OGH 15Os150/14v

OGH15Os150/14v14.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Dr. Tiefenthaler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Laura C***** wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 47 Hv 38/14k des Landesgerichts Salzburg, über den Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00150.14V.0114.000

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Laura C***** wurde mit in Rechtskraft erwachsenem und in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 13. Juni 2014, GZ 47 Hv 38/14k‑11, der Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 (richtig: Abs 4) StGB (I./) und der Verleumdung nach § 297 Abs 1 (zu ergänzen: erster Fall) StGB (II./) schuldig erkannt und (unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt.

Danach hat sie am 3. Dezember 2013 in G*****

I./ als Zeugin in dem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung gegen Senad H***** „wegen § 83 Abs 1 StGB u.a.“ vor der Kriminalpolizei bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache durch die Äußerung „Senad war so wütend, dass er mir mit der glühenden Zigarette zum Hals fuhr und sie mir im Bereich des Kehlkopfes ausdrückte. Ob er das absichtlich gemacht hat oder es ihm nur passiert ist, kann ich nicht genau sagen, ich glaube aber, dass er dies absichtlich gemacht hat“, falsch ausgesagt;

II./ Senad H***** der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, indem sie ihn durch die zu I./ geschilderte Äußerung einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, falsch verdächtigte, wobei sie wusste, dass die Verdächtigung falsch war.

Die Generalprokuratur beantragte die außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens:

1./ Beim ‑ wie vorliegend ‑ gekürzt ausgefertig-ten Urteil (§ 270 Abs 4 StPO) ersetzt der Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiell‑rechtliche Beurteilung (RIS‑Justiz RS0125032, RS0125764 [T4]).

Der zweite Satz der im solcherart maßgeblichen Urteilstenor festgestellten inkriminierten Äußerung (I./) verwirklicht den Tatbestand der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB nicht. Denn Gegenstand einer falschen Beweisaussage als Zeuge nach dieser Bestimmung ist ausschließlich ein Bericht über sinnliche Wahrnehmungen von in der Vergangenheit liegenden Tatsachen. Subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen oder ähnliche intellektuelle Vorgänge können hingegen grundsätzlich nicht relevanter Inhalt einer Zeugenaussage sein, sondern nur die ihnen zu Grunde liegenden tatsächlichen Prämissen (RIS‑Justiz RS0119219, RS0097540; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 288 Rz 25 mwN; Kirchbacher, WK‑StPO § 247 Rz 5). Aus der Beschränkung auf Wahrnehmungen über tatsächliche Umstände folgt weiters, dass auch ‑ naturgemäß nicht Tatsachenmitteilungen, sondern Werturteile bekundende ‑ Aussagen über ein Wissen und Wollen und damit den Vorsatz eines anderen nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein können (RIS‑Justiz RS0097540 [T4, T10, T14, T17]).

Die in Rede stehende inkriminierte Äußerung, mit der die Zeugin ihre Meinung und subjektive Einschätzung zur inneren Tendenz des Senad H***** bei Zufügung der Brandwunde kundtat, stellt daher gar keine Zeugenaussage dar, die das Tatbild des § 288 Abs 4 StGB erfüllen könnte.

Der solcherart nach § 288 Abs 4 StGB nicht tatbildliche zweite Satz der zu I./ inkriminierten Äußerung ist indes zufolge Rückbeziehung auf den ersten Satz der Zeugenaussage (arg. „Ob er das absichtlich gemacht hat oder ob es ihm nur passiert ist …“) in semantischer Hinsicht für das Verständnis des dort geschilderten „Ausdrückens“ einer glühenden Zigarette am Hals von wesentlicher Bedeutung. Denn ein „Ausdrücken“ einer glühenden Zigarette am Körper eines anderen ist gemeiniglich mit einem entsprechenden Tatvorsatz verbunden. Mit der indes auch eine unvorsätzliche Verletzungszufügung als durchaus möglich bekundenden Aussage brachte die Zeugin solcherart unmissverständlich eine bloße ‑ somit nach § 288 Abs 4 StGB aber nicht tatbildliche ‑ Mutmaßung über die geschilderte Art und Weise der Verletzungsherbeiführung zum Ausdruck.

