OGH 8ObS8/14f

OGH8ObS8/14f24.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni24. März 2015 in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I***** J*****, vertreten durch Dr. August Lahnsteiner, Rechtsanwalt in Ebensee, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Wien, 1150 Wien, Linke Wienzeile 246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen 11.851 EURs A (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. Dezember 2013, GZ 8 Rs 109/13b‑10, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 4. Februar 2013, GZ 20 Cgs 247/12b‑6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Begründung

Die Klägerin war vom 11. 4. 2007 bis 24. 9. 2007 bei einer im Vereinigten Königreich registrierten „Limited“ als Verkäuferin mit Arbeitsort in Österreich angestellt. Das Dienstverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt. Die Gesellschaft wurde von dem für die Führung des Handelsregisters im Vereinigten Königreich zuständigen Companies House am 15. 9. 2009 gelöscht („dissolved“). Der Löschung ging eine mit 26. 5. 2009 datierte Ankündigung voraus. Der Grund für die Löschung ist aus dem Beschluss nicht ersichtlich.

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung von Insolvenz-Entgelt für laufende Bezüge und Beendigungsansprüche. Die Beklagte habe diese Ansprüche zu Unrecht abgelehnt, weil die Dienstgebergesellschaft vom Companies House wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden sei.

Die Beklagte wandte ein, es liege kein Insolvenztatbestand iSd § 1 IESG vor. Die Löschung der Gesellschaft sei nicht wegen Vermögenslosigkeit erfolgt, diese werde bei einer „dissolution“ nach britischem Recht mangels Relevanz überhaupt nicht geprüft. Für eine Anwendung des § 1 Abs 1 Z 3 und 4 IESG im Wege der Analogie bestehe daher kein Raum.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Grund für die Löschung der Dienstgeberin gehe weder aus dem vorgelegten Löschungsbeschluss hervor, noch sei es offensichtlich, dass die Gesellschaft vermögenslos sei. Die Nichtzahlung von offenen Dienstnehmerforderungen und die Unterlassung der Anmeldung der Klägerin reiche nicht aus, um Vermögenslosigkeit anzunehmen.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts.

Der vorliegende Fall einer „dissolution“ nach dem Recht des Vereinigten Königreichs setze eine qualifizierte Inaktivität der Gesellschaft, aber nicht deren Auflösung und Abwicklung und ‑ dies im Gegensatz zur amtswegigen Löschung nach § 40 FBG ‑ nicht die Vermögenslosigkeit voraus.

Das von der Klägerin ins Treffen geführte Heimfallsrecht der Krone am Restvermögen einer aufgelösten Gesellschaft führe nicht quasi automatisch zu deren Vermögenslosigkeit, sondern stehe unter dem Vorbehalt einer Wiederherstellung der gelöschten Gesellschaft. Eine Wiedereintragung sei sowohl auf Antrag interessierter Personen als auch der Gesellschaft selbst innerhalb bestimmter Fristen möglich, die bewilligte Wiederherstellung wirke dann ex tunc.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage, ob die „dissolution“ einer Gesellschaft nach s 652 des britischen Companies Act einen Insolvenztatbestand im Sinne der Eu‑InsVO darstelle, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Selbst wenn das Berufungsgericht ‑ zu Recht ‑ ausgesprochen hatte, die ordentliche Revision sei zulässig, das Rechtsmittel aber dann nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist die Revision zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0102059).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

1. Die Zuständigkeit der österreichischen Garantieeinrichtung nach Art 9 der Insolvenzrichtlinie 2008/94/EG ist gegeben, wenn der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Arbeitgeber in Österreich über eine feste wirtschaftliche Präsenz verfügt, indem er hier Personal dauerhaft beschäftigt. Zahlungsunfähigkeit im Sinn der Insolvenzrichtlinie ist gegeben, wenn es sich bei der insolvenzgerichtlichen bzw insolvenzbehördlichen Entscheidung in der Form der lex fori der Art nach um eine Entscheidung handelt, wie sie in Art 2 Abs 1 der Insolvenzrichtlinie beschrieben ist (RIS‑Justiz RS0127562).

Die Revision bezweifelt nicht mehr, dass es sich bei der Löschung der Limited des Dienstgebers um keine insolvenzbehördliche Entscheidung im Sinn der Art 2 Abs 1 der Insolvenzrichtlinie handelt (s S 3 der Revision).

