European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00134.14A.0122.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB sowie demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.
Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Vor der Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche durch das Oberlandesgericht Linz werden die Akten dem Landesgericht Wels zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jürgen M***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 27. April 2014 in Schöndorf Pia S***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie an Armen und Beinen fesselte, mindestens 10 Minuten lang an einem Holzbalken fixierte und mehrere Gegenstände sowie seinen Penis in ihren After einführte, wobei Pia S***** durch die beschriebenen Tathandlungen im Zusammenhalt mit dem Anlegen einer Augenbinde, eines Knebels und einer Ledermaske in besonderer Weise erniedrigt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Indem die Subsumtionsrüge die objektive Verwirklichung des Tatbestandselements der „besonderen Erniedrigung“ (§ 201 Abs 2 vierter Fall StGB) bestreitet, ohne an der Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilskonstatierungen festzuhalten, entfernt sie sich vom Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei festgehalten, dass die angefochtene Entscheidung insoweit nicht mit einem Rechtsfehler behaftet ist:
In besonderer Weise erniedrigt wird die vergewaltigte Person, wenn die Tat unter Begleitumständen verübt wird, die das mit einer Vergewaltigung notwendigerweise verbundene Maß der Demütigung des Opfers erheblich überschreiten (RIS‑Justiz RS0095315, jüngst 13 Os 77/14v, JAB 927 BlgNR 17. GP 4, Hinterhofer SbgK 201 Rz 65, Philipp in WK2 § 201 Rz 33). Demgemäß ist zur Beurteilung der Verwirklichung dieses Tatbestandselements stets das gesamte Tatgeschehen einschließlich aller die Tat selbst begleitenden Gegebenheiten zu betrachten (vgl 12 Os 88/01, SSt 63/151).
Ausgehend von den Urteilsfeststellungen, wonach der Beschwerdeführer Pia S***** an Armen und Beinen fesselte, ihr eine Augenbinde, einen Knebel und eine Ledermaske anlegte, sie mindestens 10 Minuten lang an einem Holzbalken fixierte, wiederholt mit einer Klatsche gegen ihr Gesäß schlug und er sie dreimal anal penetrierte, davon einmal mit einem Vibrator, der mit einem Schlauch und einer Handpumpe ‑ welche der Beschwerdeführer auch betätigte ‑ versehen war, wobei Pia S***** zahlreiche Fesselspuren, Schmerzen und einen Bluterguss im Brustbereich erlitt (US 3 bis 5), ist unter Anwendung des dargelegten Prüfungsmaßstabs die objektive Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 201 Abs 2 vierter Fall StGB zu bejahen.
Mit dem Einwand fehlender Erörterung der Angaben der Zeugin Pia S***** zum allfälligen Ankündigen des Verwendens einer Maske, eines Knebels oder von Seilen und zum Einsatz eines Gleitgels (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) spricht die Beschwerde keine für die insoweit relevierte Subsumtion (nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB) maßgebenden Umstände an (siehe aber RIS‑Justiz RS0106268).
Hinzugefügt sei, dass das Erstgericht die Angaben der Zeugin S***** zur Verwendung eines Gleitgels sehr wohl erörterte (US 6).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
§ 201 Abs 2 vierter Fall StPO normiert eine Deliktsqualifikation, womit der qualifizierende Umstand, also die besondere Erniedrigung des Opfers, vom (zumindest bedingten [§ 5 Abs 1 StGB]) Vorsatz des Täters umfasst sein muss (Hinterhofer SbgK § 201 Rz 65, Leukauf/Steininger Komm3 § 201 RN 31, Philipp in WK2 § 201 Rz 32).
Da die Tatrichter hiezu keine Feststellungen getroffen haben, fehlt dem Schuldspruch nach der genannten Qualifikationsnorm hinsichtlich der subjektiven Tatseite die erforderliche Sachverhaltsbasis.
Demgemäß war die angefochtene Entscheidung in der Subsumtion nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).
Dies hatte die Aufhebung des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) zur Folge, worauf der Angeklagte mit seiner hiegegen gerichteten Berufung zu verweisen war.
Die Entscheidung über die Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis ‑ das im Schuldspruch nach dem Grundtatbestand des § 201 Abs 1 StGB Deckung findet und solcherart im Sinn des § 289 StPO bestehen bleiben konnte (vgl 13 Os 62/14p sowie Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7) ‑ kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch ‑ der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12) ‑ beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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