OGH 9ObA154/14h

OGH9ObA154/14h29.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. H***** L*****, vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2014, GZ 8 Ra 42/14a‑28, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 13. Jänner 2014, GZ 34 Cga 142/11t‑24, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00154.14H.0429.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

„Es wird festgestellt, dass das Dienstverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über den 30. 4. 2012 hinaus aufrecht ist.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 18.971,32 EUR (darin 3.055,17 EUR USt und 703,30 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 3.139,04 EUR (darin 523,17 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.260,44 EUR (darin 376,44 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten als Vertragsbediensteter beschäftigt. Zuletzt war er als Physiker an der Universitätsklinik für Strahlentherapie tätig.

Am 21. 10. 2011 unternahm der Kläger eine Flugreise nach Asien. Den Rückflug nach Österreich am 23. 10. 2011 mit planmäßiger Landung am 24. 10. 2011, 5.00 Uhr, trat er nicht an. Erst am 5. 11. 2011 reiste er zurück nach Österreich, wo er am Montag, dem 7. 11. 2011, eintraf. Der Kläger war zwar bereits ab 24. 10. 2011 bei der Krankenkasse krank gemeldet; es steht jedoch nicht fest, dass er ab dem 22. 10. 2011 infolge Erkrankung Asien bis zum 5. 11. 2011 nicht verlassen konnte. Die Anwesenheit des Klägers am 25. 10. 2011 im Dienst wäre zur Aufrechterhaltung der Behandlung der Patienten erforderlich gewesen. In Österreich war der Kläger infolge Krankheit vom 7. 11. 2011 bis 24. 11. 2011 arbeitsunfähig. Am Freitag, dem 25. 11. 2011, trat der Kläger seine Arbeit wieder an.

Bereits am 7. 11. 2011 hatte die Beklagte den Betriebsrat über die geplante Kündigung des Klägers verständigt (so die Beklagte in ON 3 Punkt 2.2). Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab (unstrittiges Klagsvorbringen in ON 1 Punkt III). Am 30. 11. 2011 übergab die Beklagte dem Kläger ein von ihr am 16. 11. 2011 verfasstes Kündigungsschreiben. Damit kündigte sie das Dienstverhältnis des Klägers unter Bezugnahme auf die Kündigungsgründe des § 32 Abs 2 lit 1 VBG (gröbliche Verletzung der Dienstpflicht) und § 32 Abs 2 lit 3 VBG (Nichterreichen des im Allgemeinen erzielbaren angemessenen Arbeitserfolgs) zum 30. 4. 2012 auf. In diesem Schreiben teilte sie dem Kläger auch mit, dass der Betriebsrat iSd § 105 ArbVG sowohl von der Kündigungsabsicht als auch von der Kündigung ordnungsgemäß verständigt worden sei (unstrittiger Inhalt der Blg ./A).

