OGH 6Ob83/14w

OGH6Ob83/14w26.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. J***** M*****, 2. M***** AG, beide *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. T***** H*****, vertreten durch Dr. Gerald Haas und andere Rechtsanwälte in Wels, und dessen Nebenintervenientin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen 9 Mio EUR sA (Revisionsinteresse 1 Mio EUR) und Feststellung (Streitwert 1 Mio EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Mai 2013, GZ 16 R 260/12s‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Enthebung des Beklagten als Sachverständiger in dem den Erstkläger betreffenden Strafverfahren begründeten das Landesgericht für Strafsachen Wien (Beschluss vom 1. 7. 2009, AZ 334 HR 436/08g) und das Oberlandesgericht Wien (Beschluss vom 11. 9. 2009, AZ 22 Bs 278/09g) ausschließlich mit dessen (zumindest) objektiver Befangenheit aufgrund des von ihm am 16. 9. 2007 in der Zeitung „Wirtschaftsblatt“ veröffentlichten Gastkommentars.

Die Kläger meinen, der Beklagte hätte sowohl aufgrund §§ 47, 126 Abs 4 StPO als auch aufgrund für ihn geltender Standesregeln „von sich aus“ die Übernahme des Gutachtensauftrags der Staatsanwaltschaft Wien wegen Befangenheit ablehnen müssen; sein Hinweis gegenüber den zuständigen Staatsanwälten auf den Gastkommentar vor Erteilung des Gutachtensauftrags sei nicht ausreichend gewesen. Damit übersehen die Kläger aber, dass der Erstkläger mit Note vom 8. 8. 2008 von der Staatsanwaltschaft Wien ausdrücklich aufgefordert worden war, sich zur beabsichtigten Bestellung des Beklagten zum Sachverständigen zu äußern und allenfalls Einwendungen dagegen zu erheben. Derartige Einwendungen erhob der Erstkläger nicht, obwohl davon auszugehen ist, dass ihm zu diesem Zeitpunkt der Gastkommentar bekannt gewesen war; jedenfalls haben die Kläger im Revisionsverfahren Gegenteiliges nicht behauptet. Erst nach Ablauf der Einwendungsfrist bestellte die Staatsanwaltschaft Wien am 22. 1. 2009 den Beklagten zum Sachverständigen.

Zusammenfassend ist damit zum Vorwurf der Kläger, der Beklagte hätte seine Befangenheit „von sich aus“ wahrnehmen müssen, festzuhalten, dass sich der Beklagte nach den Feststellungen der Vorinstanzen subjektiv nicht für befangen erachtete, dass auch der zuständige Staatsanwalt keinen Anlass fand, die Unvoreingenommenheit des Beklagten aufgrund des Gastkommentars in Zweifel zu ziehen, und dass schließlich der Erstkläger selbst vor der Bestellung des Beklagten zum Sachverständigen keinen Grund fand, den Beklagten aufgrund dessen Gastkommentars als befangen abzulehnen; eine Ablehnung erfolgte erst Monate später. Aus der Annahme des Gutachtensauftrags der Staatsanwaltschaft Wien durch den Beklagten ist somit für die Kläger in einem Schadenersatzverfahren nichts zu gewinnen.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haftet zwar der vom Gericht bestellte Sachverständige den Prozessparteien gegenüber persönlich nach §§ 1295, 1299 ABGB für die Folgen eines in einem Zivilprozess erstatteten unrichtigen Gutachtens (6 Ob 634/77 SZ 50/98; 3 Ob 284/01p; 8 Ob 30/07f; 8 Ob 69/08t), was auch für den im Strafverfahren bestellten Sachverständigen zugunsten des Angeklagten beziehungsweise Beschuldigten zu gelten hat (9 Ob 67/03y; 8 Ob 69/08t). Allerdings kann in Strafsachen der Verurteilte, solange das verurteilende Strafurteil aufrecht ist, vom Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützt, nicht Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren (7 Ob 180/02z; 9 Ob 67/03y; 8 Ob 69/08t), hat das Zivilgericht doch, solange das strafgerichtliche Erkenntnis nicht beseitigt ist, bindend davon auszugehen, dass der Verurteilte die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich begangen hat (9 Ob 67/03y; 8 Ob 69/08t).

Damit schließt es die Ausgestaltung des strafrechtlichen Rechtsschutzsystems aus, während des anhängigen Verfahrens eine Überprüfung der Ergebnisse des Strafverfahrens im Zivilverfahren herbeizuführen. Schon die Möglichkeit, derartige Klagen als Druckmittel zu missbrauchen, zwingt hier zu einer zurückhaltenden Beurteilung. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Person des Sachverständigen, sondern auch der Funktionsfähigkeit der Justiz insgesamt.

2.2. Diese Grundsätze gelten auch für den Fall der Verhängung der Untersuchungshaft; jedenfalls solange die Untersuchungshaft andauert, steht dem im Zivilverfahren erhobenen Schadenersatzbegehren die Bindungswirkung dieser Entscheidung entgegen (8 Ob 69/08t).

2.3. Nach § 173 Abs 1 StPO sind Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nur dann zulässig, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Straftat dringend verdächtig, vom Gericht zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft vernommen worden ist und einer der im Abs 2 angeführten Haftgründe vorliegt. Sie darf nicht angeordnet oder fortgesetzt werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht oder ihr Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel (Abs 5) erreicht werden kann. Der Erstkläger wurde zwar zwischenzeitig aus der ursprünglich verhängten Untersuchungshaft entlassen, dies aber nur gegen Anwendung gelinderer Mittel (zuletzt Erlag einer Kaution, Gelöbnis und Verpflichtung zur Anzeige einer dauernden Wohnsitzverlegung sowie zur monatlichen Meldung beim Haftrichter [Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen vom 5. 7. 2010, AZ 334 HR 436/08g]).

Die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung, die der Entscheidung 8 Ob 69/08t zugrunde gelegten Grundsätze seien auch auf einen Fall des § 173 Abs 5 StPO anzuwenden, solange die gelinderen Mittel aufrecht angeordnet sind, ist durchaus vertretbar; auch hier besteht ja Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Entscheidung. Bejahte man hingegen die Möglichkeit, den Sachverständigen vor Beendigung dieser Maßnahmen mit einer auf die behauptete Unrichtigkeit des Gutachtens gestützten Schadenersatzklage zu belangen, käme es im Ergebnis auch in diesem Kontext zu einer Überprüfung des im Strafverfahren ergangenen Beschlusses auf Anordnung gelinderer Mittel anstelle der Verhängung beziehungsweise Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft (vgl 8 Ob 69/08t). Ob der Sachverständige in dieser Funktion noch weiter am Strafverfahren beteiligt ist oder nicht, spielt dabei ‑ entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung ‑ keine Rolle; es geht ‑ wie schon erwähnt ( 2.1. ) ‑ nicht nur um eine allfällige Druckausübung auf den Sachverständigen, sondern auch um die formelle Frage der Bindungswirkung.

2.3. Damit ist aber für die Kläger aus der ‑ von ihnen behaupteten ‑ Fehler‑ und Mangelhaftigkeit des vom Beklagten erstatteten Sachverständigengutachtens in diesem ua auf § 1330 ABGB gestützten Verfahren nichts zu gewinnen.

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