OGH 3Ob2229/96g

OGH3Ob2229/96g10.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rüdiger M*****, vertreten durch Dr.Walter Haupolter, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Georg M*****, vertreten durch Dr.Grosch & Partner, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen S 74.193 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 30.August 1995, GZ 4 R 370/95-29, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 20. April 1995, GZ 4 C 38/93w-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Bezahlung von S 74.193 sA. Ein vom Beklagten gehaltenes Pferd habe seinen auf einem Parkplatz abgestellten PKW beschädigt, wodurch ihm ein Schaden in der eingeklagten Höhe entstanden sei. Der Beklagte habe das Tier unzureichend verwahrt, insbesondere sei es wegen der dort entwickelten Surr- und Schaltgeräusche unsachgemäß gewesen, das Pferd im Bereich einer Transformatorstation an einem Mast anzubinden.

Der Beklagte wendete ein, daß er das Tier, bei dem es sich um eine äußerst gutmütige Haflingerstute gehandelt habe, ausreichend verwahrt habe. Das Losreißen des Tieres sei deshalb möglich gewesen, weil der eiserne Karabinerring, mit dem es befestigt wurde, gebrochen sei. Der Karabinerring habe keine für ihn erkennbare Beschädigung aufgewiesen und sei ausreichend dimensioniert gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der Beklagte fuhr am 28.5.1992 mit einem Sulky, der von einer vierjährigen Haflingerstute gezogen wurde, auf einen öffentlichen Parkplatz. Er verwahrte dort das Tier mit dem angehängten Sulky ausreichend, in dem er es mit einem Strick, an dessen Ende sich ein Karabiner befand, an der Querstrebe eines Strommastes anhängte. Diese Art, ein Pferd zu verwahren, ist üblich und ausreichend. Sowohl der zur Verwahrung verwendete Strick als auch der Karabiner waren ausreichend dimensioniert.

Der Beklagte begab sich sodann auf die Terrasse eines Gasthofs, um dort etwas zu konsumieren. Er war dabei etwa 15 m vom Pferd entfernt und hatte ständig Sichtkontakt. Das Pferd geriet aus ungeklärter Ursache in Panik. Da der Karabiner wegen eines Materialfehlers brach, riß es sich los und beschädigte in weiterer Folge unter anderem das Fahrzeug des Klägers. Der Materialfehler, durch den der Bruch des Karabiners verursacht wurde, war für den Beklagten nicht erkennbar.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus dem festgestellten Sachverhalt, daß der Beklagte den nach dem Gesetz geforderten Beweis der ausreichenden Verwahrung des Tieres erbracht habe.

Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung des Klägers dieses Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es war ebenfalls der Meinung, daß dem Beklagten der seine Haftung ausschließende Beweis einer ausreichenden Verwahrung des Tieres gelungen sei. Zu dem Vorbringen des Klägers, daß das Anbinden des Pferdes im Bereich der Trafostation wegen der dort entstehenden Umschalt- und Surrgeräusche nicht sachgemäß gewesen sei, müßten Beweise nicht aufgenommen werden, weil es nicht darauf ankomme, aus welcher Ursache das Tier in Panik geraten sei. Entscheidungswesentlich sei nämlich, daß es sich auch ohne den vom Beklagten nicht erkennbaren Materialfehler auch in Panik nicht losreißen hätte können.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene außerordentliche Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes mit der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur erforderlichen Verwahrung eines Tieres nicht im Einklang steht; sie ist auch berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist allerdings nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Es werden nämlich nur Feststellungsmängel geltend gemacht, die mit der rechtlichen Beurteilung der Sache im Zusammenhang stehen. Die entsprechenden Ausführungen gehören daher zur Rechtsrüge (JBl 1982, 311; EF 34.501; SZ 23/175 ua) und werden im folgenden behandelt.

Unbestritten und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl RZ 1992/32 mwN) entsprechend ist der Beklagte Halter des Tieres. Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB ist er daher zum Ersatz des dem Kläger durch das Tier verursachten Schadens verpflichtet, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.

