OGH 10ObS125/14a

OGH10ObS125/14a21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Claudia Gründel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Manfred Mögele (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R***** H*****, vertreten durch Dr. Romana Zeh‑Gindl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Berufsunfähigkeits-pension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. August 2014, GZ 8 Rs 81/14m‑35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00125.14A.1021.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der am 22. 9. 1965 geborene Kläger begehrt den Zuspruch der Berufsunfähigkeitspension. In seiner gegen den ablehnenden Bescheid vom 10. 1. 2013 gerichteten Klage brachte er vor, es bestehe bei ihm ein Zustand nach einem Herzinfarkt im Jahr 2008. Er habe schwere psychische Probleme und sei nicht in der Lage, irgendeinen Beruf auszuüben. Im Zuge des Verfahrens brachte er dann weiters vor, er habe bis zum Jahr 2000 ein eigenes Transportunternehmen geleitet, in dem er alle Tätigkeiten wie Planung, Organisation, Buchhaltung und Bürotätigkeiten selbst durchgeführt habe. Für die Transporte habe er teilweise Mitarbeiter gehabt, er habe aber auch selbst Transporte durchgeführt. Dies habe auch für den Zeitraum 2000 bis 2005 gegolten, in dem er als angestellter Geschäftsführer in dem vergrößerten und in eine GmbH umgewandelten Unternehmen tätig gewesen sei. Nach seinem Herzinfarkt habe er vom 1. 5. 2010 bis 31. 12 .2010 als Angestellter im Transportunternehmen der B***** M***** dieselben Tätigkeiten wie im eigenen Unternehmen ausgeführt, nämlich die Organisation, Durchführung und Koordinierung der Transporte und die Buchhaltung.

Die beklagte Partei bestritt und beantragte die Klageabweisung.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

„Der Kläger erwarb in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 8. 2013) 377 Beitragsmonate der Pflichtversicherung, davon 305 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund Erwerbstätigkeit, 32 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Teilversicherung nach APG, 6 Monate an Ersatzzeiten und 134 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem GSVG. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag liegen mehr als 90 Beitragsmonate der Pflichtversicherung im Rahmen von Angestelltendienstverhältnissen.

Der Kläger hat den Lehrberuf des Großhandelskaufmanns erlernt und führte von 1989 bis 2000 ein eigenes Kleintransportunternehmen in selbständiger Tätigkeit. In den Jahren danach war er ‑ mit diversen Unterbrechungen ‑ als (angestellter) Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung tätig, bei der es sich um die Weiterführung des von ihm bislang selbständig geführten Kleintransportunternehmens handelte. Ab 2010 war er im Transportunternehmen der B***** M***** angestellt und übte dort die selben Tätigkeiten wie im ursprünglich eigenen Unternehmen aus, nämlich Organisation, Durchführung und Koordinierung der Transporte sowie die Buchhaltung. 2011 übernahm er dieses Unternehmen und führte es im ersten Halbjahr wiederum als eigenes Transport‑ bzw Speditionsunternehmen.

Dem Kläger sind nur mehr leichte und überwiegend mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen (mit weiteren ‑ näher festgestellten ‑ Einschränkungen) zumutbar. Die Arbeiten können unter durchschnittlichem bis halbzeitig diskontinuierlich besonderem Zeitdruck durchgeführt werden.

Der Aufgabenbereich eines Geschäftsführers (synonyme Bezeichnungen: „Betriebsleiter, Manager und Unternehmer, leitender Angestellter“ ‑ siehe berufskundliches Gutachten ON 30) erstreckt sich auf die Schaffung der organisatorischen Voraussetzung zur Verwirklichung der Unternehmensziele. Die Berufsträger sind in leitenden Wirtschaftsfunktionen in diversen Branchen tätig und verfügen über Weisungsrechte. Es sind der organisatorische Aufbau, die Arbeitsabläufe sowie der Ein- und Verkauf festzulegen und zu gestalten. Es gehört zu den Aufgaben des Geschäftsführers, Planungsrichtlinien zu erstellen, einzelne Abteilungen zu beraten, Schulungen zu veranlassen bzw durchzuführen etc. Der Aufgabenbereich umfasst das Setzen von Marketinginitiativen (abhängig von der Größe des Unternehmens), das Führen von Personalaufnahmegesprächen, das Treffen von Personalentscheidungen, Reisen zu Großkunden, die Entgegennahme von Reklamationen, die Wahrnehmung von Messebesuchen, die Teilnahme an diversen Besprechungen, die Postdurchsicht, das Anbringen entsprechender Veranlassungsvermerke, die Unterfertigung von Schriftstücken und Verträgen etc.

Durch (all) diese Tätigkeiten wird das Leistungskalkül des Klägers nicht überstiegen. Trotz seiner Leidenszustände ist der Kläger daher weiterhin in der Lage, den zuletzt ausgeübten Beruf als Geschäftsführer auszuüben.“

