OGH 4Ob30/15p

OGH4Ob30/15p11.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** B.V., *****, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Rechnungslegung (Streitwert 112.000,00 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2014, GZ 2 R 172/14y‑171, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 12. August 2014, GZ 5 Cg 206/04w‑168, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00030.15P.0811.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und die neuerliche Entscheidung über die Berufung nach Ergänzung des Berufungsverfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Begründung

Die Klägerin macht mit Klage vom 16. Juli 2004 als Rechtsnachfolgerin des ursprünglich berechtigten Staatsbetriebs der Sowjetunion Unterlassungs‑, Beseitigungs‑, Rechnungslegungs‑ und Urteilsveröffentlichungsansprüche aus zwei österreichischen Marken für alkoholische Getränke aufgrund von in Österreich gesetzter Benützungs‑ und Verletzungshandlungen der Beklagten geltend. Sie bringt im Wesentlichen vor, der ihre Rechtsvorgängerin betreffende Privatisierungsvorgang in den Jahren 1990 und 1991 habe aufgrund verschiedener Mängel, insbesondere auch wegen unterbliebener Bewertung des Unternehmensvermögens durch eine Bewertungskommission gemäß den damals in Geltung stehenden russischen Rechtsvorschriften, zu keiner wirksamen Umwandlung ihrer Rechtsvorgängerin in die Rechtsvorgängerin der Beklagten geführt. Letztere sei vielmehr neu gegründet worden, ohne Rechtsnachfolgerin des ursprünglichen Staatsbetriebs zu werden. Damit sei die materielle Berechtigung aus den beiden österreichischen Marken bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin verblieben. Unter anderem berief sich die Klägerin auch darauf, dass in einem der Rechtsvorgängerin der Klägerin zustehenden Benelux‑Marken betreffenden Verfahren gegen die Beklagte von niederländischen Gerichten bereits die Rechtsunwirksamkeit des Privatisierungsvorgangs, insbesondere die behauptete Gesamtrechtsnachfolge von der Rechtsvorgängerin der Klägerin auf die Rechtsvorgängerin der Beklagten festgestellt worden sei.

Die Beklagte wendete ein, aufgrund zunächst Gesamtrechtsnachfolge und nachfolgend rechtsgeschäftlicher Markenrechtsübertragung Inhaberin der in Anspruch genommenen österreichischen Marken geworden und im Übrigen als solche auch im Markenregister eingetragen zu sein. Die Klägerin sei nicht mehr aktivlegitimiert, allfällige Mängel des Privatisierungsvorgangs geltend zu machen, eine Wahrnehmung solcher Mängel sei infolge eingetretener Verjährung nicht mehr möglich.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zu der vom Berufungsgericht ausschließlich behandelten und nunmehr den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Verjährungsfrage stellte das Erstgericht folgenden Sachverhalt fest:

Am 5. September 1991 fand die eigentliche Gründungsversammlung (Gründungskonferenz) jenes Unternehmens statt, dessen Gründung nach dem Standpunkt der Klägerin nach den in Russland damals in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften ungültig gewesen sein soll. Die Satzung wurde am 4. Oktober 1991 vom Stellvertreter des Ministers für außenwirtschaftliche Beziehungen der UdSSR bestätigt, indem er am ersten Blatt den Vermerk „vereinbart“ anbrachte. Mit Schreiben vom 25. Dezember 1991 an den Vorsitzenden der Registerkammer Moskau (dort eingelangt am 13. Jänner 1992) stellte dieses neugegründete Unternehmen einen mit 13. Jänner 1992 datierten Antrag auf seine Registrierung. Mit Bestätigung vom 20. Jänner 1992 wurde das Unternehmen in das Moskauer Handelsregister eingetragen. Am 14. April 1992 bestätigte das Ministerium für außenwirtschaftliche Beziehungen Russlands, dass das Unternehmen in das staatliche Register der Teilnehmer an den außenwirtschaftlichen Beziehungen Russlands eingetragen worden sei und Export‑Import‑Geschäfte entsprechend dem auf der Registerkarte angegebenen Warenverzeichnis durchführe. Am 24. Juni 1992 wurde das Unternehmen im staatlichen russischen Register der Aktiengesellschaften eingetragen.

