OGH 8Ob20/14w

OGH8Ob20/14w30.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz J***** Privatstiftung, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Landeshauptstadt Linz, 4040 Linz, Hauptstraße 1‑5, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterlassung (Streitinteresse 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2014, GZ 15 R 305/13y‑13, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 31. Mai 2013, GZ 15 C 1175/12b‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revisionwird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 774,43 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 124,07 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist grundbücherliche Alleineigentümerin eines Grundstücks, an das die Liegenschaft der beklagten Stadt, auf der sich eine frei zugängliche Aussichtsplattform und ein Cafe befinden, angrenzt. Zumindest seit 2009 kommt es immer wieder vor, dass Personen ‑ teils versehentlich, teils absichtlich ‑ von der Aussichtsplattform Gegenstände wie etwa Handys, Spielsachen, Kleidungsstücke oder Müll (leere Bierflaschen, Zigarettenstummel etc) auf die darunterliegenden angrenzenden Grundstücke der Klägerin fallen lassen. Die Aussichtsplattform wird seit 1899 in Fremdenführern genannt und von Touristen und Einheimischen genutzt. Sie steht unter Denkmalschutz. Veränderungen, wie etwa die Errichtung von Glasbarrieren oder das Spannen von Fangnetzen, werden vom Bundesdenkmalamt nicht genehmigt.

Die Klägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, durch geeignete Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass vom Grundstück der Beklagten von Benutzern keine Gegenstände auf die Grundstücke der Klägerin geworfen werden. Die Beklagte habe für das Verhalten Dritter einzustehen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Es bestehe ein nicht einschränkbarer Gemeingebrauch. Die Beklagte stehe mit allfälligen Störern auch in keinem Rechtsverhältnis und sei nicht in der Lage, die Störungshandlungen zu verhindern.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Ausgehend vom eingangs festgestellten Sachverhalt ging es davon aus, dass es der Beklagten an entsprechenden Möglichkeiten fehle, die Störungen zu verhindern. Weder Verbotstafeln noch eine Videoüberwachung seien geeignet, Störer von ihrem Tun abzuhalten. Baulichen Veränderungen stehe der Denkmalschutz entgegen. Eine Einschränkung des Gemeingebrauchs sei nicht zulässig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Bei der Klage handle es sich um eine solche nach § 364 Abs 2 ABGB als Anwendungsfall der actio negatoria, die auf zumutbare Vorkehrungen zur Verhinderung von Einwirkungen auf das Nachbargrundstück zu richten sei. An der Liegenschaft der Beklagten bestehe ein Gemeingebrauch. Die Beklagte sei ähnlich wie beim Bestehen eines Servitutsrechts belastet und in der Ausübung des Eigentumsrechts beschränkt. Sie habe aber zumutbare und mögliche Eindämmungsmaßnahmen zur Gänze unterlassen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage der Zurechnung von Benützungshandlungen der Allgemeinheit an den Eigentümer von im Gemeingebrauch stehenden Liegenschaften keine ausreichende höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Berufungsurteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

I. Die Beklagte macht geltend, es liege kein Zusammenhang zwischen ihrer Sachherrschaft und den Störern vor. Zwischen der Beklagten und den jeweiligen Besuchern der Aussichtsplattform bestehe kein Rechtsverhältnis. Es würden kaum zumutbare Verhinderungsmöglichkeiten bestehen. Die Aussichtsplattform sei öffentlich zugänglich.

II.1. Jeder Eigentümer eines Grundstücks kann nach § 364 Abs 2 ABGB dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Lärm etc untersagen, soweit sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Eine unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel jedenfalls unzulässig.

II.2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der vorliegenden Klage um eine solche nach § 364 Abs 2 ABGB als Anwendungsfall der actio negatoria handelt.

Den Eigentümer der Nachbarliegenschaft trifft als Reflex seiner Unterlassungspflicht auch eine Hinderungspflicht im Hinblick auf Störungen Dritter (5 Ob 133/09h). Verursacht ein anderer die Störung, so wird die Haftung des Nachbarn dann als gerechtfertigt erachtet, wenn er die Einwirkung duldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und dazu auch imstande gewesen wäre (8 Ob 111/06s; RIS‑Justiz RS0053260 [T6] = RS0010586 [T4] = RS0010648 [T13]). Die Haftung des Grundeigentümers wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein solcher Dritter aus eigenem Antrieb und selbstverantwortlich handelt (2 Ob 167/07h; RIS‑Justiz RS0103058 [T7]; RS0011737 [T5, T11]). Insoweit bedarf die Verpflichtung des Grundeigentümers auch keines über das aus dem Eigentumsrecht abzuleitende Bestimmungs- und Ausschließungsrecht (vgl § 354 ABGB) hinausgehenden Rechtsverhältnisses.

