OGH 9ObA81/14y

OGH9ObA81/14y25.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** Z*****, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Grassner, Lenz, Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 10.181,68 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Juni 2014, GZ 9 Ra 20/14y‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00081.14Y.0925.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Zwischen den Parteien ist strittig, ob die Klägerin bei der Beklagten kaufmännische Dienste im Sinn des § 1 AngG geleistet hat und auf ihr Arbeitsverhältnis daher der Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben anstelle des Kollektivvertrags für die Arbeiter der Garagen-, Tankstellen- und Servicestationsunternehmungen Österreichs anzuwenden ist. Die Grenzziehung zwischen kaufmännischen Diensten und untergeordneten Verrichtungen ist einzelfallbezogen (RIS‑Justiz RS0028066) und daher nur dann im Revisionsverfahren überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober, massiver Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste (vgl RIS‑Justiz RS0044088 [T13]). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Klägerin war von 1. 11. 2011 bis 30. 3. 2013 bei der Beklagten in einer Selbstbedienungstankstelle samt Waschanlage, Shop und Bistro im Schichtdienst tätig, den sie grundsätzlich alleine verrichtete. Sie war überwiegend an der Scanner-Kasse mit dem Kassieren der Tankrechnungs- und Warenbeträge beschäftigt. Unstrittig erfolgten die Zahlungen durch die Kunden nicht nur bar, sondern auch mit Bankomat-, Kredit- und Routex‑Karte. Die Gesamtabrechnung wurde täglich vom Stationsleiter durchgeführt; die Schichtabrechnung wurde jedoch von der Klägerin nach ihrer Schicht gemacht. Abends verwahrte sie die selbständig abgerechneten Einnahmen im Tresor. Bei Frühschichten backte sie das Gebäck auf, bereitete die Kaffeemaschine vor, kontrollierte das Wechselgeld in der Kassa, den Stand der Tabakwaren und der im Shop angebotenen Gutscheine, las den Zählerstand der Waschstraße ab und sperrte den Shop auf. Die Klägerin hatte auch die Regalbetreuung und die Reinigung des Innen- wie Außenbereichs über. Sie hatte zwar keinen Einfluss auf die Preisbildung, die Auswahl der Lieferanten oder die Zusammenstellung des Warensortiments, konnte aber nach Bedarf und eigenem Ermessen Waren selbständig bestellen und hatte den Wareneingang anhand der Lieferscheine zu prüfen. Alle drei Monate machte sie gemeinsam mit dem Stationsleiter und einer weiteren Mitarbeiterin Inventur. Darüber hinaus betreute sie die im Shop befindliche Paketannahmestelle einschließlich der Abrechnung der Paketlieferungen für den Paketzusteller H*****.

Nicht anders als in der einen vergleichbaren Fall betreffenden Entscheidung 9 ObA 74/14v ist die übereinstimmende Rechtsansicht der Vorinstanzen, die die Tätigkeit der Klägerin in ihrer Gesamtheit (9 ObA 259/99z mwN) als Angestelltentätigkeit beurteilten, noch vertretbar und auch im Lichte der zahlreichen, jeweils Einzelfälle betreffenden Entscheidungen (vgl Löschnigg in Löschnigg , AngG § 1 Rz 100 f) nicht korrekturbedürftig. Ist auch für die Tätigkeit der Klägerin keine besondere Ausbildung oder längere Einschulungsphase notwendig, so kann diese ‑ entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ‑ nicht mit der bloßen einfachen Tätigkeit eines Sitzkassiers in einem Selbstbedienungsrestaurant (10 ObS 95/10h) verglichen werden, der ausschließlich mit dem Kassieren betraut ist. Die von der Klägerin verrichteten Aufgaben erschöpften sich ‑ im Gegensatz zu dem der Entscheidung 4 Ob 157/80 (ZAS 1982/24 = DRdA 1984/3) zugrundeliegenden Sachverhalt ‑ auch nicht in Kassiertätigkeiten, die über ein Berechnen des Gesamtpreises, das Entgegennehmen des Geldbetrags und das Verbuchen in der Kasse nicht hinausgehen und nach einer kurzen Einschulung von jedem Absolventen der Grundschule bewältigt werden können. Dabei fällt ins Gewicht, dass die Klägerin eine Reihe von Aufgaben innehatte, die eine Anpassung an die konkrete Marktsituation zur Hebung des Umsatzes erforderte (s Drs in ZellKomm I 2 § 1 AngG, Rz 20), dass insbesondere die Warenbestellung in ihren selbständigen Tätigkeitsbereich fiel und ferner auch die Wareneingangsüberprüfung als durchaus verantwortungsvolle kaufmännische Tätigkeit anzusehen ist (vgl 4 Ob 06/78 = SZ 51/187 = ZAS 1979/25). Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Betrieb der Beklagten stark einem üblichen Handelsbetrieb (Shop‑Konzept) entspricht. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Klägerin als dem Handelskollektivvertrag unterliegende Angestellte iSd § 1 AngG zu qualifizieren ist, bedarf danach keiner Korrektur.

2. Für diesen Fall will die Beklagte die in Art XX Punkt A des Handelskollektivvertrags enthaltene sechsmonatige Verfallsfrist angewandt wissen, während die Vorinstanzen dafür Abschnitt A Punkt 4. der Gehaltsordnung dieses Kollektivvertrags für maßgeblich erachteten, wonach Gehaltsansprüche aufgrund von Unstimmigkeiten hinsichtlich der Einstufung mangels Geltendmachung mit Ablauf von einem Jahr verfallen.

Bereits in der Entscheidung 9 ObA 95/99g wurde unter Verweis auf 9 ObA 20/95 ausgeführt, dass Unstimmigkeiten hinsichtlich der Einstufung im Sinne des Abschnitts A Punkt 4. der Gehaltsordnung des Handelskollektivvertrags nicht nur solche über die Einreihung in die Gehaltstafel, die Beschäftigungsgruppe, das Berufsjahr und das Gehaltsgebiet sind, sondern auch Unstimmigkeiten über das sich aufgrund dieser Einreihung ergebende kollektivvertragliche Entgelt. Die Bestreitung der sich aus der Einstufung ergebenden kollektivvertraglichen Ansprüche des Klägerin mit der Begründung, dass sie keine Angestelltentätigkeiten ausübe, ist im Ergebnis jedoch nicht anders zu sehen als eine Unstimmigkeit über das sich aufgrund ihrer Einstufung ergebende kollektivvertragliche Entgelt, das keiner vertraglichen Unterschreitung zugänglich ist ‑ und zwar auch nicht durch Vereinbarung der Geltung eines Kollektivvertrags mit einem niedrigeren Lohnniveau. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen ist daher auch in diesem Punkt nicht weiter korrekturbedürftig.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

Stichworte