Am 19. April 1994 beantragte das Unternehmen beim österreichischen Patentamt, eine Änderung des Namens der Inhaberin der hier gegenständlichen Marken im Markenregister ersichtlich zu machen. Die Richtigstellung erfolgte mit Beschluss vom 8. Juni 1994.

Beginnend mit dem Jahr 2000 wurden in der Russischen Föderation Maßnahmen zur „Wiedereingliederung“ privatisierten Staatseigentums in die Wege geleitet. Aufgrund einer im November 2000 vom stellvertretenden Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation „zum Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Interessen“ eingebrachten Klage gegen das privatisierte Unternehmen wurde ein Verfahren vor dem Schiedsgericht der Stadt Moskau eingeleitet, in dem es um die Gültigkeit der Satzungsbestimmung ging, wonach sie Rechtsnachfolgerin des ursprünglichen Staatsbetriebs (Markeninhaberin) ist. Das Schiedsgericht der Stadt Moskau erklärte die Rechtsnachfolgeklausel mit Urteil vom 21. Dezember 2000 für ungültig. Das Präsidium des Obersten Schiedsgerichts der Russischen Föderation bestätigte mit Beschluss vom 16. Oktober 2001 nach zwischenzeitigem Aufhebungs-beschluss der Zwischeninstanz dieses Urteil. Da das privatisierte Unternehmen durch Neugründung und nicht durch Umwandlung entstanden sei, sei die Schlussfolgerung des erstinstanzlichen Gerichts korrekt, dass die Satzungsbestimmung dieser Gesellschaft, nach der sie Rechtsnachfolgerin des Staatsbetriebs sei, ungültig sei.

Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht, dass die nach russischem Recht zu beurteilende Frage, ob Mängel des Privatisierungsverfahrens und daraus abgeleitete Nichtigkeiten der Gesellschaftsgründung bzw der Unwirksamkeit der angestrebten Gesamtrechtsnachfolge, für die das russische Recht ‑ nach zwischenzeitigen Änderungen ‑ eine zehnjährige Verjährungsfrist vorsehe, dahin zu beantworten sei, dass die Verjährungsfrist erst mit Eintragung der Gesellschaft und damit ihrer Entstehung nach russischem Recht zu laufen beginne (20. Jänner 1992), weshalb die zehnjährige Verjährungsfrist bei Klageführung des russischen Generalstaatsanwalts im November 2000 auf Nichtig‑ oder Unwirksamerklärung der Satzungsbestimmung noch nicht abgelaufen gewesen sei. Diese Rechtsansicht werde hier übernommen.

Das Berufungsgericht wies sämtliche auf die Berechtigung aus den österreichischen Marken gestützten Ansprüche gegen die Beklagte ab; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sei, einen Beitrag zur Auslegung oder gar Fortbildung ausländischen Rechts zu leisten.