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Als angestellter kaufmännischer Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH habe der Kläger kaufmännische Dienste im Sinne des § 1 Abs 1 AngG verrichtet. Nach dem Kollektivvertrag für Angestellt für das Güterbeförderungsgewerbe seien Angestellte und Verantwortliche in leitender Stellung in die höchste Beschäftigungsgruppe 5 einzureihen. Nicht maßgeblich sei, ob und in welchem Ausmaß daneben allenfalls auch Arbeitertätigkeiten dadurch verrichtet worden seien, dass eine handwerkliche Mitarbeit gegeben war. Unabhängig vom zeitlichen Ausmaß der handwerklichen Mitarbeit stehe die Angestelltentätigkeit im Vordergrund. Dass der Kläger ‑ wie ohnedies festgestellt sei ‑ ebenso wie im eigenen Unternehmen auch als angestellter Geschäftsführer selbst Transporte durchgeführt habe, führe demnach nicht dazu, dass sinngemäß § 255 ASVG zur Anwendung gelange. Je nach der arbeits‑ und gesellschaftsrechtlichen Stellung des Klägers als Geschäftsführer könne sich sein Pensionsanspruch nur entweder nach § 273 Abs 1 ASVG oder nach § 133 Abs 1 GSVG richten. Zur Bestimmung des Verweisungsfeldes sei von seinem letzten Angestelltenberuf im Transportunternehmen der B***** M***** auszugehen. Ein als Geschäftsführer tätig gewesener Versicherter sei erst dann berufsunfähig, wenn er weder diese Tätigkeit noch andere Geschäftsführertätigkeiten zu verrichten imstande sei. Die zum Aufgabenbereich eines Geschäftsführers gehörenden Tätigkeiten würden das Leistungskalkül des Klägers nicht überschreiten. § 273 Abs 1 ASVG gewähre Berufsschutz, aber keinen Tätigkeitsschutz. § 273 Abs 3 ASVG gelange nicht zur Anwendung, da der Kläger noch nicht einmal das 49. Lebensjahr vollendet habe. Dass der Kläger vorwiegend als LKW‑Lenker tätig gewesen sei, finde keine entsprechende Deckung im Vorbringen und im festgestellten Sachverhalt. Im Übrigen könnte der Kläger aus einer Tätigkeit als LKW‑Lenker keinen Berufsschutz ableiten, zumal er den Lehrberuf des Großhandelskaufmanns, aber nicht jenen des Berufskraftfahrers erlernt habe. Eine Anlernung dieses Berufs komme mangels der hiefür erforderlichen grenzüberschreitenden Ausübung nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, neben seiner Tätigkeit als (angestellter) Geschäftsführer der GmbH, befasst mit der Organisation von neun weiteren LKW‑Lenkern bzw deren Auslastung, der Organisation von Kunden und Auftraggebern, habe er regelmäßig in Österreich selbst LKW‑Transporte sowie Abladetätigkeiten durchgeführt. Er habe sein gesamtes Berufsleben „im LKW verbracht“. Dem angefochtenen Urteil hafte Rechtswidrigkeit insofern an, als sich das Berufungsgericht nicht mit dieser (tatsächlichen) Tätigkeit auseinandergesetzt und die darauf zurückzuführende Mangelhaftigkeit des Ersturteils nicht erkannt habe. Zu Unrecht sei das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass er auf andere Geschäftsführertätigkeiten verweisbar sei, obwohl er Jahrzehnte hindurch immer nur im Güterbeförderungsgewerbe tätig gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

1. Wenngleich der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter (inhaltlich) Arbeitertätigkeiten durchführt, grundsätzlich nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen ist (RIS‑Justiz RS0083723), wurde zum angestellten (kaufmännischen) Geschäftsführer einer GmbH, der kaufmännische Dienste iSd § 1 Abs 1 AngG verrichtet, ausgeführt, dass bei der arbeitsrechtlichen Einstufung eine handwerkliche Mitarbeit (eine Arbeitertätigkeit) nicht maßgeblich sei. Dies wurde damit begründet, dass jedenfalls die (leitende) Angestelltentätigkeit im Vordergrund stehe und ein nach dem ASVG pflichtversicherter Geschäftsführer insoweit nicht anders behandelt werden könnte, als ein Selbständiger, der fachlich (auch) Arbeitertätigkeiten verrichte (10 ObS 92/90, SSV‑NF 4/84, ZAS 1992/25, 200 [krit. Andexlinger ]). Von dieser Rechtsprechung weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ab. Das Revisionsvorbringen, der Kläger habe nicht den Beruf des „Geschäftsführers“ ausgeübt, er sei niemals in einem Büro gesessen und habe organisatorische Tätigkeiten durchgeführt, findet sowohl im eigenen Vorbringen als auch in den Feststellungen keine Deckung.

2. Bei der Pensionsversicherung der Angestellten handelt es sich um eine Berufs‑(Gruppen‑)Versicherung, deren Leistungen einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustands einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei bestimmt der vom Versicherten zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte Beruf das Verweisungsfeld, das sind alle Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (RIS‑Justiz RS0084867). Für die Frage, welche Berufe innerhalb einer Berufsgruppe liegen, ist die Unterscheidung zwischen technischen und kaufmännischen Angestelltenberufen maßgeblich (10 ObS 2/10g, SSV‑NF 24/34). Zur selben Berufsgruppe zählen auch Berufe aus anderen Branchen, wenn sie gleichwertige Kenntnisse voraussetzen (10 ObS 21/98f, SSV‑NF 12/15 mwN). Auch ein als Geschäftsführer tätig gewesener Versicherter ist daher gemäß § 273 ASVG erst dann berufsunfähig, wenn er weder diese Tätigkeit, noch eine andere Geschäftsführertätigkeit oder eine dieser gleichwertigen Tätigkeit im Rahmen seiner Berufsgruppe zu verrichten imstande ist (RIS‑Justiz RS0084931). Ob die Verweisung mit einem Branchenwechsel verbunden ist, ist nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung (10 ObS 191/88, SSV‑NF 3/40 zu einem in der Möbelbranche tätig gewesenen Geschäftsführer).

3.1 Dass der Kläger selbst LKW‑Transporte durchgeführt hat, steht ohnedies fest, sodass auch ein rechtlicher Feststellungsmangel nicht gegeben ist.

3.2 Der bereits vom Berufungsgericht verneinte Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der in der Nichtdurchführung der beantragten Parteieneinvernahme zum Inhalt der beruflichen Tätigkeit des Klägers liegen soll, kann in der Revision nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0043061).

Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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