OGH 9ObA67/15s

OGH9ObA67/15s24.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O***** B*****, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Weinrauch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 229,55 EUR brutto und 2.000 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 131,64 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. März 2015, GZ 8 Ra 170/14z‑32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00067.15S.0624.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entzieht sich der Empfänger dem Zugang einer Erklärung absichtlich oder wider Treu und Glauben, muss er sich so behandeln lassen, als ob er die Erklärung rechtzeitig empfangen hätte (RIS‑Justiz RS0047277). Dabei ist die Verpflichtung, für die Möglichkeit des Zugangs von rechtsgeschäftlichen Erklärungen vorzusorgen, umso stärker zu gewichten, je eher mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen zu rechnen ist (6 Ob 231/05x; 8 ObA 37/06h; 9 ObA 5/13w uva).

Die eingetretene Zugangsfiktion des Aufforderungsschreibens des klagenden Arbeitnehmers wurde vom Berufungsgericht bejaht, weil die beklagte Arbeitgeberin am 2. 7. 2013 gegenüber der Post die Ortsabwesenheit sowohl für den Betriebsstandort als auch die Wohnadresse des Geschäftsführers der Beklagten für einen Zeitraum von rund 1,5 Monaten bekannt gegeben habe, ohne für eine Empfangsvorkehrung Vorsorge getroffen zu haben. Die Beklagte habe nämlich damit rechnen müssen, dass der Kläger nach Erhalt des Schreibens der Beklagten ‑ ebenfalls vom 2. 7. 2013 ‑, wonach sie von einem vorzeitigen Austritt des Klägers ausgehe, seine noch offenen Ansprüche aus dem zwischen den Streitteilen bestandenen Arbeitsverhältnis geltend machen würde.

Ob der Zugang eines Schreibens gegen Treu und Glauben verhindert wurde, kann allerdings nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet daher mangels Möglichkeit der Verallgemeinerung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts liegt nicht vor (9 ObA 61/13f). Die Behauptung der Revisionswerberin, eine nicht eingeschriebene Briefsendung wäre ihr an der Wohnadresse ihres Geschäftsführers zugegangen, unterstreicht nur die Vertretbarkeit der Beurteilung des Berufungsgerichts, weil der Geschäftsführer entgegen seiner Meldung gegenüber der Post an seiner Wohnadresse offensichtlich gar nicht ortsabwesend war.

Soweit die Revisionswerberin dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang eine überraschende Rechtsansicht vorwirft, missversteht sie dessen Ausführungen, das nicht davon ausging, dass ihr Geschäftsführer den Zugang bewusst, sondern (nur) wider Treu und Glauben vereitelt habe.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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