OGH 2Ob172/06t

OGH2Ob172/06t30.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Stefan G*, , und 2. Rebecca G*, beide vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 13.103 sA und Feststellung (Streitwert EUR 20.100), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. Mai 2006, GZ 1 R 64/06f‑25, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. November 2005, GZ 13 Cg 20/05m‑20, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2006:E82791

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Parteien wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.239,29 (darin enthalten EUR 206,55 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Kläger sind verheiratet. Während der Schwangerschaft mit ihrem dritten Kind erkundigte sich die Zweitklägerin nach einem Gespräch mit ihrem Frauenarzt in einer Universitätsklinik über die Möglichkeit einer Eileiterunterbindung. Sie wurde über die zwei Methoden der Eileiterunterbindung, nämlich die Koagulation der Tube (elektrische Verschweißung der Eileiter) und die Unterbindung der Tube mittels Clip (Abklemmen der Eileiter) aufgeklärt. Am 19. 5. 2002 wurde sie zur Geburt ihres dritten Kindes an der Universitätsklinik aufgenommen.

Im Aufnahmegespräche wurde die Zweitklägerin von der aufnehmenden Ärztin darüber aufgeklärt, die Möglichkeit einer neuerlichen Schwangerschaft trotz einer Eileiterunterbindung sei in ein bis fünf Fällen pro Tausend gegeben, nicht aber darüber, dass die „Versagerquote" bei einer Sterilisation mittels Koagulation oder Clip tatsächlich zwischen 0,7 bis 3,65 % liegt, weil bei einer lege artis durchgeführten Sterilisation die Tube auch durch körpereigene Regenerationsvorgänge rekanalisiert werden kann.

Nach Geburt ihres dritten Kindes wurde bei der Zweitklägerin eine Koagulation lege artis durchgeführt.

Wäre die Zweitklägerin über eine „Versagerrate" bei einer Sterilisation durch Koagulation oder mittels Clip von 0,7 - 3,65 % aufgeklärt worden, hätte sie die Eileiterunterbindung durch Koagulation nicht durchführen lassen.

In der Folge wurde die Zweitklägerin trotz der durchgeführten Eileiterunterbindung erneut schwanger und brachte am 25. 8. 2004 eine gesunde Tochter (Katharina) zur Welt.

Aufgrund der Schwangerschaft zu ihrem vierten Kind musste sie Ultraschalluntersuchungen durchführen lassen, wovon nur zwei von der Krankenkasse bezahlt wurden. Die restlichen Untersuchungskosten von ca EUR 400 bezahlte der Erstkläger. Die Operationskosten für die Koagulation betrugen ca EUR 430. Der Erstkläger ließ bei sich eine Vasektomie (Samenleiterunterbindung) durchführen, wofür Operationskosten von EUR 500 aufliefen. Die Zweitklägerin wollte ab Juni 2004 eine halbtägige Stellung als Buchhalterin annehmen und hätte EUR 900 brutto monatlich verdient.

Der Erstkläger begehrt den Ersatz der von ihm übernommenen Kosten der gynäkologischen Untersuchung der Zweitklägerin, der Kosten für die Erstausstattung des Kindes sowie der Operationskosten der Koagulation und der Kosten der bei ihm vorgenommenen Vasektomie. Die Zweitklägerin begehrt den Zuspruch eines Verdienstentganges von EUR 10.780, sowie eines Schmerzengeldes betreffend die Geburt des Kindes von EUR 500. Darüberhinaus stellen die Kläger das Begehren festzustellen, dass ihnen die Beklagte für sämtliche künftigen Schäden und Nachteile aus der fehlgeschlagenen Sterilisation der Zweitklägerin vom 21. 5. 2002, in eventu für sämtliche künftigen finanziellen Nachteile und Schäden aus der Geburt der Tochter Katharina am 25. 8. 2004 zu haften haben.

