OGH 1Ob30/15s

OGH1Ob30/15s19.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien (Wiener Wohnen), Wien 17, Elterleinplatz 14, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C* M*, vertreten durch Dr. Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. November 2014, GZ 39 R 273/14g‑32, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 28. Juli 2014, GZ 9 C 525/13m‑28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E110630

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Berufung wird Folge gegeben und das Ersturteil wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 939,84 EUR (darin 122,64 EUR USt und 204 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte wohnte früher in einer anderen Wohnung der Wohnhausanlage. Er fühlte sich dort durch die Kinder einer Nachbarin gestört, was zur Folge hatte, dass er diese oftmals beschimpfte und gegen die Wände und die Wohnungstür schlug. Weil ihn auch die Kinder eines anderen Nachbarn störten, kam es sogar zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Seit seinem Einzug in die nunmehr aufgekündigte Wohnung Ende 2011 rief der Beklagte zwei‑ bis dreimal pro Woche bei der klagenden Vermieterin an und beschwerte sich darüber, dass die Hausbesorgerin ihre Arbeit nicht oder nicht ordentlich mache; unter anderem stört ihn, dass diese ein Gerät zum Wegblasen des Laubs benützt. Die anderen Mieter sind mit ihrer Tätigkeit in der Anlage, die sie seit 17 Jahren ausübt, zufrieden. Hin und wieder fotografierte der Beklagte die Hausbesorgerin auch mit dem Handy oder beobachtete sie mit dem Fernglas. Vor allem anfangs beschimpfte er sie auch öfters mit ordinären Worten. Zweimal klopfte er an die Fenster ihrer Wohnung, damit ihre Hunde bellen; dann rief er bei der Klägerin an, damit sich deren Mitarbeiter das Bellen anhören können, und behauptete in diesem Zusammenhang, dass dies schon seit Jahren so gehe. Als er von der Hausbesorgerin und ihrem Gatten einmal bei einer solchen Aktion beobachtet und zur Rede gestellt wurde, äußerte er, er werde so lange keine Ruhe geben, bis die Hausbesorgerin „weg ist“. Diese fühlt sich durch das Verhalten des Beklagten in hohem Maße belästigt. Seit Einbringung der Aufkündigung Ende Oktober 2013 beschwerte sich der Beklagte nicht mehr bei der Klägerin über die Hausbesorgerin und klopfte auch nicht mehr an ihr Fenster. Es kam auch zu keinen Beschimpfungen mehr.

Das Erstgericht erklärte die auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG gestützte Aufkündigung für rechtswirksam und erklärte den Beklagten schuldig, die Wohnung geräumt zu übergeben. Das Verhalten des Beklagten gegenüber der Hausbesorgerin stelle das vom Gesetz verpönte unleidliche Verhalten dar. Er habe sie nicht nur anfangs grundlos ordinär beschimpft, sondern dem Vermieter gegenüber auch haltlose Anschuldigungen gegen sie erhoben. Auch wenn es grundsätzlich jeden Mieter zuzubilligen sei, seine gegen den Hausbesorger gerichteten Verdachtsgründe gegenüber dem Vermieter zu äußern, stellten unberechtigte Anzeigen einen Kündigungsgrund dar, wenn sie völlig aus der Luft gegriffen sind und wider besseres Wissen und in der Absicht der Schikane erhoben würden. Außer ihm habe sich kein anderer Mieter über die Arbeitsweise der Hausbesorgerin beschwert, offenbar seien die Übrigen mit deren Arbeit sehr zufrieden. Sein Verhalten sei jedenfalls geeignet, der Hausbesorgerin das friedliche Zusammenleben im Haus zu verleiden. Dass er seine Beschimpfungen und unbegründeten Anschuldigungen nach Zustellung der Aufkündigung eingestellt hat, könne an der Verwirklichung des Kündigungsgrundes nicht ändern, komme es doch darauf an, ob der gesetzliche Tatbestand zur Zeit der Zustellung der Aufkündigung erfüllt gewesen sei. Im Übrigen zeige sich aus den Verhaltensweisen des Beklagten auch, dass ein zunächst wohlwollendes nachbarschaftliches Klima schnell ins Gegenteil umschlagen könne, wenn er sich ‑ objektiv betrachtet unbegründet ‑ gestört fühle. Einer günstigen Zukunftsprognose stehe auch das Verhalten während des Verfahrens entgegen. Er habe sich etwa gegenüber jenen Zeugen, die im Verfahren „gegen ihn“ ausgesagt hatten, aggressiv gezeigt, und gemeint, dass er einen Zeugen „anklagen“ werde; die für ihn ungünstigen Aussagen habe er als „Lüge“ und „Frechheit“ bezeichnet. Er habe betont, nicht einzusehen, was er gemacht haben solle. Im Falle einer Aufhebung der Aufkündigung sei zu befürchten, dass der Beklagte in seinem Fehlverhalten bestärkt und dieses gegenüber der Hausbesorgerin danach fortsetzen werde.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Aufhebung der Kündigung und Abweisung des Räumungsbegehrens ab. Dass dem Beklagten zum Vorwurf gemachte, mit Zustellung der Aufkündigung zur Gänze eingestellte Verhalten stelle gerade noch nicht den geltend gemachten Kündigungsgrund dar „bzw“ könne eine günstige Zukunftsprognose angestellt werden. Es sei die Annahme gerechtfertigt, der Beklagte werde ‑ die Gefahr eines Wohnungsverlusts vor Augen ‑ zu seinen früheren Gewohnheiten nicht zurückkehren. Es könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, gegen die Hausbesorgerin schikanös Anzeigen erhoben zu haben. Er habe sich zwar mehrmals wöchentlich bei der Klägerin beschwert, sei jedoch subjektiv der Meinung gewesen, sie verrichte ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß, da sie etwa die Türmatte nach der Reinigung nicht ordentlich hinlege oder ein vom Beklagten als störend empfundenes Gerät zum Wegblasen von Laub benütze. Auch haltlose Vorwürfe könnten den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens nicht verwirklichen, wenn der Mieter der Auffassung ist, mit seinen Anschuldigungen im Recht zu sein, wenngleich dies objektiv nicht nachvollziehbar ist und die Vorwürfe als haltlos erscheinen. Da auch nicht feststehe, dass durch die an die Klägerin herangetragenen Beschwerden des Beklagten über die Arbeitsweise der Hausbesorgerin dieser das „Zusammenleben“ verleidet worden sei, könne das Verhalten des Beklagten unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach Einbringung der Aufkündigung keinerlei störende Vorfälle mehr erfolgten, gerade noch als die Aufkündigung nicht rechtfertigend angesehen werden; von den wiederholten Beschwerden betroffen seien in erster Linie Mitarbeiter der Klägerin, nicht aber die Hausbesorgerin selbst. Sollte der Beklagte seine objektiv haltlosen Anschuldigungen und Beschimpfungen der Hausbesorgerin wieder aufnehmen und ihr dadurch das Zusammenleben verleiden, so werde ihm ein solches Verhalten als Kündigungsgrund anzulasten sein. Die ordentliche Revision sei „gemäß § 502 Abs 1 ZPO im Hinblick auf den Einzelfallcharakter“ nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil dieses den vom Erstgericht angenommenen Kündigungsgrund in erheblicher Verkennung der Rechtslage verneint hat. Dem Rechtsmittel kommt damit auch Berechtigung zu.

