OGH 9Ob37/14b

OGH9Ob37/14b29.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* A*, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. * Dr. W* W*, 2. Dr. D* U*, 3. Dr. M* H*, 4. S*gesellschaft mbH, *, alle vertreten durch Dr. Robert Wiesler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 16.542 EUR sA und Feststellung (Streitwert 20.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. März 2014, GZ 4 R 152/13z‑25, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 13. Juni 2013, GZ 22 Cg 96/12k‑21, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

 

I. hinsichtlich des Klagebegehrens im Ausmaß von 6.542 EUR sA (Ersatz der Unterhaltsleistung) sowie des Feststellungsbegehrens zu Recht erkannt:

Dem Rekurs der beklagten Parteien wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts in diesem Umfang als Teilurteil wiederhergestellt und die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten wird.

II. Im Übrigen (10.000 EUR sA Schmerzen-geldbegehren) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E110288

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Mutter von fünf Kindern im Alter von 20, 12, 9, 4 und 3 Jahren, die alle mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht wurden. Im Zuge der Geburt ihres vierten Kindes am 8. 1. 2008 erfolgte mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung in der Universitätsklinik der viertbeklagten Krankenanstaltenträgergesellschaft eine Tubensterilisation nach Pomeroy, die der Erstbeklagte mit Assistenz der Zweitbeklagten vornahm. Das Aufklärungsgespräch hatte die Drittbeklagte unter Beiziehung eines Dolmetschers geführt. Trotzdem wurde die Klägerin im Jahr 2009 erneut schwanger, wovon sie am 20. 3. 2009 Kenntnis erlangte. Am 22. 9. 2009 brachte sie ihr fünftes Kind gesund zur Welt. Einen am 30. 5. 2012 an die Ärztekammer für Steiermark gerichteten Schlichtungsantrag zog die Klägerin am 25. 9. 2012 zurück.

Die Klägerin verfügt nach den Angaben in ihrem Verfahrenshilfeantrag über kein Einkommen. Ihr Ehemann bezieht eine monatliche Rente von insgesamt 1.706,61 EUR und verfügt über Bargeld von 70,10 EUR. Er ist für die vier minderjährigen Kinder unterhaltspflichtig. Gegen ihn wird exekutiv eine Forderung in Höhe von 1.895,60 EUR betrieben. Das Existenzminimum beträgt bei ihm ausgehend von vier Unterhaltspflichten 1.641,50 EUR.

Mit der am 18. 9. 2012 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin 10.000 EUR an Schmerzengeld für eine psychische Alteration mit Krankheitswert (Besorgnis um ihr Leben und das des Kindes wegen der neuerlichen Schwangerschaft), 6.542 EUR an Kindesunterhalt für die Zeit vom 22. 9. 2009 bis 31. 8. 2012 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen, für das fünfte Kind anfallenden Unterhaltsleistungen. Die Klägerin stützt dies zusammengefasst darauf, dass die Sterilisationsoperation am 8. 1. 2008 unsachgemäß durchgeführt worden sei. Sie habe sich zu der Operation wegen der Gefahren für ihr Leben bzw ihre Gesundheit durch eine weitere Schwangerschaft entschlossen, auch weil bis dahin ihre Kinder durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen seien. Die erneute Schwangerschaft bedeute für die gesamte Familie eine außergewöhnliche Unterhaltsbelastung. Die Beklagten hätten auch ihre Aufklärungspflichten verletzt, weil sie die Klägerin nicht darüber informiert hätten, dass trotz der Operation eine Schwangerschaft möglich sei und sie sich Kontrollen unterziehen müsse. Die Verjährungsfrist habe erst mit der Geburt des fünften Kindes am 22. 9. 2009 zu laufen begonnen; die Anrufung der Schlichtungsstelle habe den Verjährungslauf gehemmt.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten zusammengefasst ein, die Operation sei ordnungsgemäß durchgeführt worden und die fünfte Schwangerschaft unproblematisch verlaufen. Es bestehe kein Schaden, weil das fünfte Kind völlig gesund zur Welt gekommen sei. Die Klägerin sei bereits davor Mutter von vier Kindern gewesen, sodass sich durch das Hinzukommen eines fünften Kindes die Gesamtumstände nicht wesentlich geändert hätten. Die Klägerin sei im Rahmen des Aufklärungsgesprächs auch umfassend informiert worden. Im Zeitpunkt der Kenntnis von der Schwangerschaft habe auch noch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bestanden. Sie habe gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen und müsse sich zumindest ein erhebliches Mitverschulden entgegen halten lassen. Besorgnis um ihr Leben habe die Klägerin während der unproblematischen Schwangerschaft nicht gehabt, weshalb die behauptete psychische Alteration nicht entstanden sein könne. Die Schmerzengeldforderung sei überhöht und außerdem verjährt, weil der Zeitpunkt der Kenntnis von der Schwangerschaft als das den Verjährungslauf in Gang setzende Ereignis anzusehen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Geburt eines gesunden Kindes bedeute keinen Schaden im Rechtssinn. Nur wenn die Unterhaltsbelastung ungewöhnlich sei und geradezu existenzielle Erschwerungen für das Kind im Sinne einer wesentlichen Minderung des ideellen und materiellen Lebensstandards der Eltern zur Folge habe, sei ein Ersatz des Unterhaltsbedarfs denkbar. Dazu habe die Klägerin aber trotz Bestreitung durch die Beklagte kein konkretes Vorbringen erstattet. Im Übrigen sei das älteste Kind bereits volljährig und die Eltern seien auch davor in der Lage gewesen, für vier Kinder zu sorgen. Das Einkommen der Gesamtfamilie liege geringfügig über dem Existenzminimum und die Geburt des weiteren Kindes führe zu einem erhöhten Kinderbetreuungsgeld. Der allfällige Schmerzengeldanspruch für die „psychische Alteration mit Krankheitswert“ sei verjährt, weil die Klägerin bereits am 20. 3. 2009 Kenntnis von dieser fünften Schwangerschaft erlangt und ihr Schadenersatzbegehren auf die Besorgnis im Hinblick auf die bereits stattgefundenen Kaiserschnittgeburten gestützt habe.

