European Case Law Identifier: AT:OGH:2014:E107643
Spruch:
In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens verfügt, das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. Juni 2013, AZ 9 Bs 78/13h, aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 24. Jänner 2013, GZ 11 Hv 191/12t‑8, an das Oberlandesgericht Graz verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Abwesenheitsurteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 24. Jänner 2013, GZ 11 Hv 191/12t‑8, wurde Helmut G***** des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.
Nach Zustellung dieses Urteils am 6. Februar 2013 erhob der Angeklagte fristgerecht Einspruch und meldete zugleich Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe an (ON 9).
Nachdem das Oberlandesgericht Graz den Einspruch zurückgewiesen hatte (ON 12), beraumte es eine Berufungsverhandlung für den 26. Juni 2013 an.
In einem am 25. Juni 2013 beim Oberlandesgericht Graz eingelangten Schreiben gab der Angeklagte an, bereits am 27. Februar 2013 einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Ausführung der Berufung gestellt zu haben, über den noch nicht entschieden worden sei. Zugleich beantragte er, die Berufungsverhandlung abzuberaumen und über den Verfahrenshilfeantrag zu entscheiden (ON 13 S 1 f).
Auf Anfrage des Oberlandesgerichts Graz teilte das Landesgericht für Strafsachen Graz mit, eine „mehrmalige Überprüfung sämtlicher Einlaufmappen“ habe gezeigt, dass ein solcher Antrag des Angeklagten „nicht aufliegt“. Auch die Registereingaben ergäben „keinen Hinweis, dass seit der Vorlage des Aktes an das Rechtsmittelgericht ein Schriftstück eingelangt und möglicherweise in Verstoß geraten sein könnte“. Eine Überprüfung bei der Staatsanwaltschaft sei zum gleichen Ergebnis gekommen (ON 13 S 5).
Auf dieser Sachverhaltsgrundlage wies das Oberlandesgericht Graz den Antrag auf Verlegung der Berufungsverhandlung ab (ON 14 S 2) und gab mit Urteil vom 26. Juni 2013 der (nicht ausgeführten) Berufung des Angeklagten wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe nicht Folge und nahm auf die Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe gemäß § 467 Abs 2 StPO (zu ergänzen) iVm § 489 Abs 1 StPO keine Rücksicht. Begründend ging es unter anderem davon aus, dass der Angeklagte „entgegen seiner Behauptung“ einen „Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Ausführung der Berufung weder während der Rechtsmittelfrist noch nach deren Ablauf beim Landesgericht für Strafsachen Graz eingebracht“ habe (ON 16 S 2).
Mit Eingabe vom 12. Dezember 2013 stellte Helmut G***** beim Obersten Gerichtshof (zu AZ 15 Ns 83/13v) einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Einbringung eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO und legte (erstmals) eine Kopie seines zuvor bezeichneten Antrags vom 27. Februar 2013 und einen Postaufgabeschein vom Folgetag betreffend eine an die Postleitzahl 8010 gerichtete Einschreibesendung vor.
Rechtliche Beurteilung
Bei der Prüfung der Akten ergeben sich ‑ wie die Generalprokuratur in ihrem gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO gestellten Antrag zutreffend aufzeigt ‑ erhebliche Bedenken (§ 362 Abs 1 Z 2 StPO) gegen die Richtigkeit der dem Beschluss auf Durchführung der Berufungsverhandlung und dem Urteil des Oberlandesgerichts Graz zu Grunde gelegten Annahme, der Angeklagte habe einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zur Ausführung der angemeldeten Berufung nicht (fristgerecht) gestellt.
Vielmehr indizieren die oben bezeichneten, nunmehr vom Angeklagten dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Urkunden, dass er sehr wohl innerhalb der (durch Anmeldung der Berufung gegen das Abwesenheitsurteil ausgelösten [Bauer/Jerabek, WK-StPO § 427 Rz 17; RIS‑Justiz RS0101655, RS0101645]) vierwöchigen Frist (§ 285 Abs 1 StPO iVm § 488 Abs 1 StPO) einen derartigen Antrag (§ 61 Abs 2 Z 3 StPO) gestellt hat. Dieser Antrag unterbrach die Rechtsmittelfrist, welche erst ab dem Zeitpunkt wieder neu zu laufen begonnen hätte, ab welchem dem Verteidiger der Bescheid über seine Bestellung und das Aktenstück, das die Frist sonst in Lauf setzt, oder dem Beschuldigten der den Antrag abweisende Beschluss zugestellt worden wäre (§ 63 Abs 1 StPO).
Vorliegend wurde die Rechtsmittelfrist mangels Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag jedoch nicht wieder in Gang gesetzt, weshalb die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufungsverhandlung und die Entscheidung über die Berufung nicht vorlagen.
Somit ist eine (nicht vom Obersten Gerichtshof getroffene) letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv unrichtigen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass diesem Gericht ‑ im Hinblick auf das Ergebnis seiner Erhebungen ‑ ein Rechtsfehler anzulasten ist. Dies war durch Verfügung der außerordentlichen Wiederaufnahme auf die im Spruch ersichtliche Weise in analoger Anwendung des § 362 Abs 1 Z 2 StPO zu sanieren (RIS-Justiz RS0117416, RS0117312).
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