Als nach § 288 Abs 4 StGB tatbestandsrelevanter Inhalt der zu I./ inkriminierten Zeugenaussage verbleibt somit die Tatsachenbehauptung, Senad H***** habe Laura C***** durch Hantieren mit einer glühenden Zigarette eine Brandverletzung am Hals zugefügt. Eben dies wurde indes von Senad H***** (in dem gegen ihn [auch] wegen des Verdachtes der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB geführten Strafverfahren) stets zugestanden (vgl ON 2 S 4 f; ON 2 S 13 f, 27 in ON 4) und stand nach der Aktenlage auch im Hinblick auf die Objektivierung der Verletzung (vgl Lichtbilder sowie Ambulanzprotokoll ON 2 S 37 und 45 f in ON 4) nicht in Frage. Gegen die Urteilsannahme einer in Betreff des in Rede stehenden (verbleibenden) Aussageinhaltes falschen Beweisaussage bestehen daher nach der Aktenlage erhebliche Bedenken.

2./ Nach dem maßgeblichen Urteilstenor zu II./ hat Laura C***** Senad H***** durch die zu I./ geschilderte Äußerung einer vorsätzlichen Körperverletzung wissentlich falsch verdächtigt.

Die vorstehend in Betreff der Unrichtigkeit des (objektiven) Verletzungsvorwurfes vorgetragenen erheblichen Bedenken treffen mutatis mutandis auch auf die vorliegende Tatsachenfeststellung eines falschen Verdachtsvorwurfes in objektiver Hinsicht zu. Die im Übrigen zu I./ (zweiter Satz der Äußerung) inkriminierten Mutmaßungen zur inneren Tendenz des Senad H*****, die nach dem Vorgesagten nach § 288 Abs 4 StGB nicht tatbildlich sind, können zwar ‑ auch bei objektiv richtiger Tatschilderung ‑ wegen der dadurch verursachten Gefahr einer behördlichen Verfolgung wegen einer strafbaren Handlung mit höherem Strafsatz den Tatbestand der Verleumdung (§ 297 Abs 1 StGB) verwirklichen (vgl RIS‑Justiz RS0096520; Leukauf‑Steininger, Komm3 § 297 RN 5 mwN; Pilnacek in WK² StGB § 297 Rz 19, 21 mwN). Doch setzt dies in subjektiver Hinsicht das Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) voraus, dass die Verdächtigung ‑ vorliegend mithin der Vorwurf einer vorsätzlichen Verletzungszufügung ‑ falsch war. Ein Wissen um die Unrichtigkeit eines bloß gemutmaßten Tatumstandes ist indes geradezu denkunmöglich, sodass auch die Urteilsannahme einer wissentlichen Falschverdächtigung (II./) erheblichen Bedenken begegnet.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Tatbestandsverwirklichung nach den §§ 288 Abs 4 und 297 Abs 1 erster Fall StGB ermöglichende Tatsachenfeststellungen getroffen werden könnten, liegen nach der Aktenlage nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO ist der Oberste Gerichtshof berechtigt, die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des Verurteilten zu verfügen, wenn sich bei Prüfung der Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen ergeben. Erheblich sind Bedenken dann, wenn sie nach allgemein menschlicher Erfahrung eine Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen, maW das Ergebnis der erstgerichtlichen Beweiswürdigung grob unvernünftig erscheint (vgl RIS‑Justiz RS0119583 [T8, T9, T12, T13]).

Beim gekürzt ausgefertigten Urteil (§ 270 Abs 4 StPO) ersetzt der Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Entscheidungsgründe als Bezugspunkt der Überprüfung „der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen“ (vgl RIS‑Justiz RS0125032).

