OGH 8Ob6/15p

OGH8Ob6/15p23.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Mag. Thomas Nitsch, Dr. Sacha Pajor, Rechtsanwälte in Mödling, gegen die beklagte Partei C***** S*****, vertreten durch Mag. Michael Warzecha, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.633,67 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 5. November 2014, GZ 18 R 108/14g-28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 30. Juni 2014, GZ 3 C 585/13w-20, 21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00006.15P.0123.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 768,24 EUR (darin 128,04 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin und der Beklagte nahmen mit ihren jeweils rund neun Monate alten Hunden am 11. 11. 2012 an einem Junghundekurs teil. Der Hund des Klägers war ein Mischlingshund mit einer Schulterhöhe von knapp einem halben Meter und einem Gewicht von 20 bis 25 kg.

Während die Streitteile mit ihren Tieren von einem absolvierten Übungsgerät zum nächsten gingen, beobachtete der Beklagte, dass sich sein nur lose angeleinter Hund in schnellem Schritt auf die vorangehende Klägerin zubewegte. Der Beklagte nahm an, dass der Hund ohnehin von der Klägerin Abstand halten werde und griff erst dann durch Anziehen der Leine ein, als das Tier bereits so knapp hinter der Klägerin war, dass es nicht mehr gestoppt werden konnte und gegen ihre rechte Kniekehle stieß.

Die Klägerin, die eine anlagebedingte Vorschädigung des Kniegelenks aufwies, kam durch den Anstoß zu Sturz und wurde erheblich verletzt. Ohne Vorerkrankung wäre der Eintritt einer gleichartigen Verletzung unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich gewesen.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz und die Feststellung der Haftung des Beklagten für in Zukunft noch zu erwartende Unfallfolgen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (unter Abweisung eines geringfügigen, im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittigen Teils) statt. Dem Beklagten sei es als sorgfaltswidrig vorzuwerfen, die Leine seines auf die Klägerin zulaufenden Hundes nicht rechtzeitig angezogen zu haben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch auf einem Hundeabrichteplatz treffe den Tierhalter grundsätzlich die Pflicht, sein Tier so zu verwahren und zu beaufsichtigen, dass vermeidbare Verletzungen anderer Hundebesitzer hintantgehalten werden. Im gegenständlichen Fall habe sich nur die typische, leicht zu vermeidende Gefahr eines jungen, größeren und noch nicht abgerichteten Hundes verwirklicht. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Unfall auf einem Hundeabrichteplatz ereignet habe und noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer ähnlichen Fallkonstellation bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die von der klagenden Partei beantwortete Revision des Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Der Revisionswerber macht zusammengefasst geltend, die Vorinstanzen hätten die Voraussetzungen für eine Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB unrichtig beurteilt. Auf einem Hundeabrichteplatz seien an die Verwahrungspflicht geringere Anforderungen zu stellen. Es sei für den Beklagten auch nicht vorhersehbar gewesen, dass sein Hund in die Klägerin „hineinlaufen“ werde, jedenfalls habe er nicht damit rechnen müssen, dass sie sich dabei verletzen könnte.

2. Mit diesen Ausführungen zeigt die Revision aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter erforderlich ist, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und richtet sich nach den dem Tierhalter bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres und den jeweiligen Umständen (RIS-Justiz RS0030058; RS0030567; RS0030157). Maßgeblich ist die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung und eine Abwägung der betroffenen Interessen (RIS-Justiz RS0030081 [T16]).

Die Anforderungen an die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht dürfen zwar nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0029999; RS0030365); sind dem Tierhalter jedoch Eigenschaften eines Tieres bekannt oder hätten sie ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit bekannt sein müssen, die zu einer Gefahrenquelle werden können, wie etwa nervöse Reaktionen, ungestümes Verhalten, Unfolgsamkeit und dergleichen, hat er auch für die Unterlassung der wegen dieser besonderen Eigenschaften erforderlichen und nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen einzustehen (RIS-Justiz RS0030472).

Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Gesetzgeber im § 1320 ABGB zwar keine (volle) Gefährdungshaftung normiert hat, die besondere Tiergefahr aber dadurch berücksichtigt wird, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird (2 Ob 211/09g; 3 Ob 2229/96g = SZ 69/162; 2 Ob 180/98d = ZVR 1999/107; 2 Ob 46/01f; 2 Ob 13/01b; 3 Ob 110/07h; RIS-Justiz RS0105089).

Die Einhaltung der objektiv erforderlichen Sorgfalt hat stets der Tierhalter zu beweisen. Misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch allenfalls subjektiv schuldloses Verhalten (RIS‑Justiz RS0105089).

3. Die Möglichkeit, dass ein junger, relativ großer und schwerer, noch nicht abgerichteter Hund jemandem in spielerischem Übermut einen Stoß versetzt, liegt ebensowenig außerhalb der Lebenserfahrung wie die Gefahr, dass diese Person dadurch das Gleichgewicht verliert, zu Sturz kommt und sich verletzt.

Die Auffassung der Vorinstanzen, dass dem Beklagten der Beweis objektiv sorgfältigen Verhaltens misslungen ist, weil er seinen Hund nicht unverzüglich an der Leine zurückgehalten hat, als er sah, dass das 20 bis 25 kg schwere Tier „in schnellem Schritt“ auf die Klägerin zulief, ist nach den dargelegten Grundsätzen nicht unvertretbar. Davon, dass der Beklagte seinen Hund überhaupt nur an der kurzen Leine führen hätte dürfen, sind die Vorinstanzen entgegen den Revisionsausführungen ohnehin nicht ausgegangen.

4. Der Schauplatz des gegenständlichen Unfalls war zwar ein Hundeabrichteplatz, allerdings bestand kein fassbarer kausaler Zusammenhang mit einer bestimmten Ausbildungsmaßnahme oder mit einer Besonderheit des Geländes. Der Vorfall ereignete sich auf dem Weg zwischen zwei Übungsstationen, in einer Situation, wie sie alltäglich auch auf einer Straße vorkommen könnte, sodass sich die vom Berufungsgericht für wesentlich erachtete Rechtsfrage hier nicht stellt.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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