OGH 13Os84/14y

OGH13Os84/14y10.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und Dr. Oberressl in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Strafsache gegen ***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 317 HR 358/13v des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der ***** sowie der Beschuldigten *****, *****, ***** und ***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00084.14Y.0610.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 9. September 2013 (ON 209 S 6) bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Anordnung der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) auf Durchsuchung der Büros des *****, des *****, des ***** sowie der im Jahr 2007 benutzten Büros des *****, *****, ***** und des *****, jeweils in *****, samt aller dazugehörigen Neben‑ und Lagerräumlichkeiten (§§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO). Die WKStA ordnete insoweit die Sicherstellung bestimmter Aufzeichnungen sowie von weiteren, im einzeln bezeichneten E-Mails, Vertragsurkunden, Korrespondenzen, Gemeinderatsbeschlüssen und Unterlagen an (ON 209 S 1 f).

Während des Vollzugs dieser Ermittlungsmaßnahmen am 12. September 2013 bewilligte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien (zunächst mündlich; vgl ON 1 AS 37; ON 211 S 2) eine weitere Anordnung der Staatsanwaltschaft betreffend die Durchsuchung der „Serverräume samt dazugehöriger Nebenräumlichkeiten in ***** sowie *****, zur Sicherstellung bestimmter E‑Mails (ON 210).

Bei der am 24. September 2013 erfolgten Sichtung der anlässlich der Durchsuchungen am 12. September 2013 sichergestellten Daten stellten die Ermittlungsorgane fest, dass die vorliegenden E-Mails ein wesentlich geringeres Datenvolumen ausmachten als die laut Dokumentation über die Durchsuchungshandlungen erlangte Datenmenge (ON 224, 226). Aufgrund des daraus abgeleiteten Manipulationsverdachts leitete die WKStA am 25. September 2013 gegen *****, ***** und unbekannte Täter ein Ermittlungsverfahren wegen „§§ 295, 299 Abs 1 StGB“ ein (ON 1 AS 49).

Zudem ordnete die Staatsanwaltschaft neuerlich eine ‑ gerichtlich bewilligte ‑ Durchsuchung von Räumlichkeiten der EDV-Abteilung sowie die Sicherstellung von im einzelnen bezeichneten Daten und Datenträgern an (ON 227). Bei Vollzug dieser Zwangsmaßnahme am 26. September 2013 stellte sich heraus, dass sich die Abweichungen nur auf die Dokumentation der Datenmengen, nicht jedoch auf die Dateninhalte, bezogen hatten. Daraufhin wurden sämtliche sichergestellten Datenträger zurückgegeben und die kopierten Daten gelöscht (ON 231, 233 und 234).

Mit Beschluss vom 18. Juli 2014, AZ 19 Bs 421/13w, 422/13t, 423/13i (ON 387), gab das Oberlandesgericht Wien ‑ soweit vorliegend von Bedeutung ‑ den im Wesentlichen gegen die genannten Durchsuchungs- und Sicherstellungsanordnungen (ON 210, 227) gerichteten Beschwerden und damit verbundenen Einsprüchen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Der mit Bezug auf diese Entscheidung erhobene Erneuerungsantrag der ***** sowie der Beschuldigten *****, *****, ***** und ***** schlägt fehl.

Voranzustellen ist, dass für einen (wie hier) nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und Abs 2 EMRK sinngemäß gelten (RIS-Justiz RS0122737). Demnach hat ‑ weil die Opfereigenschaft nach Art 34 EMRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 13 Rz 16) ‑ auch ein Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO per analogiam deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten

Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359) und ‑ soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag ‑ seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (vgl RIS-Justiz RS0125393 [T1]; 12 Os 117/13t; 12 Os 157/13z; 13 Os 71/13k).

Ferner kann der Oberste Gerichtshof erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl RIS-Justiz RS0122737 [T13]).

1./ Zur Durchsuchung am 12. September 2013 (ON 209, 210):

1.1. Der Antrag hält den Erwägungen des Beschwerdegerichts, wonach sich der Entscheidungswille des Gerichts im vorliegenden Bewilligungsbeschluss ‑ ungeachtet der unrichtigen (aber unbeachtlichen) wörtlichen Bezugnahme auf „Serverräume“ ‑ auch auf die Durchsuchung der Räumlichkeiten der „I*****“-Abteilung der ***** (im Folgenden: EDV-Abteilung) erstreckt habe (BS 18 ff), bloß eine gegenteilige Interpretation des Bedeutungsinhalts der Durchsuchungsbewilligung auf Basis eigenständiger Würdigung der dazu führenden Verfahrensergebnisse entgegen. Damit geht er an den eingangs dargestellten Anfechtungskriterien vorbei. Die in diesem Zusammenhang erhobene Kritik der „Aktenwidrigkeit“ übersieht, dass nur die erheblich unrichtige Wiedergabe des Inhalts eines Beweismittels in den Entscheidungsgründen ein derartiges Begründungsdefizit bewirkt; aus Beweisergebnissen gezogene Schlussfolgerungen (hier: betreffend den Bedeutungsinhalt der Durchsuchungsbewilligung) scheiden insoweit als Anfechtungsbasis aus (vgl RIS-Justiz RS0099431 [T16]).

Damit kann aber auch die Argumentation, die nachfolgende schriftliche Ausfertigung der Bewilligung (ON 210) weiche hinsichtlich der erfassten Räumlichkeiten vom Inhalt des mündlich erteilten Beschlusses ab, auf sich beruhen.

Dass die im Bewilligungsbeschluss genannte Adresse ***** nicht jene der EDV‑Abteilung sein soll, wird bloß unsubstantiiert angedeutet.