Die angeführte Bestimmung wurde in der älteren Rechtsprechung und wird zum Teil im Schrifttum dahin verstanden, daß damit eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast festgelegt wird (so ZVR 1980/276; ZVR 1980/158; SZ 52/86; SZ 27/8 ua; Harrer in Schwimann Rz 20, 21 zu § 1320 und in JBl 1996, 21). Diese Ansicht entspricht zwar den Ausführungen in dem von der Kommission des Herrenhauses für Justizgegenstände zur 3.Teilnovelle erstatteten Bericht (s Mat zur 3. TN 396). In der Entscheidung EvBl 1982/43 = JBl 1982,150 (zust Koziol) hat der Oberste Gerichtshof aber unter Berufung auf Ehrenzweig (System2 II/1, 676), Gschnitzer (Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz 181), Koziol (Haftpflichtrecht II 329; nunmehr II2 406) und Wolff (in Klang2 VI 110) darauf hingewiesen, daß es nach dem Gesetzeswortlaut bedeutungslos ist, aus welchen Gründen die notwendige Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres unterlassen wurde. Daraus wurde gefolgert, daß der Tierhalter auch dann hafte, wenn die objektiv erforderlichen Maßnahmen schuldlos unterblieben sind. Diese Ansicht vertreten jetzt auch Ehrenzweig/Mayrhofer (Schuldrecht3 300) und Reischauer (in Rummel2 Rz 20 zu § 1320). In der Folge hat der Oberste Gerichtshof mehrfach wiederholt, daß nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist, ob der Tierhalter für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat (RZ 1985/28; RZ 1983/27; 1 Ob 564/89 ua). Kommt es aber nur auf die Einhaltung der objektiven Sorgfalt an, ist es unbeachtlich, aus welchen Gründen der Halter nicht in der Lage war, den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab einzuhalten. Damit ist klargestellt, daß - den Materialien folgend - den Tierhalter keine volle Gefährdungs- (ja sogar Erfolgs-)haftung trifft (vgl Reischauer aaO Rz 20, 21). Die in § 1320 ABGB normierte Beweislastumkehr bezieht sich somit ausschließlich auf die Frage der Rechtswidrigkeit (vgl Ehrenzweig/Mayrhofer aaO). Mißlingt dem Tierhalter dieser Beweis der ordnungsgemäßen Verwahrung und Beaufsichtigung, haftet er für rechtswidriges wenn auch schuldloses Verhalten.

Das Maß der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung ist in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu bestimmen. Dabei spielen die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und die Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Rolle (EvBl 1982/43 = JBl 1982, 150; 1 Ob 564/89; 1 Ob 670/82; 1 Ob 683/82, 7 Ob 796/82). Es ist nicht nur das bisherige Verhalten des Tieres, sondern auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung durch das Tier zu prüfen (RZ 1983/27; EvBl 1982/43 = JBl 1982, 150; Reischauer aaO Rz 12 zu § 1320).

Stehen mehrere Verwahrungsorte zur Verfügung, so ist unter den dargelegten Gesichtspunkten die Verwahrung an jenem Ort "erforderlich" im Sinne des § 1320 Satz 2 ABGB, an dem die Gefahr der Verursachung eines Schadens möglichst gering ist. Bei mehreren sonst gleichwertigen Möglichkeiten einer Verwahrung muß daher vom Tierhalter verlangt werden, daß er das Tier nicht an einem Ort verwahrt, an dem mit größerer Wahrscheinlichkeit als an den anderen Orten mit einem Verhalten des Tieres zu rechnen ist, das zu einem Schaden an Personen oder Sachen führen kann. Er muß das Tier dann an einem der anderen Orte verwahren. Den Tierhalter befreit es in einem solchen Fall entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes noch nicht, wenn er das Tier auf eine Weise anbindet, von der er annehmen darf, daß es sich nicht losreißen kann, weil er die Gefahr des - jedenfalls bei bloß gewöhnlicher Art der Verwahrung nie mit vollständiger Sicherheit auszuschließenden - Losreißens erhöht hat. Er hat dann nicht die von ihm objektiv zu erwartende Sorgfalt angewendet. Ob etwas anderes gilt, wenn der Tierhalter unter solchen Umständen der erhöhten Gefahr durch eine besonders sichere Art der Verwahrung Rechnung zu tragen sucht, ist hier nicht zu erörtern, weil dies nicht geschah.

Es sind daher, wie dies in der Revision mit Recht verlangt wird, Feststellungen darüber notwendig, ob dadurch, daß der Beklagte das Pferd in der Nähe eines Transformators verwahrt hat, gegenüber anderen ihm zur Verfügung stehenden Orten der Verwahrung die Gefahr wesentlich erhöht wurde, daß sich das Pferd loszureißen versuchen wird. War dies der Fall, so hat er nach dem Gesagten nicht für die erforderliche Verwahrung des Pferdes gesorgt und hat dem Kläger daher gemäß § 1320 Satz 2 ABGB den verursachten Schaden zu ersetzen. Wurde hingegen durch die Art der Verwahrung die Gefahr des Losreißens nicht erhöht, so ist der Beklagte zum Schadenersatz nicht verpflichtet, weil dann die von ihm gewählte Art der Verwahrung ausreichend war. Da der Kläger bei seinen zu dieser Frage in der Revision erstatteten Ausführungen nicht von dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt ausgeht, genügt es gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO, in diesem Punkt auf die Richtigkeit der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hinzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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