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass das Gesamtverhalten des Beklagten vor allem deshalb den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG „gerade noch nicht“ erfülle, weil sein Verhalten nach Zustellung der Aufkündigung eine günstige Zukunftsprognose erlaube; erst bei einer Wiederaufnahme des Fehlverhaltens werde der Kündigungsgrund zu bejahen sein. Abgesehen davon, dass die Phase des „Wohlverhaltens“ zwischen Zustellung der Kündigung und Schluss der Verhandlung im Verfahren erster Instanz kaum mehr als ein halbes Jahr gedauert hat, können Verhaltensänderungen nach Zugang der Aufkündigung nur ganz ausnahmsweise, und zwar dann, zu einer Aufhebung der berechtigterweise ausgesprochenen Kündigung führen, wenn eine Wiederholung des unleidlichen Verhaltens geradezu auszuschließen ist (RIS‑Justiz RS0070340; zuletzt 8 Ob 123/14t = Zak 2015/98). Im Allgemeinen ist die Frage, ob der Mieter nach der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten fortgesetzt hat, unwesentlich, da es genügt, dass im Zeitpunkt der Aufkündigung die Voraussetzungen für diese vorhanden waren (RIS‑Justiz RS0067534). Im Übrigen hat das Erstgericht mit seinen Hinweisen auf das Verhalten des Beklagten im Prozess richtig ausgeführt, dass mangels jeglicher Einsicht eine Besserung des Fehlverhaltens im Falle einer Aufhebung der Aufkündigung nicht erwartet werden kann.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die Verwirklichung des Kündigungstatbestands auch nicht dadurch gehindert, dass ein Mieter subjektiv der Ansicht ist, er wäre mit seinem Verhalten, das anderen das Zusammenleben verleidet, im Recht. Vielmehr wird eine subjektive Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht vorausgesetzt (RIS‑Justiz RS0070243); entscheidend ist, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist (RIS‑Justiz RS0067733).

Schließlich vermag sich der erkennende Senat auch nicht der Auffassung des Berufungsgerichts ‑ und des Revisionsgegners ‑ anzuschließen, der Beklagte habe mit seinen (von beiden Instanzen als unberechtigt qualifizierten) ständigen Vorwürfen in erster Linie die in der Verwaltung tätigen Mitarbeiter der Klägerin belästigt, nicht aber der Hausbesorgerin selbst, das „Zusammenleben“ verleidet. Dabei wurde offenbar die Feststellung des Erstgerichts übersehen, dass sich die Hausbesorgerin durch das Verhalten des Beklagten sehr belästigt fühlt; es ist auch aktenkundig, dass sie mehrmals an die Hausverwaltung herangetreten ist, sich über die psychische Belastung durch das „Mobbing“ beklagt und um Hilfe gebeten hat.

Nach Auffassung des erkennenden Senats kann es somit keinem Zweifel unterliegen, dass der vom Erstgericht angenommene Kündigungsgrund durch das Verhalten des Beklagten erfüllt wurde. Dabei fallen nicht nur die ordinären Beschimpfungen und das ständige Verfolgen mit unberechtigten Anzeigen bei der Hausverwaltung ins Gewicht, sondern vor allem seine Ankündigung, er werde so lange keine Ruhe geben, bis die Hausbesorgerin „weg ist“. Dass er dabei auch das Bellen ihrer Hunde provoziert hat, um bei der Hausverwaltung den Eindruck zu erwecken, er werde seit Jahren durch häufiges Hundegebell gestört, lässt deutlich erkennen, dass er seinen Plan, die Hausbesorgerin wegzubekommen, nachhaltig und bösartig verfolgte.

Das zutreffende Ersturteil ist daher wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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