Das Berufungsgericht ging entgegen dem ‑ vom Erstgericht noch geteilten ‑ Standpunkt der Klägerin davon aus, dass die Beklagte zunächst aufgrund von Gesamtrechtsnachfolge nach der Rechtsvorgängerin der Klägerin und in weiterer Folge durch Einzelrechtsübertragung Inhaberin der österreichischen Marken geworden sei, von denen die Klägerin behauptet, (nach wie vor) Inhaberin zu sein. Die in diesem Verfahren strittige Frage der Gesamtrechtsnachfolge im Zuge der „Transformation“ des ursprünglichen Staatsbetriebs in eine Handelsgesellschaft des Privatrechts sei nach dem Personalstatut der beteiligten Gesellschaften, also nach russischem Recht, zu beurteilen. Nach diesem Recht sei auch die aufgrund des entsprechenden Einwands der Beklagten zu prüfende Frage zu lösen, ob die sich auf eine Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Umwandlung stützende Klage verjährt sei. Die Verjährung unterliege im internationalen Privatrecht demselben Statut wie das Schuldverhältnis. Das russische Verjährungsrecht sehe vor, dass die Unwirksamkeit oder Nichtigkeit von Rechtsgeschäften (einschließlich eines Privatisierungsvorgangs) zehn Jahre ab Erfüllung des Rechtsgeschäfts (hier: Umwandlung mit Gesamtrechtsnachfolge) geltend gemacht werden könne. Da der Antrag auf Registrierung des Umwandlungsvorgangs am 13. Jänner 1992 bei der zuständigen Moskauer Behörde eingelangt sei und selbst die Disposition über die österreichischen Marken schon am 19. April 1994 (Umschreibungsantrag beim Österreichischen Patentamt) vorgenommen worden sei, seien die hier erst am 16. Juli 2004 erhobenen Ansprüche, die (auch) auf der Geltendmachung der Nichtigkeit der „Transformation“ (= Gesamtrechtsnachfolge im Markenrecht) beruhten, verjährt. Daran ändere auch die russische Gerichtsentscheidung nichts, wonach die Gesamtrechtsnachfolgeklausel in der Satzung der transformierten oder neugegründeten Nachfolgegesellschaft für ungültig erklärt worden sei. Diese Entscheidung habe keinen fristunterbrechenden oder fristhemmenden Einfluss auf die Verjährung des Rechts, in diesem Verfahren die Nichtigkeit der Gesamtrechtsnachfolge geltend zu machen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie ihre markenrechtlichen Ansprüche weiter verfolgt, ist zulässig und im Sinn des von der Klägerin hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Richtig ist, dass auf die strittigen Ansprüche aus österreichischen Marken nach dem Schutzlandprinzip des Internationalen Immaterialgüterrechts österreichisches Recht anzuwenden ist; dies ergibt sich sowohl aus § 34 IPRG als auch aus Art 8 Rom II‑VO (4 Ob 12/11k, Hobas‑Rohre, mwN). Die Frage, welche dieser Bestimmungen im konkreten Fall anzuwenden ist, kann daher ‑ ebenso wie in 4 Ob 12/11k ‑ offen bleiben. Ebenso ist nach österreichischem Recht zu beurteilen, wer erster Inhaber der Markenrechte war (vgl 4 Ob 184/13g zum entsprechenden Problem im Urheberrecht).

Die hier strittige Frage der Gesamtrechtsnachfolge betreffend die von der Klägerin als Anspruchsgrundlage herangezogenen österreichischen Marken im Zusammenhang mit der „Transformation“ der Rechtsvorgängerin der Klägerin in die Rechtsvorgängerin der Beklagten sind aber nach dem Personalstatut dieser juristischen Personen zu beurteilen (§ 10 IPRG). Dem Sitzrecht unterliegen alle Fragen, die das Leben der juristischen Person oder Gesellschaft begleiten, namentlich die Bereiche der inneren und äußeren Organisation. Das umfasst die Regelung von Satzung und Satzungsänderung, der Organe und ihrer Rechtsstellung im Innen‑ und Außenverhältnis. Dem Sitzrecht unterliegen alle Fragen, welche die Rechts‑ und Handlungsfähigkeit betreffen, und auch alle Fragen der wirksamen Formwandlung, der Verschmelzung und der gesellschaftsrechtlich relevanten Vermögensübertragung (9 Ob 68/13k; RIS‑Justiz RS0077038, RS0077060). Der in diesem Zusammenhang von der Revisionswerberin gerügte Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist daher nicht nachvollziehbar. Da diese Fragen vom Anwendungsbereich der Rom II‑VO ausgenommen sind (Art 1 Abs 2 lit d Rom II‑VO), ist die Anwendung von § 10 IPRG auch unionsrechtlich unbedenklich.

2. Zur Beurteilung der in diesem Verfahren strittigen Gesamtrechtsnachfolge gehört auch die Frage, ob eine allfällige Nichtigkeit der Umgründung/Vermögensübertragung von demjenigen, der sich darauf beruft, unbefristet geltend gemacht werden kann oder dieser Einwand allenfalls befristet (verjährt) ist. Die Verjährung ist nach den Gesetzen zu beurteilen, die für das Rechtsverhältnis selbst maßgebend sind (RIS‑Justiz RS0045171; vgl RS0045380, RS0045382). Die allenfalls befristete Geltendmachung der Nichtigkeit des die Gesamtrechtsnachfolge bewirkenden Rechtsgeschäfts hat daher nichts mit der allfälligen Verjährung der aufgrund einer Markenrechtsverletzung nach §§ 51 ff MSchG erhobenen Ansprüche zu tun, die im Fall österreichischer Marken bei behaupteten Benützungs‑ oder Verletzungshandlungen im Inland nach österreichischem Recht zu beurteilen ist.