Der Kläger begehrt primär die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 30. 4. 2012 hinaus, eventualiter die Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung. Die Kündigung der Beklagten sei ungültig, weil darin die tatsächlichen Kündigungsgründe nicht konkretisiert seien. Kündigungsgründe lägen nicht vor. Er sei während seines Aufenthalts in Asien erkrankt. Zudem sei die Kündigung von der Beklagten nicht unverzüglich ausgesprochen worden. Eventualiter werde die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit angefochten.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ‑ soweit für das Revisionsverfahren relevant ‑ ein, dass der Kläger nicht nur (ua) wegen seines eigenmächtigen Urlaubsantritts am 24. 10. 2011 seine Dienstpflicht gröblich verletzt habe, sondern auch den im Allgemeinen erzielbaren Arbeitserfolg nicht mehr erreiche. Da die Kündigungsgründe im September und Oktober 2011 verwirklicht worden seien, sei die Kündigung nach Befassung der internen Rechtsabteilung, des Organisationseinheitsleiters als Vorgesetzten des Klägers, des Rektors und Einholung einer externen Rechtsauskunft sowie in Anbetracht der Vielzahl ihrer Mitarbeiter rechtzeitig ausgesprochen worden. Zudem handle es sich beim Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 lit 3 VBG um ein Dauerdelikt.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Die Formalerfordernisse eines Kündigungsschreibens nach dem VBG seien erfüllt. Der Kläger habe seine Dienstpflicht gröblich verletzt, weil er ungerechtfertigt ab 24. 10. 2011 dem Dienst ferngeblieben sei. Weder sei dem Kläger Urlaub genehmigt worden noch sei der behauptete Krankenstand erwiesen. Die Kündigung sei von der Beklagten unverzüglich ausgesprochen worden, weil der Kläger nach Beendigung seines Krankenstandes erst am 25. 11. 2011 seinen Dienst wieder angetreten habe und ihm bereits am 30. 11. 2011 das Kündigungsschreiben ausgehändigt worden sei. Da das Dienstverhältnis des Klägers dem VBG unterliege, entfalle die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung gemäß § 105 ArbVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte grundsätzlich die Rechtsansicht des Erstgerichts und ergänzte, dass der Kündigungstatbestand des § 32 Abs 2 Z 3 VBG nicht erfüllt sei, weil die Beklagte den Kläger zuvor ermahnen hätte müssen. Eine Kündigung nach dem VBG sei unverzüglich nach Kenntnisnahme des Sachverhalts, der die Kündigungsgründe liefere, auszusprechen. Eine Kündigung könne zwar auch während des Krankenstands des Dienstnehmers ausgesprochen werden, allerdings habe im vorliegenden Fall eine Erkrankung des Klägers während des Auslandsaufenthalts gar nicht festgestellt werden können. Darüber hinaus sei der Kündigungsgrund erst näher abzuklären gewesen. Der Beklagten müsse zugestanden werden, die Dauer des vom Kläger unberechtigterweise angetretenen Urlaubs bzw des in Anspruch genommenen Krankenstands abzuwarten, um verlässlich das Vorliegen eines Kündigungsgrundes erkennen und beurteilen zu können. Die Beklagte habe nach Durchführung des für die Auflösung des Dienstverhältnisses notwendigen Vorverfahrens das Kündigungsschreiben am 16. 11. 2011 schriftlich verfasst. Berücksichtige man trotz der gebotenen Eile den umfangreichen Verwaltungsapparat der Beklagten und den hiefür erforderlichen Aktenlauf, so seien darin sachliche Gründe zu erblicken, die eine allfällige Verzögerung des Kündigungsausspruchs rechtfertigten. Der Unverzüglichkeitsgrundsatz dürfe auch nicht überspannt werden.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagsstattgabe abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung , die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Die Anwendbarkeit des VBG auf das gegenständliche Dienstverhältnis ist zwischen den Parteien unstrittig.

Der Dienstgeber ist gehalten, von seinem Kündigungsrecht bei sonstigem Verlust desselben unverzüglich nach Kenntnisnahme des die Kündigung rechtfertigenden Sachverhalts durch die für den Ausspruch der Kündigung zuständigen Organe Gebrauch zu machen. Verzögerungen im Ausspruch der Kündigung von Vertragsbediensteten können nur insoweit anerkannt werden, als sie in der Sachlage, also in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls, sachlich begründet sind (RIS-Justiz RS0029273; vgl auch RS0028543). Überall dort, wo ein vorerst undurchsichtiger, zweifelhafter Sachverhalt vorliegt, den der Arbeitgeber mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst gar nicht aufklären kann, muss diesem das Recht zugebilligt werden, bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch die hiefür zuständige Behörde mit der Entlassung zuzuwarten (RIS-Justiz RS0029297). Auch ein durch die obligatorische Einschaltung der zum Arbeitnehmerschutz berufenen Organe veranlasstes Zuwarten ist dabei zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0028543). In der Rechtsprechung wurde auch stets darauf Bedacht genommen, dass bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich die Willensbildung aufgrund der hierarchischen Strukturen umständlicher und langwieriger ist als bei physischen Personen; desgleichen wurde auch auf Aktenlauf, Kompetenzverteilung und dgl bei Gebietskörperschaften und anderen juristischen Personen entsprechend Bedacht genommen (9 ObA 88/13a; RIS-Justiz RS0082158). Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf ‑ so insofern zutreffend das Berufungsgericht ‑ auch nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0029273 [T16]).

