OGH 3Ob230/14s

OGH3Ob230/14s18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek und die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen E*****, vertreten durch Dr. Markus Bachmann, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Betroffenen und des Sachwalters Mag. K*****, Rechtsanwalt, *****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Oktober 2014, GZ 45 R 239/14a‑90, womit infolge der Rekurse der Betroffenen und des Sachwalters der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 23. April 2014, GZ 1 P 206/11w‑81, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00230.14S.0218.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht bestellte Rechtsanwalt Mag. K***** zum Sachwalter für die Betroffene und legte den Kreis der zu besorgenden Angelegenheiten gemäß § 268 Abs 3 Z 1 ABGB mit „Vertretung vor Gerichten“ fest. Bei der Betroffenen finde sich eine neuropsychiatrische Symptomatik im Sinne einer depressiven Reaktion im Rahmen einer Anpassungsstörung. Aufgrund der Ausprägung der Symptomatik bedürfe die Betroffene der Beistellung eines Sachwalters bei Gerichten.

Das Rekursgericht gab den auf Abänderung in Richtung einer Einstellung des Sachwalter-bestellungsverfahrens zielenden Rekursen der (durch einen Verfahrenshelfer vertretenen) Betroffenen und des bestellten Sachwalters nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Es verneinte die (wegen mangelhafter Beschlussbegründung) geltend gemachte „Nichtigkeit“ sowie eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Allein maßgeblich sei, ob die Gefahr bestehe, dass die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Fähigkeit verliere, rational und eigenständig über erforderliche Prozesshandlungen zu entscheiden. Dies sei angesichts behängender Gerichtsverfahren, wie etwa dem zu 24 Cg 45/13h des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien anhängigen Aktivprozess (Anmerkung: gegen den einstweiligen Sachwalter), der derzeit gemäß § 6a ZPO ausgesetzt sei, gegeben.

In ihren außerordentlichen Revisionsrekursen stellen die (wieder durch den Verfahrenshelfer vertretene) Betroffene und der Sachwalter in den Vordergrund, dass es angesichts der Möglichkeit, sich in rechtlich einwandfreier Weise der Hilfe Dritter zu bedienen (zB richterliche Manuduktionspflicht, Bestellung eines Verfahrenshelfers), keiner Sachwalterbestellung bedürfe. Den Beschlüssen der Vorinstanzen lasse sich auch nicht entnehmen, aufgrund welcher konkreten Umstände die Befürchtung nahe liege, die Betroffene werde sich in Hinkunft selbst Schaden zufügen, würde kein Sachwalter bestellt.

Rechtliche Beurteilung

Eine erhebliche Rechtsfrage (§ 62 Abs 1 AußStrG) wird damit nicht dargestellt.

1. Ob ausreichend Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters vorliegen, ist immer eine individuell zu beurteilende Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0106166, RS0087091 [T2], RS0079855 [T7]). Gleiches gilt für die Frage, in welchem Umfang aufgrund einer psychischen Krankheit oder Behinderung ein Sachwalter zu bestellen ist (RIS‑Justiz RS0106744).

2. Den außerordentlichen Revisionsrekursen ist zuzugestehen, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen nur knapp erkennen lassen, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang der Betroffenen Nachteile drohen, wenn ihr kein Sachwalter beigegeben wird (vgl 3 Ob 146/10g). Bloß drohender Prozessaufwand reicht beispielsweise nicht für die Annahme eines relevanten Nachteils aus, dem durch die Sachwalterbestellung begegnet werden soll (RIS‑Justiz RS0072687 [T1]).

Tatsächlich war die Betroffene bereits in eine Reihe von Zivilverfahren involviert und sie begründet ihre Rechtsverfolgung bzw -verteidigung auch in einer Art, die die Gefahr nahelegt, dass sie sich durch ihr Verhalten selbst Nachteile zufügt (siehe etwa Band II, ON 55).

In diesem Zusammenhang greift die Argumentation in den Revisionsrekursen, die Betroffene sei durch die richterliche Anleitungspflicht und die Anwaltspflicht vor Nachteilen geschützt, zu kurz:

Ein Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, seinen Mandanten zu einer bestimmten Handlungsweise zu bestimmen (RIS‑Justiz RS0026560). Auch dann, wenn eine Partei für sie nachteilige Weisungen erteilt, hat er nicht auf die Willensbildung einzuwirken, sondern sie über die nachteiligen Folgen zu belehren (RIS‑Justiz RS0026560 [T1, T5]). Dadurch ist auch in einem Anwaltsprozess die Gefahr nicht auszuschließen, dass sich eine Partei selbst schädigt, indem sie „sinnlose“ Weisungen erteilt. Daher reicht auch die Möglichkeit, dass sich eine betroffene Person einer anwaltlichen Vertretung bedienen kann, nicht aus, eine Sachwalterschaft entbehrlich zu machen (1 Ob 146/08i). Gerade im vorliegenden Fall ist der Gefahr zu begegnen, dass die Betroffene einem Rechtsanwalt falsche Weisungen erteilt, ihm einen unrichtigen Sachverhalt schildert oder seine Handlungen nicht kritisch zu hinterfragen vermag. Darüber hinaus schützen richterliche Manuduktionspflicht und Verfahrenshilfegewährung nicht vor Kostenersatzansprüchen des obsiegenden Prozessgegners.

2. Soweit in beiden Rechtsmitteln eine mögliche Befangenheit des Rekurssenats angedeutet wird, wird dadurch eine sofortige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht ausgeschlossen, weil keine konkreten Befangenheitsgründe ins Treffen geführt werden, sondern auf die Unrichtigkeit der vom Rekursgericht gefassten Entscheidung Bezug genommen wird, die aber keinen Ablehnungsgrund bildet (RIS‑Justiz RS0111290 [T4] ua).

3. Zusammenfassend sind die Vorinstanzen in durchaus vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet und aufgrund dieser Krankheit nicht in der Lage ist, ohne Gefahr eines Nachteils für sich in Gerichtsverfahren zu handeln. Das Rekursgericht hat dazu, ob noch Gerichtsverfahren anhängig sind (und nicht zur Frage des Vorliegens einer psychischen Erkrankung), das Verfahren 24 Cg 45/13h des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien genannt.

Im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Entscheidung und die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichts sind die außerordentlichen Revisionsrekurse zurückzuweisen.

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