OGH 3Ob806/53

OGH3Ob806/5313.1.1954

SZ 27/8

Normen

ABGB §1320
ABGB §1320

 

Spruch:

Keine Haftung des Halters eines an sich gutmütigen Hundes, der auf der Straße einen anderen Hund jagt, welcher dadurch in ein Fahrrad läuft und so einen Unfall des Radfahrers verursacht.

Entscheidung vom 13. Jänner 1954, 3 Ob 806/53.

I. Instanz: Kreisgericht Ried i. I.; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Klägerin fuhr am 31. Mai 1951 mit ihrem Fahrrad durch Sch. und stürzte, weil ihr der vom Hund des Beklagten Johann L. verfolgte Hund des Tierarztes Dr. U. in das Rad lief. Sie erlitt einen Kieferbruch.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß der mit 6000 S bezifferte Schadenersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten Johann L., nicht aber gegen Dr. U dem Gründe nach zu Recht bestehe. Das Erstgericht nahm an, der Beklagte Johann L. habe die erforderliche Verwahrung seines Hundes, von dem ihm bekannt war, daß "er sich im Hofraum scharf zeigt, indem er heftig bellt" vernachlässigt.

Infolge Berufung des Beklagten Johann L. erkannte das Berufungsgericht, daß der Anspruch der Klägerin auch gegenüber dem Beklagten Johann L. nicht zu Recht bestehe und wies für den Fall der Rechtskraft seines Zwischenurteils das Klagebegehren kostenpflichtig ab. Das Berufungsgericht ging dabei von den erstrichterlichen Feststellungen aus, daß der Hund des Beklagten an und für sich als gutmütig und nicht rauflustig bezeichnet werden könne. Ein Hund, von dem in tatsächlicher Beziehung feststehe, daß er sich in Haus und Hof frei zu bewegen pflegt, sich auch in dem zugänglichen Bäckereigeschäft aufhält, mit Kindern spielt, sich ins Maul greifen und das Halsband von fremden Leuten wegnehmen läßt, könne rechtlich nicht als ein "nicht harmloses Tier" qualifiziert werden. Der Umstand, daß der Hund mitunter, solange Milchkunden ins Haus kommen, angekettet sei, könne ebensowenig für eine bösartige Eigenschaft sprechen, wie die Tatsache, daß er im Hofraum heftig zu bellen pflegt. Unbestrittenermaßen habe der Hund noch niemanden beschädigt, wiewohl er sich meist frei bewegt und er sei darum mit Recht als gutmütig und harmlos anzusprechen. Die vom Erstgericht im Anschluß an seine Tatsachenfeststellung gemachte rechtliche Einschränkung, daß der Beklagte ihn desungeachtet nicht als harmlos betrachten durfte, finde im Beweisverfahren keine Stütze. Im Hinblick auf die festgestellten Eigenschaften des Hundes könne dem Beklagten eine Vernachlässigung der Verwahrungspflicht im Sinne des § 1320 ABGB. nicht zur Last gelegt werden.

Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB. ist grundsätzlich Verschuldens- und nicht Erfolgshaftung (vgl. SZ. XII/268, 1 Ob 543/50 u. a. m.). Sie tritt dann ein, wenn der Tierhalter die nach den ihm bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrsauffassung von ihm vernünftigerweise zu erwartende Verwahrungspflicht vernachlässigt hat und infolgedessen durch das Tier unmittelbar oder mittelbar ein Schaden angerichtet wurde. Wird von den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes ausgegangen, dann kann im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, daß der Beklagte eine ihm als Tierhalter obliegende Sorgfaltspflicht dadurch vernachlässigt hat, daß sein Hund auf die Straße gelangen und sich dort frei und unbeaufsichtigt einige Zeit herumtreiben konnte. Denn sein Wolfshund ist ein Wachhund, der sich im Hofraum (den er zu bewachen hat) "scharf zeigt", indem er heftig bellt. Daß Wachhunde im allgemeinen und speziell dann, wenn sie an der Kette liegen - auch der Hund des Beklagten war gewöhnlich, solange Milchkundschaften ins Haus kamen, an der Kette neben dem Stall gehängt - heftig bellen, sobald fremde Personen den von ihm bewachten Raum betreten, ist eine Eigenschaft dieser Hunde, um deretwillen sie gehalten werden. Die sogenannte "Schärfe" des Hundes des Beklagten hat sich aber niemals anders als durch heftiges Bellen geäußert. Er hat, auch wenn er sozusagen in Ausübung seines Dienstes als Wachhund war, niemals einen Menschen angefallen oder gebissen. Er ist, wie die Untergerichte festgestellt haben, eben an und für sich gutmütig und nicht rauflustig. Auch am 31. Mai 1951, als er aus dem Wohnhaus des Beklagten entwischte, hat er keine gegenteiligen Eigenschaften gezeigt. Er hat nichts anderes gemacht, als was Hunde, wenn sie sich frei bewegen können, gewöhnlich zu tun pflegen; er ist einem anderen kleineren Hund nachgelaufen. Das ist aber keine Eigenschaft, die es geboten erscheinen ließ, ihn unter allen Umständen so sicher zu verwahren, daß er nicht auf die Straße gelangen konnte. Es fällt demnach dem Beklagten bei Verwahrung des Hundes eine Nachlässigkeit nicht zu Last.

Fehlt es aber an einem Verschulden des Beklagten hinsichtlich der Verwahrung seines Hundes, dann haftet er auch nicht für den Schaden, der nur durch einen nicht vorhersehbaren Umstand eingetreten ist, nämlich dadurch, daß der von seinem Hund gejagte Hund des Dr. U. in das Fahrrad der Klägerin hineinlief und diese zu Fall brachte.

Aus diesen Gründen war der Revision nicht Folge zu geben.

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