III. Das wesentliche Kriterium für die Passivlegitimation bildet bei von der Nachbarliegenschaft ausgehenden Störungen also die Frage, inwieweit die Beklagte als Grundeigentümerin zur Verhinderung der Störungshandlungen auch imstande ist.

III.1. Damit ist auf ihre Einwände einzugehen, dass ihr eine Unterbindung der Störung wegen des bestehenden Gemeingebrauchs, der mangelnden Rechtsbeziehung der Beklagten zu den Störern und auch faktisch nicht möglich sei.

III.2. Als Gemeingebrauch wird die jedermann unter gleichen Bedingungen ohne besondere behördliche Bewilligung und ohne Zustimmung des über die betroffene Liegenschaft Verfügungsberechtigten zustehende Freiheit verstanden, bestimmte Sachen entsprechend ihrer Zweckbestimmung bzw im Rahmen der Üblichkeit

zu verwenden.

Der Gemeingebrauch bewirkt, dass der Eigentümer den Gebrauch der Sache durch andere nicht hindern kann, sofern sich diese im Rahmen des Gemeingebrauchs halten.

Der Eigentümer hat über die Sache nur noch die rechtliche Verfügungsbefugnis, aber nicht die tatsächliche Sachherrschaft (vgl etwa Hofmann in Schwimann/Kodek ABGB4 § 287 Rz 5; Stabentheiner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch Klang3 § 287 Rz 8; Eccher/Riss in KBB4 §§ 287, 288 Rz 4; Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.02 § 287 Rz 9).

III.2.1. Der Gemeingebrauch besteht nicht nur am „öffentlichen Gut“ - im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehende, dem Gemeingebrauch dienende „Landstraßen, Ströme, Flüsse, Seehäfen, und Meeresufer“ (§ 287, 288 ABGB) -, sondern kann auch am Privateigentum begründet werden (Hofmann aaO Rz 4; Stabentheiner aaO Rz 6; Eccher/Riss aaO Rz 5; Helmich in Kletečka/Schauer aaORz 11). Die beklagte Stadt hat gar nicht eingewendet, dass es sich bei ihrer Liegenschaft um ein öffentliches Gut im oben dargestellten Sinne handle (vgl zur besonderen Verbücherung insbesondere auch Stabentheiner aaO Rz 10).

III.2.2. Der wesentliche Einwand der beklagten Stadt liegt vielmehr darin, dass an der im Privateigentum stehenden Liegenschaft ein Gemeingebrauch vorhanden sei.

Der Gemeingebrauch entsteht aufgrund ausdrücklicher Widmung durch Gesetz, Verordnung, Erklärung der zuständigen Verwaltungsbehörde oder die „Ersitzung“ durch entsprechend langdauernde Benützung. Er wird auch als eine Art öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit bezeichnet (Hofmann in Schwimann/Kodek ABGB4 § 287 Rz 5; Stabentheiner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch Klang 3 Rz 4; Eccher/Riss in KBB4 §§ 287, 288 Rz 4; Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.02 § 287 Rz 10). Die Beklagte hat sich allerdings auf kein Gesetz, keine Verordnung und keinen Verwaltungsakt, sondern nur auf die langdauernde Nutzung berufen.

III.2.3.1. Zum Gemeingebrauch an privaten Liegenschaften wurde bereits zutreffend herausgearbeitet, dass zwischen öffentlich-rechtlichem Gemeingebrauch und den privatrechtlichen Dienstbarkeiten zu unterscheiden ist (Spath in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 472 Rz 4; Hofmann in Rummel, ABGB II3 § 472 Rz 1). Die „echten“ Dienstbarkeiten beruhen ja auch auf einem privatrechtlichen Titel, sodass keine Dienstbarkeit vorliegt, wenn der Eigentümer bestimmte Eingriffe ex lege oder kraft öffentlich‑rechtlicher Bestimmung im Rahmen des Gemeingebrauchs dulden muss (Hofmann aaO; Risak in Schwimann, ABGB Taschenkommentar2 § 472 Rz 3).