Das Berufungsgerichtgab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge, hob die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass für die Frage, ob nun eine „geradezu existenzielle Erschwerung“ vorliege, der konkrete Unterhaltsbedarf der Familie der Klägerin ohne und mit dem weiteren Kind seit dessen Geburt festzustellen sei, ebenso wie die Mittel zur Deckung dieses Bedarfs. Hinsichtlich des Schmerzengelds für „psychische Alteration“ mit Krankheitswert beginne die Verjährungsfrist erst mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Geschädigte Kenntnis davon erlangt habe, dass die Gesundheitsstörung Krankheitswert habe und behandlungsbedürftig sei. Es sei daher entscheidend, wann die Klägerin davon Kenntnis erlangt habe, dass eine behandlungsbedürftige Gesundheitsstörung vorliege, deren Ursache die Schwangerschaft gewesen sei.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage der Berechtigung von Schadenersatzansprüchen im Falle der Geburt eines ungewollten gesunden Kindes noch keine ausreichend gesicherte Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss gerichtete Rekurs der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und auch teilweise berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung für den ‑ hier infolge einer allenfalls mangelhaften Operation bzw unzureichender Aufklärung eingetretenen ‑ Fall einer sogenannten „wrongful conception“ festgehalten, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinne bedeuten kann. Die für die Eltern sich daraus ergebenden Rechtsfolgen sind grundsätzlich familienrechtlich erfasst und abgewogen, wobei die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen haben. Nur dort, wo ganz besondere Umstände vorliegen, die der typisierten umfassenden Bewertung im Rahmen des familienrechtlichen Verhältnisses nicht entsprechen, kann die schadenersatzrechtliche Ausgleichsfunktion durchdringen. Dies wurde im Fall der Geburt eines behinderten Kindes, aber auch bei der Geburt eines gesunden Kindes, wenn die zusätzliche Unterhaltsbelastung eine „ungewöhnliche und geradezu existenzielle Erschwerung wegen der zu gering verfügbaren Unterhaltsmittel“ zur Folge hätte, in Betracht gezogen (6 Ob 101/06f, 6 Ob 148/08w; ähnlich auch 2 Ob 172/06t und grundlegend schon 1 Ob 91/99k). Diese Ausnahme betrifft jedoch nur solche Fälle, in denen durch den Unterhaltsaufwand im Ergebnis eine personal-existenzielle Notsituation drohen würde (F. Bydlinski, Das Kind als Schadensursache im Österreichischen Recht, Liber amicorum Koziol [2000] 29 [46]).