2. Nach § 1 Abs 1 letzter Satz IESG besteht für im Inland beschäftigte Arbeitnehmer nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes auch dann Anspruch auf Insolvenz-Entgelt, wenn ein ausländisches Gericht eine nach der EU‑InsVO anerkannte Entscheidung getroffen hat und die Voraussetzungen des ersten Satzes ‑ mit Ausnahme der Verfahrenseröffnung im Inland ‑ erfüllt sind.

Einen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt aufgrund einer sonstigen, nicht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ergangenen ausländischen Entscheidung, die lediglich eine ähnliche Funktion oder Zielsetzung wie die in § 1 Abs 1 Z 1 sowie Z 4 bis 6 aufgezählten, der Insolvenzeröffnung im Inland gleichgestellten Entscheidungen aufweist, räumt das IESG nicht ein.

3. Die Vorinstanzen haben auch ohne aufzugreifenden Rechtsirrtum das Vorliegen einer planwidrigen, durch Analogie zu schließenden Gesetzeslücke verneint.

3.1. Die angestrebte Gleichsetzung der „dissolution“ nach s 652 Companies Act mit einer amtswegigen Löschung nach § 40 FBG scheitert daran, dass Letztere die Vermögenslosigkeit voraussetzt, Erstere aber nicht.

Den gründlichen Ausführungen des Berufungsgerichts, weshalb die amtswegige Löschung einer Limited nichts über eine allfällige materielle Insolvenz des aufgelösten Unternehmens auszusagen vermag, setzt die Revision inhaltlich nichts entgegen. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiederholung ihrer bereits in zweiter Instanz gebrauchten, vom Berufungsgericht als nicht stichhältig widerlegten Argumente (Heimfallsrecht der Krone, Nichtzahlung der Klagsforderung sowie unterbliebene Anmeldung der Klägerin zur Sozialversicherung), ohne neue Aspekte aufzuzeigen, die eine andere als die Sichtweise der Vorinstanzen gebieten könnten.

3.2. Die in § 1 Abs 1 IESG normierte Gleichstellung einer Löschung nach § 40 FBG mit einem Insolvenzverfahren beruht auf dem Gedanken, dass es unnötig erscheint, als Voraussetzung für den Entgeltsicherungsanspruch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu verlangen, wenn die Vermögenslosigkeit des Arbeitgebers ohnehin schon durch ein Gericht in einem anderen Verfahren geprüft und bestätigt wurde.

Diese Überlegung ist nicht auf andere Formen der gesetzlichen Beendigung oder Liquidation einer Gesellschaft übertragbar, die nicht mit einer gerichtlichen Vermögensprüfung verbunden sind. Die Insolvenz-Entgeltsicherung greift, verallgemeinert ausgedrückt, dann ein, wenn die Verfolgung von Arbeitnehmeransprüchen an der behördlich überprüften Insolvenz des Arbeitgebers scheitert, aber nicht, wenn die Insolvenzvoraussetzungen bloß materiell vorliegen oder der Anspruchsverfolgung andere Hindernisse entgegenstehen.

3.3. Für die Annahme einer durch Analogie zu schließenden Gesetzeslücke reicht es nicht aus, dass eine bestimmte Regelung vom Rechtsanwender als wünschenswert empfunden wird. Es steht den Gerichten nämlich nicht zu, ohne Vorliegen einer planwidrigen Lücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge (RIS‑Justiz RS0098756 [T3]).

4. Eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber Arbeitnehmern inländischer Arbeitgeber ist mangels vergleichbarer Sach- und Rechtslage nicht zu erkennen.

Umgekehrt stünde auch einem im Vereinigten Königreich beschäftigten Arbeitnehmer, worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat, aufgrund einer bloßen „dissolution“ seines Arbeitgebers kein Insolvenz-sicherungsanspruch zu. Weshalb es aus Gleichheitsgründen geboten sein müsste, die im Ausland tätigen Arbeitnehmer desselben Arbeitgebers besser zu stellen und ihnen Ansprüche zu eröffnen, die den inländischen Arbeitnehmern versagt wären, vermag die Revision nicht zu begründen.

5. Die von der Revisionswerberin für ihre Argumentation zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 8 ObS 18/04m (DRdA 2006/46 [ Bachner ] = RdW 2006, 241 = infas 2006/25 = ZIK 2005/217) ist nicht einschlägig. Im Unterschied zum vorliegenden Sachverhalt war dort über das Vermögen der Arbeitgeberin im Vereinigten Königreich ein Insolvenzverfahren im Sinn der EU‑InsVO anhängig.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet noch haben sich dafür Anhaltspunkte ergeben.

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