III.2.3.2. Diese Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichem Gemeingebrauch und privatrechtlicher Dienstbarkeit erhellt etwa auch aus dem zur Verfügung gestellten Rechtsschutz. Bei der Durchsetzung des auf öffentlich-rechtlichen Regelungen beruhenden „Gemeingebrauchs“ wird meist ein privatrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Beschränkung des Gemeingebrauchs verneint (Hofmann in Schwimann/Kodek ABGB4 § 287 Rz 20 ff; Helmich aaO, 20). Inwieweit

ein subjektives öffentliches Recht auf ungestörte Ausübung oder sogar auf Aufrechterhaltung eines bestehenden Gemeingebrauchs besteht, ist danach aufgrund der konkret anwendbaren Verwaltungsvorschriften zu entscheiden, beides wird aber meist verneint (Helmich aaORz 21). Jedenfalls wird vertreten, dass die Durchsetzung nicht vor den Gerichten, sondern nur vor den Verwaltungsbehörden erfolgen kann (Hofmann aaO Rz 20; Helmich aaORz 21).

Auch bei der Frage der erforderliche Dauer der Benützung wird dies im öffentlich-rechtlichen Bereich teilweise von den anwendbaren Verwaltungsvorschriften (etwa von den verschiedenen Landesstraßengesetzen) vorgegeben (Helmich aaO § 287 Rz 15), während im privatrechtlichen Bereich die Bestimmungen des ABGB zur Anwendung gelangen.

III.2.4. Die Bedeutung der Zuordnung des hier zu prüfenden, nicht auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zur Wahrung allgemeiner Interessen beruhenden „Gemeingebrauchs“ zeigt sich auch insoweit, als jedenfalls dort, wo nicht öffentlich-rechtliche Regelungen zugrunde liegen, von der Judikatur für einen durch langdauernde Benützung (Ersitzung) entstandenen „Gemeingebrauch“ zusätzlich ein dringendes Verkehrsbedürfnis der Gesamtheit der Benützenden gefordert wird (RIS‑Justiz RS0009784; 4 Ob 522/89; nicht nur bloße Annehmlichkeit: 5 Ob 106/97t). Für die Ersitzung einer solchen „Dienstbarkeit“ bedarf es also der Besitzausübung zur Verfolgung bestimmter Interessen von Personengruppen (zur Dienstbarkeit der Schiabfahrten und der Zuordnung zur Gemeinde: Spath aaO § 480 Rz 13, § 484 Rz 12).

IV.1. Hier hat die beklagte Stadt ein ihr gehörendes Bauwerk für den Gebrauch durch die Allgemeinheit als Aussichtsplattform geöffnet. Öffentlich‑rechtliche Vorschriften, die den Umfang der Öffnung regeln und die beklagte Stadt allenfalls über eine lang andauernde Benützung binden würden, wurden nicht geltend gemacht. Ebensowenig ist ersichtlich, welche Gruppe von Benützenden zur Verfolgung eines konkreten Verkehrsbedürfnisses hier eine Dienstbarkeit nach privatem Recht erworben haben soll, die die Beklagte binden könnte. Jedenfalls aber sind keine Rechtspositionen ersichtlich, die einer Regelung, Einschränkung oder Gestaltung der Nutzungsmöglichkeiten, zur Verhinderung unzulässiger Emissionen entgegenstehen würden.

IV.2. Es verbleibt im Ergebnis dabei, dass die beklagte Stadt sich aus welchen ‑ öffentlichen ‑ Interessen auch immer entschlossen hat, Teile einer in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft für eine bestimmte Nutzung für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ohne dass dabei ein besonderes Verkehrsbedürfnis einer Gruppe oder sonst eine uneinschränkbare Verpflichtung festgestellt werden konnte. Durch diese eigene Entscheidung der beklagten Stadt kann diese aber keine Einschränkung ihrer Recht als Grundeigentümer nachweisen, die sie darin hindern würde, diese Nutzung so zu regeln, dass die von ihrem Grundstück ausgehenden Immissionen auf das Grundstück der Kläger unterbunden werden können.

IV.3. Dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 5 Ob 133/09h die Ansicht vertreten hat, dass allein das Aufstellen von Verbotstafeln, mit denen das Hinabwerfen von Gegenständen für unzulässig erklärt wird, keine effektive Verhinderungsmöglichkeit bietet, ändert schon deshalb nichts an der Verpflichtung der Beklagten, geeignete Schritte zu unternehmen, weil die Beklagte ja nicht auf diese Möglichkeit beschränkt ist, sondern die Nutzung insoweit umfassend regeln kann.

V. Somit kommt der Revision der Beklagten keine Berechtigung zu.

VI. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat sie daher der Klägerin die Kosten deren Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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