European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00120.14S.0930.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Der nach verkehrsunfallbedingter Amputation des linken Oberschenkels mit einer „C-Leg-Kniegelenksprothese“ versorgte Kläger beantragte am 15. 10. 2013 die Gewährung medizinischer Rehabilitation durch Übernahme der Kosten für eine Oberschenkelprothese mit mikroprozessorgesteuertem „Genium-Bionic“-Kniegelenk in Höhe von 61.954,34 EUR. Nach Ablehnung der Kostenübernahme (mit Schreiben der beklagten Partei vom 15. 1. 2014) begehrte er am 5. 2. 2014 die Erlassung eines Bescheids.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. 3. 2014 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers [vom 5. 2. 2014] auf „Bescheiderteilung“ über die Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation gemäß §§ 300, 301, 303 und 367 ASVG zurück, weil er über die Ablehnung seines Antrags mit Schreiben vom 15. 1. 2014 informiert worden sei und eine bescheidmäßige Erledigung nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht vorgesehen sei.
Die dagegen am 8. 4. 2014 eingebrachte Klage, mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Übernahme der Kosten für die genannte Prothese zu verpflichten, wies das Erstgericht am 25. 6. 2014 wegen Rechtswegunzulässigkeit zurück. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Im außerordentlichen Revisionsrekurs beruft sich der Kläger im Wesentlichen darauf, dass sich aus dem Schreiben vom 15. 1. 2014, welches zum „Bescheidinhalt“ des bekämpften Bescheids „erhoben“ worden sei, im Sinn der gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, von der das Rekursgericht abweiche, der Wille der Behörde ergebe, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln.
Rechtliche Beurteilung
Dem ist zu erwidern:
1. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst, und zwar in der Entscheidung 10 ObS 174/13f, bekräftigt, dass bereits zu 10 ObS 68/09m (SSV‑NF 24/7 = DRdA 2012/2, 28 [krit Binder]) Folgendes dargelegt wurde:
Bei medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung (jedenfalls soweit sie ‑ wie hier ‑ unabhängig von einem Pensionsantrag begehrt werden: RIS‑Justiz RS0084894 [T1]) ist der Versicherungsträger zwar verpflichtet, die Leistungen der Rehabilitation nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen, hat jedoch keinen Bescheid zu erlassen; der Leistungswerber hat also keine Möglichkeit, die Erbringung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation in der Pensionsversicherung im Leistungsstreitverfahren durchzusetzen, wobei auch keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtslage bestehen.
1.1. In dieser Entscheidung (10 ObS 174/13f) hat der erkennende Senat außerdem festgehalten, dass sich an der in 10 ObS 68/09m (SSV-NF 24/7) dargelegten Rechtslage auch durch das BudgetbegleitG 2011 (75. ASVG-Nov, BGBl I 2010/111) keine Änderung ergeben hat: Der Gesetzgeber der 75. ASVG-Nov sah nämlich eine bedingte Bescheidpflicht nur für berufliche Maßnahmen der Rehabilitation aus der Pensionsversicherung vor (§ 367 Abs 1 ASVG), auf die nach Maßgabe des § 253e ASVG ein Rechtsanspruch besteht. Die medizinische Rehabilitation in der Pensionsversicherung nach § 302 ASVG war hingegen weiterhin dem Wortlaut des § 367 Abs 1 ASVG nicht unterstellbar (vgl Bergauer in SV-Komm § 301 ASVG Rz 14).
1.2. Die Neuregelung des § 367 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 2012 (BGBl I 2013/3), wonach über den Antrag auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation aus der Pensionsversicherung unter bestimmten Voraussetzungen ein Bescheid zu erlassen ist, trat mit 1. 1. 2014 in Kraft und war daher in dem zu 10 ObS 174/13f entschiedenen Fall noch nicht anwendbar.
2. Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme ‑ im Gegensatz zur zitierten Entscheidung (10 ObS 174/13f) ‑ mit Schreiben vom 15. 1. 2014, also erst nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 367 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 2012 mit 1. 1. 2014 abgelehnt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl die Nachweise bei Leeb/Hengstschläger, AVG2 § 59 Rz 77 ff uva), ist der Entscheidung in der Sache grundsätzlich das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht zugrunde zu legen während dem Zeitpunkt der Antragstellung im Allgemeinen keine Bedeutung zukommt. Die Frage, ob die beklagte Partei daher bereits die ab 1. 1. 2014 geltende Rechtslage (mit bedingter Bescheiderlassungspflicht gemäß § 367 Abs 1 ASVG hinsichtlich medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation in der Pensionsversicherung) anwenden hätte müssen, muss jedoch im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden.
2.1. Entgegen der Ansicht des Revisionsrekurses ist nämlich jedenfalls kein Abweichen des Rekursgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu erkennen, weil die tatsächlich erfolgte ‑ bloß formlose ‑ Mitteilung der beklagten Partei vom 15. 1. 2014 über die Verweigerung einer Leistung nach § 367 Abs 1 ASVG noch keinen Bescheidcharakter besaß und es daher an einer meritorischen Entscheidung fehlt:
3. Setzt doch jede Klage (mit Ausnahme der Säumnisfälle) einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers voraus, der „darüber“, das heißt über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein muss (10 ObS 19/13m mwN; RIS-Justiz RS0085867; RS0107802). Der Bescheid muss also eine Sachentscheidung enthalten (10 ObS 14/10x, SSV-NF 24/13 mwN; RIS-Justiz RS0085867 [T13]). Liegt keine meritorische Entscheidung des Versicherungsträgers vor, ist grundsätzlich (von § 68 ASGG und anderen hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen) eine Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz ausgeschlossen. Daher bleibt dem Versicherten insbesondere bei den meisten verfahrensrechtlichen Bescheiden ‑ wie etwa Antragszurückweisungen ‑ die Bekämpfbarkeit durch Klage versagt (10 ObS 14/10x, SSV-NF 24/13 mwN; Neumayr in Zellkomm² § 67 ASGG Rz 4 mwN).
3.1. Da eine bloße Formalentscheidung (wie zB eine Zurückweisung des Antrags des Versicherten wegen Vorliegens einer rechtskräftigen Entscheidung) diese Voraussetzung ‑ einer Entscheidung des Versicherungsträgers über den Anspruch ‑ nicht erfüllt, ist eine vom Versicherten dennoch erhobene Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs (§ 73 ASGG) zurückzuweisen (10 ObS 14/10x, SSV-NF 24/13 mwN). Schon das Rekursgericht hat somit zutreffend darauf hingewiesen, dass verfahrensrechtliche Bescheide der Versicherungsträger grundsätzlich ‑ von den hier nicht vorliegenden, in § 68 ASGG statuierten Ausnahmen abgesehen ‑ nicht der Überprüfung durch das Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz unterliegen.
4. Zu Recht führt das Rekursgericht auch aus, dass im vorliegenden Fall jedenfalls nur eine durch den Antrag vom 5. 2. 2014 auf Bescheiderlassung ausgelöste Bescheidpflicht (nach § 367 Abs 1 ASVG in der ab 1. 1. 2014 geltenden Fassung) in Frage kommen könnte. Nach dem Zeitpunkt dieser Antragstellung, war die sechsmonatige Säumnisfrist gemäß § 67 Abs 1 Z 2 lit a ASGG jedoch weder zum Zeitpunkt der Klagseinbringung noch zu jenem des Schlusses der Verhandlung erster Instanz bereits abgelaufen (vgl RIS-Justiz RS0085867 [T15] und Neumayr in Zellkomm² § 67 ASGG Rz 13 mwN [zur Heilungsmöglichkeit bzgl der Rechtswegunzulässigkeit „verfrühter“ Säumnisklagen, wenn die Frist bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz abgelaufen ist und die Klage noch nicht zurückgewiesen wurde]). Der Rechtsweg war somit auch insoweit unzulässig, und ein Abweichen von gesicherter Rechtsprechung nicht zu erkennen.
5. Die Änderung der Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Neufassung des § 367 ASVG durch das SRÄG 2012 (BGBl I 2013/3) ist hier (ebenfalls noch) nicht maßgebend. Da die außerordentliche Revision daher insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.
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