Die Klägerin hat nun zwar vorgebracht, die Geburt ihres fünften Kindes habe eine zusätzliche Unterhaltsbelastung mit sich gebracht, die eine „ungewöhnliche und geradezu existenzielle Erschwerung wegen zu geringer verfügbarer Unterhaltsmittel für das Kind und die Klägerin sowie für ihren Ehemann zur Folge“ gehabt habe. Sie hat jedoch dazu ‑ auch nach Bestreitung durch die Beklagten ‑ keine konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt, deren Nachweis eine solche außergewöhnliche (geradezu existenzielle) Belastung aufzeigen könnte. Der bloße Hinweis auf die „ohnehin vorhandene schlechte wirtschaftliche Lage der Familie“ sowie auf die „Mehrbelastung des Familienbudgets“ durch die Geburt eines (weiteren) Kindes reicht nicht aus, um weitere Erörterungen und eine Zurückverweisung an das Erstgericht zu rechtfertigen. Die Klägerin hat kein Vorbringen dazu erstattet, aus welchen konkreten Gründen die elterlichen Unterhaltsbelastungen durch das weitere, unerwünschte Kind eine „ganz außergewöhnliche Belastung“ mit sich gebracht haben sollten. Auch die Rekursbeantwortung präzisiert die bloße Behauptung, die Geburt des zusätzlichen Kindes habe die Klägerin „in eine existenzielle Notlage versetzt“, nicht, sondern wiederholt sie nur. Im Übrigen hat die Klägerin selbst in ihrer Berufung gegen das Streiturteil ausgeführt, dass ihr Ehemann den Ausgleichszulagenrichtsatz erhält. Dieser soll gerade auch die Verpflichtungen des Pensionsempfängers für Unterhaltsberechtigte abdecken und eine existenzielle Sicherung gewährleisten (vgl 10 ObS 147/12h). Insoweit ist auch aus dem Akteninhalt trotz Bezugs einer Ausgleichszulage eine „existenzielle Notlage“ als Folge der Mehrbelastung durch das weitere Kind (‑ die erste, bereits 20‑jährige Tochter erhält laut Rekursbeantwortung bereits seit Jahren keinen Unterhalt von der Klägerin und lebt in Ägypten ‑) nicht ersichtlich.

Das Klagebegehren erweist sich daher hinsichtlich der geltend gemachten Unterhaltsansprüche als im klagsabweisenden Sinne spruchreif. Dies betrifft sowohl das Zahlungsbegehren im Umfang der eingeforderten Unterhaltsansprüche für den Zeitraum von 22. 9. 2009 bis 31. 8. 2012 (6.542 EUR sA), als auch das auf Feststellung der Haftung für alle zukünftig erbrachten Unterhaltszahlungen gerichtete Begehren. In diesem Umfang war daher das erstgerichtliche Urteil als Teilurteil wiederherzustellen.

2. Der Rekurs der Beklagten ist hinsichtlich der weiters geltend gemachten Schmerzengeldansprüche und der Frage der Verjährung in keiner Weise ausgeführt. Insoweit bleibt es daher beim Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts.

2.1. Zur behaupteten Verletzung der die Beklagten treffenden Pflichten aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag mit der Klägerin über die am 8. 1. 2008 durchgeführte Tubensterilisation wurden bisher nur einander widersprechende Behauptungen aufgestellt und noch keine Feststellungen getroffen. Ob daher ‑ wie von den Beklagten behauptet ‑ die Sterilisationsoperation lege artis durchgeführt und lediglich ein nach solchen Eingriffen (wenngleich seltener) möglicher „Versager“-Fall eingetreten ist, muss zunächst erhoben werden. Sollte die medizinische Behandlung lege artis verlaufen sein, so stellt sich die weitere, von der Klägerin aufgeworfene Tatsachenfrage, ob ein ausreichendes Aufklärungsgespräch (vgl RIS‑Justiz RS0026578, RS0118355) durchgeführt und sie auf erforderliche Kontrollen sowie auf die Möglichkeit einer neuerlichen Schwangerschaft trotz dieses Eingriffs (und daher notwendige Vorkehrungen) hingewiesen wurde. Sollte sich eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht herausstellen, so wäre ein Ersatzanspruch für die von der Klägerin behaupteten psychischen Beeinträchtigungen (begründete Besorgnis um ihr Leben, weil ihr die Ärzte eine weitere Schwangerschaft als lebensbedrohlich geschildert und zur Sterilisation geraten hatten) denkbar (vgl RIS‑Justiz RS0030778).

2.2. Der von den Beklagten erhobene Verjährungseinwand kann dem Schadenersatzanspruch der Klägerin ‑ wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat ‑ jedenfalls im derzeitigen Verfahrensstadium nicht erfolgreich entgegen gehalten werden. Sie hat von ihrer unerwünschten Schwangerschaft zwar am 20. 3. 2009 Kenntnis erlangt, sie stützt ihre Ansprüche aber darauf, dass sie im Hinblick auf die ihr geschilderten, erheblichen Risiken einer neuerlichen Schwangerschaft nach mehreren Geburten mittels Kaiserschnitt Angst um ihre Gesundheit sowie die des ungeborenen Kindes gehabt und aus diesem Grund eine ‑ Schmerzengeldansprüche rechtfertigende ‑ gesundheitliche Beeinträchtigung erlitten habe. Feststellungen dazu sowie zum Zeitpunkt der Kenntnis der Klägerin von den für eine Klageführung mit Aussicht auf Erfolg maßgeblichen Umständen (RIS‑Justiz RS0034524) fehlen bisher.

3. Im Umfang der geltend gemachten Schmerzengeldansprüche (10.000 EUR sA) ist der Rekurs der Beklagten daher nicht berechtigt.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte