OGH 1Ob564/89

OGH1Ob564/8914.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr. Kodek und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sibille S***, Angestellte, Hamburg, Kollwitzring 10, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Ingo Woldrich, Rechtsanwalt in Spittal a.d.Drau, wider die beklagte Partei Alois P***, Landwirt, Sappl 11, vertreten durch Dr.Peter S.Borowan und Dr.Erich Roppatsch, Rechtsanwälte in Spittal a.d.Drau, wegen S 24.165,50 samt Anhang infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 11.Jänner 1989, GZ 3 R 542/88-29, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 18.Juli 1988, GZ 4 C 282/86-22, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 10.124,80 bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten S 1.261,-- USt und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin machte am 1.8.1985 mit fünf weiteren Personen eine Wanderung auf dem öffentlichen Wanderweg Nr. 1914 bzw. 58 von der Lammersdorfer Hütte zur Glockner-Hütte/Ambroshütte. Der Wanderweg führt über die in ca. 1500 m Seehöhe gelegene eingefriedete Sappleralm des Beklagten. Im talseitigen Bereich der Alm befindet sich ein neu errichteter Viehunterstand. Nördlich dieser Hütte führt der markierte Wanderweg vorbei. Die Eingänge dieses Wanderweges auf die Alm bestehen aus einem winkelförmig angeordneten Holzzaun, der für Großtiere unpassierbar ist. Dieser Wanderweg wird während der Sommermonate von zahlreichen Wanderern benützt. Auf dieser Alm weidete auch eine Norikerstute des Beklagten mit ihrem Fohlen (6. Wurf). Das Pferd befand sich im Sommer schon seit seinem ersten Lebensjahr auf der Alm. Es ist an Touristen gewöhnt. Der Beklagte kontrolliert die Weide einmal wöchentlich. Als die Klägerin die Alm durchquerte, näherte sich das Pferd ohne Fohlen der Gruppe. Es ging ruhig und schnaubte nicht. Als das Pferd bei der Klägerin angelangt war, drehte es sich plötzlich um und trat die Klägerin mit dem Huf gegen die rechte Hüfte und den Oberschenkel. Dadurch wurde die Klägerin verletzt.

Die Klägerin begehrt den Zuspruch des Betrages von S 24.165,50 samt Anhang (Schmerzengeld, Behandlungs- und Arzneikosten, Fahrtauslagen, Telefonspesen, Sachschäden). Beim Pferd habe es sich offensichtlich um ein gefährliches Tier gehandelt, das nicht gehörig verwahrt worden sei. Pferde seien an und für sich nicht ungefährlich. Die Gefährlichkeit (Bösartigkeit) des Tieres sei dem Beklagten bekannt gewesen. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, durch Anbringen von Warntafeln auf die Gefährlichkeit des Pferdes hinzuweisen.

Der Beklagte wendete ein, das Pferd sei gutmütig. Es habe sich schon mehrere Jahre jeweils mit einem Fohlen, ohne beaufsichtigt zu werden, auf der Alm, durch die täglich hunderte Leute wanderten, befunden. Der Wanderweg führe schon seit mehr als 30 Jahren durch die Alm. Es habe nie Anstände gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dem Beklagten sei vor diesem Vorfall nicht zu Ohren gekommen, daß sich sein Pferd gefährlich oder aggressiv gegen Wanderer verhalten hätte. Die zehnjährige Norikerstute sei ein temperamentvolles Tier und etwas nervös, wenn es im Stall mit unbekannten Personen konfrontiert werde. Dies entspreche der angeborenen Eigenschaft des Pferdes. Diese Eigenschaft verstärke sich, wenn die Stute hochtragend sei oder wenn sie schon ein Fohlen führe. Sie gewöhne sich jedoch rasch an eine neue Situation. Der Tritt gegen die Klägerin sei aus einem nicht mehr feststellbaren Schreckzustand des Tieres bei grundsätzlich gutmütiger Grundhaltung zu erklären. Das nervöse Verhalten des Pferdes im Stall, wenn ein Fremder diesen betrete, stelle sich nicht ein, wenn sich das Pferd auf der gewohnten Weide aufhalte und an die zahlreichen Wanderer gewöhnt sei. Noriker seien Kaltblüter, Kaltblüter seien grundsätzlich weniger nervös als Warmblüter.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß das Pferd des Beklagten nicht potentiell gefährlich sei. Bei der jahrelangen problemlosen Haltung des Pferdes auf der Alm könne vom Beklagten eine Änderung der Art und Weise der Tierhaltung nicht verlangt werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung zurück. Die Beweisrüge sei nicht berechtigt. Die Frage der Gefährlichkeit eines Tieres hänge sowohl vom allgemeinen Verhalten der Tiergattung als auch vom besonderen Verhalten des Einzeltieres ab. Diese Frage sei aber keineswegs eine reine Tatfrage. Almwege, die zwangsläufig auch von vielen berg- und großtierunerfahrenen Personen begangen würden, und die gegenüber früher einen wesentlich veränderten Benützerkreis aufwiesen, bedingten andere als die üblichen Verwahrungserfordernisse. Der Kontakt zwischen nicht weitgehend ungefährlichen Tieren und in der Tierbehandlung unerfahrenen Touristen sei nach Möglichkeit einzuschränken. Bei einer Pferdestute mit einem Fohlen handle es sich um ein jedenfalls nicht weitgehend ungefährliches Tier. Es sei sowohl von einem ausgeprägten Mutter- und Beschützerinstinkt, als auch von einem gewissen Temperament und einer gewissen Nervosität des Pferdes auszugehen. Obwohl das Pferd auf der Alm wegen der starken Frequenz des Wanderweges mit Wanderern vertraut gewesen sei, könne doch eine direkte Begegnung mit solchen dem Pferd nicht konkret bekannten Wanderern nicht einer Begegnung mit einer vertrauten Person gleichgesetzt werden. Trotz des allgemeinen Vertrautseins erscheine also bei einem direkten Kontakt des Pferdes mit unbekannten Wanderern der bestehende Argwohn und die Scheu gegen alles Fremde weiterhin aufrecht und mit allen möglichen Reaktionen verbunden. Der Beklagte hätte daher das Pferd mit dem Fohlen auf der durch den frequentierten Wanderweg in der freien Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit stark eingeschränkten Almwiese nicht belassen dürfen. Er habe daher das Pferd in unzureichender Weise verwahrt. Es komme dabei nicht auf eine Üblichkeit einer solchen Verwahrungsart an, sondern lediglich auf den notwendigen Schutz der den öffentlichen Wanderweg berechtigterweise benützenden Touristen. Der Beklagte hafte daher dem Grunde nach. Das Erstgericht werde die geltend gemachten Forderungen der Höhe nach zu prüfen haben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist berechtigt.

Gleichgültig, ob man die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB - wie die herrschende Rechtsprechung - als Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast oder - wie die überwiegende Lehre (Ehrenzweig-Mayrhofer, Schuldrecht3 300 FN 4; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 406 f; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 20, 21 zu § 1320; Gschnitzer-Faistenberger-Barta-Eccher, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz2 519; aA Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 20 zu § 1320) und ihr folgend die Entscheidung JBl 1982, 150 als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung deutet, hat der Halter dann nicht für den von diesem herbeigeführten Schaden einzustehen, wenn ihm der Beweis gelingt, daß er für die nach der erwähnten Gesetzesstelle erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Dies ist allerdings nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Hat der Tierhalter für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt, dann mangelt es an dem für seine Haftung vorausgesetzten objektiven Fehlverhalten im Sinne mangelnder Rechtswidrigkeit (RZ 1985/28). Die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung hat in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu erfolgen. Dabei spielt die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und die Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Rolle (JBl 1982, 150, 1 Ob 670/82, 1 Ob 683/82, 7 Ob 796/82). Es ist dabei nicht nur das bisherige Verhalten des Tieres, sondern auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung durch das Tier zu prüfen (RZ 1983/27; Reischauer aaO, Rz 12 zu § 1320). Sowohl für Kühe (JBl 1964, 90) als auch für Pferde (EvBl 1970/326; 8 Ob 201, 202/79) sprach der Oberste Gerichtshof bereits aus, daß eine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht von auf Almen gehaltenen Tieren nur dann besteht, wenn dies mit Rücksicht auf die spezielle Eigenschaft des Tieres erforderlich ist. Auf Almwegen ist ein Angriff von gutmütigen Kühen und Pferden auf Menschen nicht zu erwarten. Eine Trennung von Mensch und Tier durch Zäune ist auf Almen daher auch keineswegs üblich. Wegen der Größe der Almen ist dann aber eine Beaufsichtigung der Tiere derart, daß eine Annäherung von gutmütigen Tieren an Wanderer verhindert werden könnte, nicht möglich. Aus der Tatsache allein, daß ein markierter Wanderweg durch die Almgebiete des Beklagten führte, kann daher noch nicht der Schluß gezogen werden, daß der Beklagte auf dieser Alm ohne weitere Beaufsichtigung sein Pferd nicht hätte weiden lassen dürfen oder verpflichtet gewesen wäre, eine abgezäunte Pferdekoppel zu errichten (vgl EvBl 1970/326). Anders als in den Fällen der Entscheidung EvBl 1970/326 und 5 Ob 203/74 liegen Anhaltspunkte, die zu einer strengeren Beurteilung der Beaufsichtigungspflicht des Beklagten führten, nicht vor. So wurde in der Entscheidung EvBl 1970/326 die Haftung einer Kärntner Agrargemeinschaft für die Beschädigung einer Touristin auf einem stark frequentierten Verbindungsweg von einem Parkplatz zur Talstation eines Sesselliftes durch ein Pferd deshalb bejaht, weil die dort weidenden Pferde schon früher Touristen durch Anstoßen, ja sogar Beißen belästigt hatten und schließlich ein Pferd die Klägerin durch einen Hufschlag verletzte. Im Fall der Entscheidung 5 Ob 203/74 gelangten Pferde nur deshalb auf einen 300 m langen, von der Bergstation einer Bergbahn zu einem Aussichtsplateau führenden Weg, weil ein sogenannter Rasenzaun (Erdwall), der die Weide vom Weg trennen sollte und zu dessen Erhaltung sich der Beklagte als Tierhalter gegenüber der Gemeinde vertraglich verpflichtet hatte, schadhaft war. Nach den hier getroffenen Feststellungen weist das Pferd aber entgegen dem Vorbringen der Klägerin eine grundsätzlich gutmütige Grundhaltung auf. Es ist nicht bekannt, daß es sich je aggressiv oder gefährlich Wanderern gegenüber verhalten hätte. Es war bereits, an Touristen gewöhnt, mit dem 6. Fohlenwurf auf einer Alm. Der Wanderweg wurde von vielen Leuten im Sommer täglich anstandslos benützt. Ein Zusammenhang des Verhaltens des Pferdes mit seinem Mutter- und Beschützerinstinkt ist nicht ersichtlich, befand sich doch das Fohlen nicht beim Pferd, als dieses sich der Fußgängergruppe näherte. Ließ unter diesen Voraussetzungen der Beklagte, wie dies nach dem Gutachten des Sachverständigen schon über Jahrhunderte unbeanstandete Übung ist, das Pferd ohne ständige Beaufsichtigung auf der eingefriedeten Alm, hat er auch unter Anwendung objektiver Kriterien seine Pflicht zur erforderlichen Verwahrung und Beaufsichtigung im Sinne des § 1320 ABGB erfüllt. Er ist daher nicht schadenersatzpflichtig.

Dem Rekurs ist Folge zu geben, der angefochtene Beschluß ist dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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