Der Oberste Gerichtshof folgt dem Grundsatz, den Inhalt der Verweisung im Sinn einer teleologisch‑funktionellen Qualifikation zu bestimmen (4 Ob 226/02t mwN; 1 Ob 295/96m; vgl BGH VIII ZR 109/59 = NJW 1960, 1720 f), weshalb es nicht darauf ankommt, ob das russische Verjährungsrecht die Frage der zeitlichen Beschränkung der Rechtsverfolgung dem Prozessrecht zuordnet, indem es das aktive Klagerecht beschränkt, oder die privatrechtlichen Ansprüche selbst beschränkt werden (verjähren).

Die rechtlichen Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts, das aus der zeitlichen Beschränkung für die Geltendmachung der Ansprüche infolge Unwirksamkeit/Nichtigkeit nach russischem Recht ableitet, dass nach Ablauf der hiefür vorgesehenen Frist (hier im für die Klägerin günstigsten Fall zehn Jahre) die Nichtigkeit der „Transformation“, die die Gesamtrechtsnachfolge bewirken soll, nicht mehr geltend gemacht werden kann, ist daher nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die aufgrund der eingeholten Rechtsgutachten vorgenommene Beurteilung der russischen Rechtslage zur Frage, ob die innerhalb der zehnjährigen Frist erfolgte und daher erfolgreiche Geltendmachung der Nichtigkeit der „Transformation“ in einem russischen Verfahren dazu führte, dass gleichartige Umstände auch in dem hier zu prüfenden Fall eingewendet werden können, obwohl hier die Zehn‑Jahres‑Frist bei Klageeinbringung bereits abgelaufen war.

Gemäß § 3 IPRG ist fremdes Recht von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Es kommt in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis an (RIS‑Justiz RS0113594). Die Revisionswerberin versucht durch aus dem Zusammenhang herausgegriffene und teilweise nicht einschlägige Passagen aus den zur russischen Rechtslage im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten darzulegen, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Verjährungsfrage nach russischem Recht die russische Rechtsprechung und Lehre missachtet hätte. Dies kann der erkennende Senat aber nicht nachvollziehen. Dass das russische Gericht in seiner rechtlichen Beurteilung zum Schluss gekommen ist, dass es zu keiner Umwandlung der Rechtsvorgängerin der Klägerin in die Rechtsvorgängerin der Beklagten kam bzw die diesen Rechtsvorgang festlegende Satzungsbestimmung nichtig sei, beruht offensichtlich darauf, dass in den russischen Verfahren die Nichtigkeit innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemacht wurde (dies wird von den russischen Gerichten ausdrücklich dargelegt).

Der erkennende Senat schließt sich auch der Argumentation des Berufungsgerichts an, wonach die Prüfung der Verjährung auf bestimmte Klagerechte oder konkret geltend gemachte Ansprüche und nicht allgemein auf die Frage der Wirksamkeit des Rechtsformwechsels zu beziehen ist und daher die Klageführung in Russland betreffend die Gesamtrechtsnachfolgeklausel in der Satzung der Rechtsvorgängerin der Beklagten oder betreffend der Übertragung von Markenrechten in Russland die Verjährungsfrist für die Einklagung markenrechtlicher Ansprüche betreffend österreichischer Marken aufgrund der gescheiterten „Transformation“/Gesamtrechtsnachfolge nicht unterbricht (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Es kann aber noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die Entscheidungen niederländischer Gerichte in einem von der Klägerin gegen die Beklagte angestrengten Verfahren betreffend die Inhaberschaft und Verletzung von Benelux‑Marken aufgrund der einschlägigen Normen des Unionsrechts zur Bindung österreichischer Gerichte auch in der hier gegenständlichen Verjährungsfrage führen.