Die Ärzte der Beklagten hätten die ihnen obliegende Aufklärungspflicht verletzt, weil eine Aufklärung der Kläger über ein mögliches Misslingen der Operation und auch über ein erhöhtes Risiko einer Koagulation aufgrund der postnatalen Situation nicht erfolgt sei. Die Zweitklägerin sei über die Wirkungen und Folgen einer Koagulation sowie über das Risiko einer Beeinträchtigung der Eileiter und den damit verbundenen vorzeitigen Wechseleintritt nicht aufgeklärt worden. Wären die Kläger darüber in Kenntnis gesetzt gewesen, dass eine Sterilisation nicht hundertprozentig wirke und die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft trotz Koagulation höher sei als bei der Verwendung eines Präservativs, hätte sich die Zweitklägerin keiner Koagulation unterzogen. Die Beklagte hafte für das Misslingen der Operation und habe für den vereinbarten Erfolg - nämlich dass die Zweitklägerin nicht mehr schwanger werde - einzutreten.

Die Beklagte wendete ein, ihren Mitarbeitern sei weder ein Kunstfehler unterlaufen, noch sei ihnen eine mangelhafte Aufklärung vorzuwerfen. Der Eingriff bei der Zweitklägerin sei lege artis und mit deren Einwilligung nach entsprechender ausführlicher Aufklärung erfolgt. Der Zweitklägerin sei ein Aufklärungsbogen ausgehändigt worden, aus dem die Sicherheit der Sterilisationsmethoden hervorgegangen sei. Die Zweitklägerin sei in einem persönlichen Gespräch mit einer Ärztin auf die Versagerquote aufmerksam gemacht worden; jedenfalls sei sie ausführlich darauf hingewiesen worden, dass ein hundertprozentiger Erfolg nicht gewährleistet werden könne.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs - gerafft - wiedergegebenen Sachverhalt dahingehend, den Ärzten der Beklagten könne kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden, weil die Eileiterunterbindung mittels Koagulation lege artis durchgeführt worden sei. Die Zweitklägerin habe ihre Einwilligung zur Sterilisation ohne Willensmängel erteilt. Der den Klägern obliegende Beweis der mangelnden Aufklärung sei misslungen.

Das Berufungsgericht verpflichtete - im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft - die Beklagte zur Zahlung von EUR 823 sA an den Erstkläger (Rückersatz der Kosten der Sterilisation sowie Kosten der gynäkologischen Untersuchung der Zweitklägerin) und von EUR 2.158,40 sA an die Zweitklägerin (Verdienstentgang von EUR 1.658,40 sowie Schmerzengeld von EUR 500). Das Mehrbegehren auf Zahlung von EUR 1.000 sA an den Erstkläger und von EUR 9.121,60 sA an die Zweitklägerin sowie das Feststellungs- und Eventualbegehren wies es ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Es führte rechtlich aus, die Zweitklägerin sei zwar am Tage ihrer Aufnahme von der zuständigen Ärztin mündlich über die Risiken und die Versagerrate der geplanten Eileiterunterbindung aufgeklärt worden; die Aufklärung über die „Versagerquote" sei jedoch unrichtig gewesen, weil jene Quote, die der Zweitklägerin mitgeteilt worden sei - nämlich 1‑5/1000 - nicht annähernd der tatsächlichen Misserfolgsquote von 0,7 ‑ 3,65 % entspreche. Die Aufklärung sei daher inhaltlich falsch gewesen, weshalb der Beklagten eine von ihr zu vertretende Verletzung der Aufklärungspflicht durch Ärzte vorzuwerfen sei. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht treffe den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur ärztlichen Maßnahme erteilt hätte. Den Beweis dafür, dass die Zweitklägerin die Koagulation auch durchführen hätte lassen, wenn sie über die richtige Versagerquote von 0,7 bis 3,65 % informiert worden wäre, habe die Beklagte nicht erbracht. Dem Grunde nach lägen wegen der erfolgten Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht und der deshalb nicht rechtswirksamen Einwilligung der Zweitklägerin die Voraussetzungen für die Haftung der Beklagten vor.

Der Oberste Gerichtshof habe aber in einer Entscheidung (1 Ob 91/99k) zum Thema des Schadenersatzes wegen einer unerwünschten Geburt Stellung genommen und obiter zum Ausdruck gebracht, die Annahme der Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes stelle keine Ursache eines ersatzfähigen Vermögensschadens dar. Das Berufungsgericht teile die auch in der Lehre vertretene Rechtsmeinung, dass die wirtschaftlichen Belastungen, die die Eltern aufgrund der Geburt eines nicht gewollten gesunden Kindes träfen, nicht als ersatzfähiger Schaden zu werten seien.

