auch weiterhin) grobe Verfehlungen von strafrechtlicher Relevanz begehen.

Im übrigen kann nach der Aktenlage - insbesondere nach Inhalt und Umfang der Ergebnisse der von der Wiener Gebietskrankenkasse angestellten Ermittlungen - keineswegs gesagt werden, der auf der Beschwerdeführerin lastende Verdacht, der zur Einleitung der Strafverfahren geführt hat, sei dermaßen gering, daß trotz Anhängigkeit der Strafverfahren von einer vorläufigen Untersagung der Berufsausübung aus Gründen des öffentlichen Wohles abgesehen werden könnte, wobei sich die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Fehlverhalten über einen längeren Zeitraum erstreckt und aus zahlreichen Einzelhandlungen bestanden haben dürften.

Daran vermag selbst die Einstellung des Ordinationsbetriebes der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, da dieser jederzeit - eventuell an einem anderen Ort - wieder aufgenommen werden könnte. Das ÄrzteG sieht im übrigen eine freiwillige Verpflichtung zur vorübergehenden Enthaltung von der ärztlichen Berufsausübung nicht vor. Zum Unterscheid vom endgültigen Verzicht auf die Berufsausübung, der gemäß § 32 Abs. 1 Z. 6 in Verbindung mit § 33 ÄrzteG zum Erlöschen der Berufsausübungsberechtigung führt, hätte eine solche Erklärung keine rechtlich bindende Bedeutung und würde den angestrebten - im öffentlichen Interesse gelegenen - Sicherungszweck nicht erfüllen.

Wenn die Beschwerdeführerin schließlich vermeint, die Anhängigkeit der in Rede stehenden Strafverfahren dürfte niemals zur vorläufigen Untersagung der Berufsausübung führen, weil "derartige Verfahren nicht einmal zu einer endgültigen Streichung aus der Ärzteliste führen" könnten, so ist sie insofern im Recht, als die Anhängigkeit von Verfahren wegen strafbarer Handlungen, hinsichtlich derer auch ein Schuldspruch in letzter Konsequenz nicht zur befristeten Untersagung der Berufsausübung oder zur Streichung aus der Ärzteliste führen könnte, eine vorläufige Untersagung der Berufsausübung nicht rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführerin übersieht aber, daß die Begehung strafbarer Handlungen bei Ausübung des ärztliches Berufes Disziplinarvergehen darstellen können, die gemäß § 101 Abs. 1 Z. 3 und 4 ÄrzteG die genannten Folgen nach sich ziehen können. Im gegenständlichen Zusammenhang kommen insbesondere die Verletzung von Berufspflichten (§ 95 Abs. 1 Z. 2 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 und 2 ÄrzteG) und Disziplinarvergehen im Sinne des § 95 Abs. 2 Z. 1 ÄrzteG in Betracht.

Die Anhörung der Ärztekammer nach § 35 Abs. 5 ÄrzteG hat keine bindende Wirkung. Wenn daher die Österreichische Ärztekammer in ihrer Stellungnahme vom 15. März 1995 im Hinblick auf das damals noch nicht abgeschlossene Kündigungsverfahren betreffend den Vertrag der Beschwerdeführerin mit der Wiener Gebietskrankenkasse und ein bereits anhängiges "standesrechtliches Verfahren" sowie die von der Beschwerdeführerin bekundete Absicht, ihre "Praxis sicher einzustellen", keine Notwendigkeit erblickt hat, eine Maßnahme nach § 35 ÄrzteG zu setzen, so belastet es den angefochtenen Bescheid nicht mit einer zu seiner Aufhebung führenden Rechtswidrigkeit, wenn der Bescheid in seiner Begründung auf diese Stellungnahme nicht eingeht, sondern wenn von der belangten Behörde dessen ungeachtet die Notwendigkeit der vorläufigen Untersagung der Berufsausübung bejaht wurde, weil es nicht schlüssig ist, bei Annahme der in Rede stehenden Verfehlungen der Beschwerdeführerin der Anhängigkeit der genannten Verfahren eine für die Aufrechterhaltung der Berufsausübung sprechende Relevanz zuzumessen; die in Rede stehende Absichtsbekundung ist im übrigen völlig unverbindlich und folglich unbeachtlich.

Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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