Die in Art 33 Abs 1 EuGVVO ‑ hier infolge Verfahrenseinleitung vor dem 10. 1. 2015 noch in der Fassung der VO (EG) Nr 2001/44 (Art 66 der VO [EU] Nr 1215/2012) ‑ angeordnete Ipso‑iure‑Anerkennung von in einem Mitgliedsstaat ergangenen Entscheidungen geht vom Gedanken der Wirkungserstreckung aus, das heißt, dem anerkannten Urteil kommen im Zweitstaat die selben Rechtswirkungen zu wie im Ursprungsstaat (Rs 145/86, Hoffmann/Krieg). Ein Urteil eines ausländischen Gerichts entfaltet daher im Inland jene Wirkungen, die ihm im Bereich des Ursprungsstaats zukommen (3 Ob 212/06g ua; RIS‑Justiz RS0117940 [T1], RS0110172 [T4]). Die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft sind daher dem Recht des Erststaats zu entnehmen (9 Ob 88/10x mwN).

Von diesem Grundsatz ist der EuGH zwar in der zuständigkeitsrechtlichen Entscheidung C‑456/11, Gothaer Allgemeine Versicherung AG/Samskip GmbH, abgegangen. Ein belgisches Gericht hatte dort eine Klage zurückgewiesen, weil die Parteien wirksam die Zuständigkeit isländischer Gerichte vereinbart hätten. Der Kläger brachte die Klage dann aber nicht in Island, sondern in Deutschland ein. Dem stand nach Auffassung des EuGH die belgische Entscheidung entgegen. Das deutsche Gericht sei auch durch die in den Gründen dieser Entscheidung enthaltene „Feststellung“ in Bezug auf die Wirksamkeit der Vereinbarung gebunden. Insofern sei der ‑ weite ‑ „Rechtskraftbegriff des Unionsrechts“ heranzuziehen.

Der EuGH begründete dieses Entscheidung allerdings ausschließlich mit der besonderen Interessenlage im Europäischen Zivilverfahrensrecht. Diese Erwägungen können nicht auf die Anerkennung anderer Entscheidungen übertragen werden, insofern hat es daher bei der Wirkungserstreckung, also der Maßgeblichkeit des Rechts des Ursprungsstaates, zu bleiben. Daran ließ auch der EuGH in C‑456/11 keinen Zweifel. Denn er verwies ausdrücklich auf die Entscheidung 145/86, Hoffmann/Krieg,und den darin enthaltenen Grundsatz der Wirkungserstreckung (Rz 34); nur für die Anerkennung von zuständigkeitsrechtlichen Entscheidungen sollen nach Auffassung des EuGH „eigene Regeln“ gelten (Rz 42).

Das Prinzip der Wirkungserstreckung bedeutet aber, dass die objektiven Grenzen der Rechtskraft der hier von der Klägerin ins Treffen geführten niederländischen Gerichtsentscheidungen nach niederländischem Recht zu beurteilen sind. Sollte das niederländische Recht im Sinn der Revisionsausführungen der Klägerin eine Rechtskraftwirkung kennen, die auch in der Gerichtsentscheidung beantwortete Vorfragen umfasst, könnte die niederländische Beurteilung der Transformationsfrage/Gesamtrechtsnachfolge zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile einschließlich der Beurteilung der diesbezüglichen Verjährungsfrage nach russischem Sitzrecht Bindungswirkung für das hier zwischen den Streitteilen geführte Verfahren betreffend österreichischer Marken haben.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, dass nach niederländischem Recht keine Möglichkeit mehr bestehe, die eben erwähnten Fragen anders zu entscheiden. Die Beklagte hält dem entgegen, dass das niederländische Prozessrecht keine Bindung an in einem Vorprozess beantwortete Vorfragen kennt, insbesondere dann nicht, wenn die Vorfragenbeurteilung gar nicht entscheidungswesentlich war (obiter dictum) oder keine nachvollziehbare Begründung aufweist, was Voraussetzung für die Geltung von Gerichtsentscheidungen ganz allgemein wäre.

Sollte die klägerische Darstellung der niederländischen Rechtslage zutreffend sein, wären die österreichischen Gerichte an die Beurteilung der Gesamtrechtsnachfolgefrage einschließlich der Frage der allenfalls verjährten Möglichkeit zur Geltendmachung eines diesbezüglichen Mangels gebunden. Dann wäre die berufungsgerichtliche Beurteilung der Verjährungsfrage unzutreffend und das Berufungsgericht müsste sich mit den weiteren Berufungsargumenten auf Tatsachen‑ und rechtlicher Ebene auseinandersetzen und insoweit die Prüfung des Ersturteils im Rahmen der geltend gemachten Berufungsgründe fortsetzen.

Sollte sich hingegen der Standpunkt der Beklagten als zutreffend erweisen, dass (auch) die Rechtsordnung der Niederlande keine derart erweiterte Rechtskraftwirkung betreffend in einer Gerichtsentscheidung beantworteter Vorfragen kennt, stünde die Beurteilung der Verjährungsfrage durch das Berufungsgericht auch im Hinblick auf die niederländischen Entscheidungen in dem Benelux-Marken betreffenden Verfahren nicht entgegen.

4. Dass verschiedenen Inhabern zustehende „Parallel‑Marken“, die aufgrund ihres jeweiligen räumlichen Schutzbereichs zu unterschiedlichen Ausschließlichkeits-rechten der jeweiligen Inhaber führen, mit der Warenverkehrsfreiheit nicht in Widerspruch stehen, hat der EuGH in der von der Revisionswerberin angeführten Entscheidung (C‑10/89 CNL‑Sucal SA/HAG GF AG) ausdrücklich festgehalten. Die weiters erwähnte Entscheidung C‑39/04 Maersk Olie und Gas A/S behandelt keinen unmittelbar vergleichbaren Sachverhalt.

5. Nach Art 34 Z 3 EuGVVO ist eine Entscheidung nicht anzuerkennen, wenn sie mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung angestrebt wird, ergangen ist. Das Anerkennungshindernis liegt selbst dann vor, wenn die inländische Entscheidung unter Missachtung der Art 27 f EuGVVO zustande gekommen ist (Rassi in Fasching/Konecny 2, V/1 Art 34 EuGVVO Rz 66 mwN). Die Wirkungen des ausländischen Urteils können durch eine inländische Entscheidung aber nur dann gebannt werden, wenn dieser inländischen Entscheidung bereits im Inland selbst Wirkungen (Rechtskraft, Gestaltungswirkung, Vollstreckbarkeit) zukommen. Ist dies aber bei inländischen Urteilen erster Instanz zu verneinen, dann liegt auch der Versagungsgrund des Art 34 Z 3 nicht vor (Rassi aaO Rz 73). Entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung steht daher die nicht rechtskräftige Entscheidung des Erstgerichts, deren Überprüfung Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist, der aus oben dargelegten Gründen noch zu überprüfenden Anerkennung der niederländischen Entscheidungen nicht entgegen. Dies gilt auch für die von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidungen im Sicherungsverfahren. Diese sind zwar rechtskräftig und vollstreckbar, aber insoweit von der Entscheidung im Hauptverfahren abhängig, als sie mit der rechtskräftigen Erledigung des Hauptverfahrens befristet sind. Die Entscheidung im Provisorialverfahren vermag daher das Ergebnis des Hauptverfahrens nicht zu präjudizieren.

6. Gemäß § 4 Abs 1 IPRG ist fremdes Recht von Amts wegen zu ermitteln, wobei zulässige Hilfsmittel dafür auch die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten sind. Die entsprechenden Kenntnisse muss sich der österreichische Richter sohin von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens selbst verschaffen (RIS‑Justiz RS0045163, RS0040189). Wie sich der Richter die notwendigen Kenntnisse des fremden Rechts verschafft, liegt in seinem Ermessen (4 Ob 232/07g mwN).

Mangelt es an der Ermittlung des fremden Rechts durch die Vorinstanzen, so liegt darin ein Verfahrensmangel besonderer Art, der dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu unterstellen ist und zur Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz führt (RIS‑Justiz RS0116580, RS0040045). In Wahrnehmung dieses Vefahrensmangels ist daher das Berufungsurteil aufzuheben. Ausgehend von den bereits erstatteten Vorträgen der Parteien zum niederländischen Recht wird daher das Berufungsgericht die niederländische Rechtslage zu den angesprochenen Fragen der Urteilswirkungen, insbesondere zu den objektiven Grenzen der Rechtskraft (Vorfragen) zu erheben haben, um die zwischen den Parteien strittige Bindungswirkung der von der Klägerin ins Treffen geführten niederländischen Entscheidungen abschließend beurteilen zu können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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