Sowohl das Begehren des Erstklägers auf Rückersatz der Kosten der Erstausstattung des Kindes als auch die Feststellungsbegehren beider Kläger seien daher nicht gerechtfertigt. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof nur einmal (1 Ob 91/99k) mit der Frage des Schadenersatzes für ein unerwünschtes gesundes Kind beschäftigt habe.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger, in der die Stattgebung des gesamten Klagebegehrens beantragt wird, ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Sie liegt nicht vor, was nicht weiters zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Vorauszuschicken ist, dass die Entscheidung der Vorinstanz in dem der Klage stattgebenden Teil unbekämpft geblieben ist.

Die Kläger machen jenen Schaden gelten, der ihnen daraus entstanden sein soll, dass sie ihrem am 25. 8. 2004 geborenen vierten Kind unterhaltspflichtig sind.

Der 6. Senat des Obersten Gerichtshofes hat sich kürzlich in einem vergleichbaren Fall (ungenügende Aufklärung über die seltene Möglichkeit der Wiederverbindung der durchgetrennten Samenleiter [Vasektomie]) ausführlich mit der auch hier zur Beurteilung anstehenden Frage auseinandergesetzt, ob aus der Geburt eines (gesunden) Kindes ein Schadenersatzanspruch entstehen kann (6 Ob 101/06f = EvBl 2006/171 [Steininger] = EF‑Z 2006/79, 131 [Leitner] = FamZ 2006/70, 198 [Neumayr] = Zak 2006/610, 358 [Kletecka 343]; hiezu auch Wilhelm, ecolex 2006, 793).

Dabei ist der 6. Senat nach eingehender Wiedergabe der bisher ergangenen Judikatur und der in- und ausländischen Lehre (auf die Entscheidungsgründe kann verwiesen werden) zur Rechtsansicht gekommen, die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes bedeute keinen Schaden im Rechtssinne. Das Schadenersatzrecht habe nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwertes des Kindes darstellten und die ohnedies familienrechtlich geordnet seien. Insoweit hätten in der Abwägung die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen. Die Diskussion um die hier auch zu berücksichtigenden, mit der Existenz eines Kindes verbundenen Vorteile zeige deutlich die Unangemessenheit einer rein schadenersatzrechtlichen Betrachtungsweise. Die Überwälzung eines Aufwands im Wege des Schadenersatzes setze das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens voraus, der in der Geburt eines Kindes im Regelfall aber nach der Wertung der Rechtsordnung gerade nicht zu erblicken sei.

In dieser Auffassung liege auch keine Diskriminierung von Behinderten. Die Einstufung einer Unterhaltspflicht als Schaden sei gerade nicht Ergebnis einer Differenzierung nach der Behinderung oder Nichtbehinderung im Sinne einer „Bewertung" des Kindes, sondern Ausdruck der Abwägung zweier fundamentaler Rechtsprinzipien, nämlich des positiven personalen Eigenwertes jedes Kindes einerseits und der Ausgleichs- und Präventionsfunktion des Schadenersatzrechts andererseits. Eine ausnahmsweise Zuerkennung von Schadenersatz trotz des personalen Eigenwerts jedes Kindes sei nicht Folge einer negativen Bewertung eines behinderten Kindes, sondern ausschließlich der Versuch eines geldwerten Ausgleichs eines besonderen Unterhaltsbedarfs.

Der erkennende Senat teilt die Rechtsmeinung des 6. Senats.

Das auf den Titel des Schadenersatzes gegründete Klagebegehren muss daher schon deshalb scheitern, weil in der Geburt eines gesunden, aber unerwünschten Kindes ein „ersatzfähiger Schaden" schon begrifflich nicht erblickt werden kann. Das komplexe Eltern‑Kind‑Verhältnis verbietet es, lediglich den Teilaspekt der finanziellen Belastung der Eltern herauszugreifen.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um „wrongful conception" (wie in 6 Ob 101/06f) und nicht um „wrongful birth" (wie in 5 Ob 165/05h). Aus diesem Grund muss auf die in 5 Ob 165/05h vertretene Rechtsmeinung mangels Vergleichbarkeit des Sachverhaltes nicht eingegangen werden. Umso weniger besteht ein Anlass für eine Verstärkung des Senates gemäß § 8 OGHG.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

 

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