1.2. Ausgehend von den somit erfolglos bekämpften Annahmen des Beschwerdegerichts zum räumlichen Geltungsbereich der vorliegenden gerichtlichen Bewilligung bedarf aber der weitere Einwand, wonach an den in Rede stehenden Örtlichkeiten auch tatsächlich Durchsuchungshandlungen erfolgten, keiner Erwiderung.

1.3. Auf das Argument, dass der die weitere Durchsuchung vom 12. September 2013 bewilligende Beschluss (ON 210) unter Verletzung der 24 Stunden-Frist des Art 9 StGG iVm § 1 letzter Satz HausRG zugestellt worden sei, ist mangels Erschöpfung des Rechtswegs nicht einzugehen.

1.4. Das unter Hinweis auf das „Durchsuchungs-Sicherstellungsprotokoll“ vom 12. September 2013 (ON 211) erstattete Vorbringen, auch die Durchsuchung der Räumlichkeiten des ***** sei ohne gerichtliche Bewilligung erfolgt, unterlässt die gebotene Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Beschwerdegerichts, wonach an dieser Adresse bloß Aktenordner zur Abholung bereitgestellt worden waren (BS 20). Solcherart legen die Erneuerungswerber nicht deutlich und bestimmt dar, worin der unzulässige Grundrechtseingriff zu erblicken sein soll (RIS-Justiz RS0124359; zu freiwillig gestatteten Maßnahmen vgl im Übrigen Tipold/Zerbes, WK-StPO § 117 Rz 8).

2./ Zur Durchsuchung am 26. September 2013 (ON 227):

2.1. Der Einwand, das Oberlandesgericht habe sich mit dem Vorliegen eines „einfachen Tatverdachts“ begnügt (BS 30), obwohl es „bei Grundrechtsverletzungen“ (gemeint: -eingriffen) eines „hinreichend begründeten Tatverdachts“ bedürfe, macht nicht deutlich, weshalb das Beschwerdegericht mit dem verwendeten Begriff (der im Übrigen zur Abgrenzung vom „dringenden“ Tatverdacht gebräuchlich ist; vgl Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 3) inhaltlich einen anderen als den geforderten Verdachtsgrad angesprochen haben soll.

2.1. Die Annahme, wonach ein für die in Rede stehende Zwangsmaßnahme ausreichender Tatverdacht vorlag, weil der anlässlich der Durchsuchung am 12. September 2014 angefertigte Bildschirmabzug ‑ auf dessen Richtigkeit die Ermittlungsorgane hätte vertrauen dürfen ‑ ein erheblich höheres Datenvolumen auswies als die spätere Sichtung der Daten ergab (BS 31), erweist sich als logisch und empirisch einwandfrei. Soweit die Erneuerungswerber dieser Begründung bloß eigenständige (großteils EDV-technische) Erwägungen gegenüberstellen und daraus gegen den zugrunde gelegten Verdacht argumentieren, überschreiten sie im Hinblick auf das vorweg Festgehaltene den Anfechtungsrahmen eines zulässigen Erneuerungsbegehrens.

Weshalb aufgrund der ständigen „Anwesenheit, Beobachtung und Kontrolle“ von Polizeibeamten bei der Datensicherung am 12. September 2013 eine Datenmanipulation (technisch) ausgeschlossen sein soll, machen die Einschreiter übrigens nicht deutlich.

Gleiches gilt für die vom Antrag hervorgekehrten Verfahrensergebnisse zur Löschung von zunächst gesicherten Daten des Zeitraums 2000 bis 1. Jänner 2005 (vgl im Übrigen ON 226 AS 5, wonach sich der Manipulationsverdacht auf andere ‑ den nachfolgenden Zeitraum 1. Jänner 2005 bis 1. September 2008 betreffende Daten bezog).

2.3. Weshalb durch die „unbegründete Annahme eines Anfangsverdachts“ die „Unschuldsvermutung“ (Art 6 Abs 2 MRK) verletzt sein soll, bleibt unerfindlich.

3./ Zu den übrigen Einwänden:

3.1. Aus welchem Grund die Erneuerungswerber an ihrem Recht, eine wirksame Beschwerde einbringen zu können (Art 13 MRK), verletzt sein sollen, wird nicht klar.

3.2. Im Zusammenhang mit der Sicherstellung von E-Mails betreffend ***** und ***** stehende Grundrechtsverletzungen (insbesondere dem Antrag zufolge, Art 5, 6 Abs 1 und Abs 2 [„nemo tenetur“], 8 MRK) wurden im Beschwerdeverfahren nicht behauptet (ON 247), sodass das nunmehrige Vorbringen an der erforderlichen Rechtswegausschöpfung scheitert.

3.3. Entsprechendes gilt für die (im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht geäußerte) Kritik an der Annahme eines Tatverdachts in Richtung des Verbrechens der Untreue bei ***** und *****.

3.4. Zur Behauptung, gegen ***** und ***** seien Zwangsmittel („Abnahme von Kommunikationsmitteln“, „Anhaltung“, „stundenlange falsche Verdächtigungen“) ohne entsprechende Verdachtslage gesetzt worden, genügt der Verweis auf die obigen Ausführungen zu 2.

3.5. Der Einwand, ***** sei nicht über seine Beschuldigtenrechte aufgeklärt worden, geht daran vorbei, dass das Oberlandesgericht seinem darauf gerichteten Einspruch ohnedies stattgegeben hat (vgl Punkt 8./, BS 2). Davon ausgehend wird nicht klar, weshalb diesem Einschreiter weiterhin die Opfereigenschaft (Art 34 MRK; vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 13 Rz 16 f)zukommen soll.

Der Antrag war daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

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