Da nicht aus jeder Verzögerung auf den Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden kann, ist es Sache des Arbeitnehmers, einen derartigen Verzicht des Arbeitgebers auf das Kündigungsrecht zumindest implicite zu behaupten (RIS‑Justiz RS0029249). Dieser Obliegenheit ist der Kläger ausreichend nachgekommen. Hingegen tragen die von der Beklagten vorgebrachten Rechtfertigungsgründe zur Unverzüglichkeit der Kündigung die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen nicht:

Im Anlassfall ist davon auszugehen, dass der Beklagten spätestens am 7. 11. 2011 sämtliche für die Kündigung relevanten Tatumstände bekannt waren, weil sie an diesem Tag den Betriebsrat von der beabsichtigten Kündigung in Kenntnis setzte. Nachdem dieser innerhalb einer Woche keine Stellungnahme abgab, verfasste die Beklagte am 16. 11. 2011 das Kündigungsschreiben. Zu diesem Zeitpunkt musste daher auch die interne Willensbildung bei der Beklagten abgeschlossen gewesen sein. Mit ihrer erstmals in der Revisionsbeantwortung aufgestellten Behauptung, sie habe ihre Recherche nicht vor Beendigung des Krankenstandes des Klägers mit 25. 11. 2011 abschließen können, verstößt die Beklagte gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO. Eine Rechtfertigung dafür, weshalb die Beklagte dem Kläger das Kündigungsschreiben erst am Mittwoch, dem 30. 11. 2011, übergab, bietet die Beklage nicht an. Ihre Argumente zur Unverzüglichkeit der Kündigung beziehen sich auf den Zeitraum vor dem 16. 11. 2011 bzw 7. 11. 2011. Sie begründen aber nicht, weshalb dem Kläger das Kündigungsschreiben nicht sogleich ‑ etwa mit der Post ‑ übermittelt oder zumindest spätestens am Beginn seines ersten Arbeitstages, am Freitag, dem 25. 11. 2011, nach dem Krankenstand übergeben wurde. Im Hinblick darauf, dass die Verzögerung gerade nicht auf Umstände zurückzuführen ist, die von der Rechtsprechung als in der Sachlage begründet angesehen werden, und die Beklagte zudem den Kläger auch noch mehrere Tage seine Arbeit wie bisher verrichten ließ, bevor sie ihn kündigte, wurde die Kündigung nicht unverzüglich ausgesprochen (ähnlich 8 ObA 24/08z). Mit dieser Beurteilung ist auch keine unzulässige Überspannung des Unverzüglichkeitsgrundsatzes verbunden.

Richtig ist, das bei Dauertatbeständen, bei denen sich die Pflichtverletzung wiederholt bzw über einen längeren Zeitraum erstreckt, die Auflösungsgründe solange geltend gemacht werden können, als sie andauern (8 ObA 66/08a mwN; RIS-Justiz RS0029273 [T10]; vgl zur Entlassung bei Dauerzuständen RS0028865 mwN; RS0028859). Der von der Beklagten als Dauerdelikt ins Treffen geführte Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 lit 3 VBG liegt allerdings ‑ wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (§ 500a ZPO iVm § 526 Abs 3 ZPO) ‑ nicht vor. Dazu wird in der Revisionsbeantwortung auch nichts ausgeführt.

Wird die Dienstgeberkündigung eines Vertragsbediensteten ‑ wie hier ‑ nicht unverzüglich ausgesprochen, so erweist sie sich als rechtsunwirksam (8 ObA 62/13w mwN). Das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen ist somit nach wie vor aufrecht.

Der Revision des Klägers ist daher Folge zu geben und dem Klage‑(haupt‑)begehren auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses in Abänderung der klagsabweisenden Entscheidung der Vorinstanzen stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte erhob keine Einwendungen gegen die vom Kläger verzeichneten Kosten (§ 54 Abs 1a ZPO). Im Hinblick auf die Bewertung des Streitgegenstands gemäß § 16 Abs 1 Z 1 lit a GGG mit 750 EUR und die Gebührenfreiheit für arbeitsrechtliche Rechtsmittelverfahren zweiter Instanz (TP 2 Anmerkung 5 GGG) und dritter Instanz (TP 3 Anmerkung 5 GGG) bei einem Rechtsmittelinteresse bis zu 1.450 EUR waren die begehrten Pauschalgebühren nicht zuzusprechen.

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