OGH 4Ob162/14y

OGH4Ob162/14y21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N***** AG, *****, 2. N***** GmbH, *****, beide vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei E***** KG, *****, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Auskunft, Urteilsveröffentlichung und 59.700 EUR sA (Streitwert im Sicherungsverfahren 60.100 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Juli 2014, GZ 4 R 41/14z‑14, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00162.14Y.1021.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß

§§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Es liegt ein Kennzeichenstreit zwischen einer produktdarstellenden Gemeinschaftsbildmarke der Erstklägerin, die aus der naturgetreuen Abbildung der Ware selbst besteht, und einem von der Beklagten vertriebenen Produkt (Eingriffsgegenstand) bei identen betroffenen Waren mit identem Wirkstoff (transdermale Pflaster zur Behandlung von Alzheimer-Demenz) vor, wobei das Produkt der Beklagten als Generikum nunmehr neben jenes der langjährigen Patentinhaberin tritt.

2. Die Gemeinschaftsmarke ist für „pharmazeutische Präparate zur Behandlung von Demenz des Alzheimertyps“ in der Farbgebung „grau und beige“ eingetragen. Diese Eintragung ist in Bezug auf das in der Marke abgebildete Pflaster so zu verstehen, dass mit „beige“ die Pflasterfläche und mit „grau“ die überstehende Trägerfolie gemeint ist. Demgegenüber weist der Eingriffsgegenstand eine transparente Trägerfolie und eine Pflasterfläche in hellem Grau auf. Beide Pflaster besitzen eine runde Wirkstofffläche in gleicher Größe auf quadratischer Trägerfläche, wobei die Wirkstofffläche von einem Ring punktförmiger Abstandhalter in unterschiedlicher Dichte umgeben ist.

3.1. Im Sicherungsverfahren ist bescheinigt, dass die Streitteile ihre Pflaster in Kartonverpackungen vertreiben, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch erst unmittelbar vor der Applikation entfernt werden; eine verwechslungsfähige Ähnlichkeit dieser Verpackungen wird nicht geltend gemacht. Der Vertrieb beider Arzneimittel erfolgt durch Beratungsgespräche von Pharmareferenten der jeweiligen Hersteller gegenüber Ärzten, die davon überzeugt werden sollen, das jeweilige Produkt zu verschreiben, weshalb in diesen Gesprächen auf die Herkunft der Arzneimittel hingewiesen wird; auch nach dem AMG besteht die Verpflichtung zu einem solchen Herkunftshinweis. Fallweise wird in solchen Gesprächen dem Arzt das Pflaster auch außerhalb der Verpackung präsentiert.

3.2. Nach dem Ergebnis einer in Österreich durchgeführten Studie gaben bei Vorlage der Gemeinschaftsmarke der Erstklägerin 25 % der Ärzte, die häufig Alzheimer-Demenz behandeln, und 16 %, die nur gelegentlich damit befasst sind, an, das Pflaster zu kennen; 28 % bzw 11 % dieser Gruppen assoziieren mit der Gemeinschaftsmarke frei die auf der Verpackung und dem Pflaster der Klägerinnen angebrachte Wortmarke.

3.3. Die Vorinstanzen haben es hingegen als nicht bescheinigt erachtet, dass die Gefahr besteht, dass die angesprochenen Ärzte die Gemeinschaftsmarke der Erstklägerin mit dem von der Beklagten vertriebenen Pflaster verwechseln können. Sie haben deshalb den auf Markenrecht und Lauterkeitsrecht gestützten Sicherungsantrag mangels Verwechslungsgefahr abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

4.1. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind dabei ua die Kennzeichnungskraft der verletzten Marke, die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen und die Ähnlichkeit der von den Zeichen erfassten Waren (vgl RIS‑Justiz RS0121500).

4.2. Entscheidend ist die Auffassung der angesprochenen Verkehrskreise, gemessen an der Person eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsangehörigen (stRsp zB 4 Ob 325/00y).

4.3. Die Frage des Eindrucks der beteiligten Verkehrskreise ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen; sie ist eine Tatfrage, wenn dies nicht der Fall ist (RIS‑Justiz RS0039926 [insb T26, T28]). Letzteres trifft insbesondere dann zu, wenn die von besonderen Kenntnissen abhängige Auffassung von Fachkreisen zu beurteilen ist (RIS‑Justiz RS0039926 [T26, T31, T33, T35]; 17 Ob 27/11m ‑ Run Cool).

4.4. Hier handelt es sich um die Marke für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Zur Beurteilung der Verkehrsauffassung reichen daher die Erfahrungen des täglichen Lebens nicht aus, weshalb es sich unter diesen Umständen um eine Tatfrage handelt.

4.5. Die richterliche Beurteilung der Verwechslungsgefahr und ihrer Faktoren muss im Rahmen des Gebots der Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls in vielfältiger Weise an Tatsachen anknüpfen. Solche vorgelagerten Tatsachenfeststellungen liegen im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet und wurden hier von den Vorinstanzen ‑ insbesondere zur besonderen Art des Vertriebs der streitverfangenen Produkte ‑ auch getroffen.

5.1. Die auf diesem Sachverhalt aufbauende Beurteilung fehlender Verwechslungsgefahr infolge schwacher Kennzeichnungskraft der Marke, die sich gängiger Grundformen (Kreis, Quadrat) bediene, und unterschiedlicher Farbgebung der konkurrierenden Produkte, ist keine korrekturbedürftige krasse Fehlbeurteilung der im Allgemeinen einzelfallbezogenen und daher keine erhebliche Rechtsfrage begründenden Prüfung der konkreten Verwechslungsgefahr (RIS‑Justiz RS0112739, RS0111880).

5.2. Verkehrsgeltung, die den Schutzbereich schwacher Zeichen erweitert (vgl 4 Ob 116/03t), war mangels entsprechender Behauptung durch die Klägerinnen nicht in die Beurteilung einzubeziehen.

5.3. Die angefochtene Entscheidung stellt auch gar nicht in Abrede, dass die Kennzeichnungskraft der Marke als eines von mehreren Kriterien bei Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen ist. welches Gewicht diesem Kriterium bei der gebotenen Gesamtbetrachtung allerdings zukommt, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab.

5.4. Das vom Rekursgericht gewonnene Ergebnis ist im Hinblick auf den festgestellten Vertriebsweg der Arzneipflaster sowohl unter markenrechtlichen als auch unter lauterkeitsrechtlichen Gesichtspunkten keinesfalls unvertretbar, selbst wenn man mit den Rechtsmittelwerberinnen von einer durchschnittlichen bis erhöhten Kennzeichnungskraft der Marke infolge langjähriger Monopolstellung beim Wirkstoff ihres Arzneimittels ausgehen wollte.

Stichworte