Zutreffend führt die Generalprokuratur vorweg aus, dass subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen oder ähnliche intellektuelle Vorgänge grundsätzlich nicht relevanter Inhalt einer Zeugenaussage sein können, sehr wohl aber die ihnen zu Grunde liegenden tatsächlichen Prämissen (RIS‑Justiz RS0119219, RS0097540; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 288 Rz 25 mwN; Kirchbacher, WK‑StPO § 247 Rz 5).

Nach dem maßgeblichen Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) ging das Erstgericht ersichtlich von einem Bedeutungsinhalt der inkriminierten Zeugenaussage (in ihrer Gesamtheit) aus, wonach Senad H***** willentlich der Laura C***** mit einer glühenden Zigarette zum Hals gefahren sei und diese an ihrem Kehlkopf ausdrückte. Durch die Äußerung dieses (unrichtigen) Vorwurfs in ihrer polizeilichen Vernehmung habe sie zur Sache falsch ausgesagt und ‑ da sie wusste, dass der Vorwurf unrichtig war ‑ wissentlich Senad H***** einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung falsch verdächtigt. Dieses Verhalten subsumierte (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) das Erstgericht den Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB und der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB.

Dieser vom Erstgericht ermittelte Bedeutungsgehalt kann sich auf den Wortlaut des ersten Satzes der Textpassage stützen, setzt doch das „Zum‑Hals‑Fahren“ und „Ausdrücken“ einer glühenden Zigarette sprachlich eine willentliche Handlung und nicht bloß eine versehentliche Bewegung voraus. Eine solche Interpretation fügt sich auch zwanglos in den situativen Kontext des Geschehens ein („Senad war so wütend, dass ...“), zumal die Zeugin in der gegenständlichen Vernehmung berichtete, H***** habe erhebliche Probleme mit Alkohol und werde dann auch aggressiv, es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, im Zuge derer H***** sie bei den Oberarmen genommen und weggestoßen habe, er sei „so wütend“ gewesen, und habe schließlich ihre Bankomatkarte zerbrochen (ON 2 S 33 f). Vor diesem Hintergrund hat das Erstgericht, das sich in der Hauptverhandlung einen unmittelbaren Eindruck von der ‑ im Übrigen geständigen (ON 11 S 2) ‑ Angeklagten verschaffen konnte, dem zweiten Satz der inkriminierten Äußerung („Ob er das absichtlich gemacht hat ...“) erkennbar keine relativierende Bedeutung zugemessen.

Mit Blick auf die Depositionen der Laura C***** als Zeugin in der Hauptverhandlung gegen H***** am 25. Februar 2014 (ON 2): „Ich bin mir absolut sicher, dass diese Verletzung ein Versehen ist. Es ist keinesfalls richtig, dass er die Zigarette absichtlich an meinem Hals ausgedrückt hat.“ „Warum ich vor der Polizei das Gegenteil behauptet habe, kann ich jetzt nicht beantworten. Ich nehme an, dass ich erzürnt gewesen bin, weil es davor diesen Beziehungsstreit gegeben hat“ (S 4). „Es war mit Sicherheit ein Versehen. … Er hat mich sicherlich nicht mit Absicht verletzt. … Wenn mir vorgehalten wird, dass ich dann bei der Polizei eine falsche Beweisaussage abgelegt habe, so ist dies richtig.“ (S 5), begegnen die erstgerichtlichen Annahmen, dass die Aussage der Laura C***** im Ermittlungsverfahren vor der Polizei in ihrem maßgeblichen Kern unrichtig war, dies von ihrem Vorsatz umfasst war und sie dadurch wissentlich Senad H***** einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung falsch verdächtigte, keinen erheblichen Bedenken.

Solche vermag auch der Antrag der Generalprokuratur nicht zu erwecken, indem er allein auf Basis einer eigenständigen, von einer isolierten Betrachtung des zweiten Satzes ausgehenden und beim Wortlaut verbleibenden Textinterpretation der inkriminierten Passage einen anderen Aussageinhalt unterlegt und davon ausgehend eine falsche Beweisaussage verneint und die Wissentlichkeit des unrichtigen Vorwurfs ausschließt.

Der Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme war daher abzuweisen.

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