OGH 2Ob70/14d

OGH2Ob70/14d22.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin R***** K*****, vertreten durch Dr. Peter Banwinkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die Beklagten 1. T***** K*****, 2. O***** GmbH, *****, und 3. U***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 16.000 EUR sA, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2014, GZ 2 R 8/14f‑10, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 7. November 2013, GZ 29 Cg 79/13h‑6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit 1.206,07 EUR (darin enthalten 201,01 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der 1953 geborene Ehegatte der Klägerin wurde im Jahr 2011 als Motorradlenker bei einem vom Erstbeklagten als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Pkws verursachten und verschuldeten Unfall verletzt. Er erlitt einen Beckenbruch mit der Dauerfolge einer erektilen Dysfunktion.

Die 1959 geborene Klägerin begehrt von den Beklagten 16.000 EUR an Schadenersatz für den Verlust der aus dem Sexualleben ersprießenden gemeinsamen Lebensfreude. Wenn sie auch bis dato noch keinen Arzt konsultiert habe, so besitze ihre psychische Beeinträchtigung dennoch bereits Krankheitswert. Sie habe Angst, ihr bisher harmonisches und von sexuellem Verlangen gekennzeichnetes Eheleben könnte durch den Verlust dieser gemeinsamen Lebensfreude brüchig werden. Sie habe auch Angst, dass die unfallbedingt hervorgerufene sexuelle Enthaltsamkeit gravierende psychische und psychosoziale Folgen nach sich ziehen könne. Bei einer Schmerzengeldberechnung nach angemessenen Tagessätzen sei fiktiv pro außerhäuslichem, anonymem Geschlechtsverkehr ein Preis von ca 60 EUR anzusetzen.

Die Beklagten wendeten ein, nicht jede Beeinträchtigung der Lebensfreude begründe einen ersatzfähigen Schaden. Ein ersatzfähiger „Schockschaden“, welcher eine eigene krankheitswertige Beeinträchtigung des Angehörigen bedinge, sei nur bei Tötung und schwersten Verletzungen naher Angehöriger gegeben. Davon könne hier nicht die Rede sein. Auch die Voraussetzungen für „Trauerschmerzengeld“ lägen nicht vor. Die vom Erstbeklagten zu vertretende Vorrangverletzung rechtfertige nicht die Annahme grober Fahrlässigkeit. Der von der Klägerin behauptete Schaden sei nicht vorhersehbar gewesen. Sie sei nur als mittelbar Geschädigte anzusehen.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Eine von der Rechtsprechung für die Zuerkennung eines derartigen Drittschadens geforderte „schwerste“ Verletzung des Angehörigen sei hier nicht gegeben. Auch fehle es an dem geforderten besonders starken Zurechnungsgrund der hohen Eignung der Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen zur Herbeiführung eines Drittschadens.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob einer Ehefrau wegen der bei einem Unfall erlittenen dauerhaften Impotenz ihres Ehemanns und einer daraus bei ihr eingetretenen psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert ein eigener Schmerzengeldanspruch zustehe, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Die Klägerin macht mit ihrer Revision geltend, die Judikatur zum Angehörigenschmerzengeld bzw zu den Fernwirkungsschäden Dritter lasse Spielräume für weitere vergleichbare Fallkonstellationen. So könnte anstelle der erforderlichen Schwerstverletzung das Merkmal einer intensiven Gefühlsgemeinschaft treten. Die Klägerin sei als unmittelbar Geschädigte zu betrachten, weil sie im Zeitpunkt des Eintritts der erektilen Dysfunktion ihres Ehegatten, mit dem sie bis zu diesem Unfallereignis ein aktives Sexualleben geführt habe, in ihrem Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit beeinträchtigt worden sei. Es liege eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert vor. Sie müsse sich mit dem Dauerzustand der Beeinträchtigung abfinden. Im Gegensatz dazu sei ein Schockgeschehen oft zeitlich begrenzt. Somit liege eine gravierendere Beeinträchtigung ihrer Lebensumstände vor.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist ungeachtet des ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten oder „schwerst“ Verletzten für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert Schmerzengeld, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vgl RIS‑Justiz RS0031111). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0116865).

2. Die Rechtsprechung stellt im Hinblick auf die Zuerkennung von Schockschäden nur auf „schwerste“ Verletzungen ab, also solche, bei denen die Nachricht auf den nahen Angehörigen typischerweise ähnlich wie eine Todesnachricht wirkt. Das wird in der Regel nur auf Verletzungen von solcher Schwere zutreffen, bei der für das Unfallopfer entweder eine akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit besteht. Andere schwere Verletzungen, die nicht einem Pflegefall gleichkommen, werden in der Regel nicht als haftungsbegründend anerkannt (vgl 2 Ob 136/11f [dazu die Glosse von Karner in ZVR 2012, 373, der sich gegen die Verabsolutierung der Haftungsgrenze ausspricht]; 2 Ob 53/05s).

Der vorliegende Sachverhalt ist nicht mit dem der Entscheidung 2 Ob 136/11f zu vergleichen. Dort wurde die psychische Beeinträchtigung durch die Unfallsnachricht ausgelöst (vgl auch 2 Ob 72/13x).

3. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen noch keinen Arzt konsultiert; sie hat daher selbst ihren Zustand nicht für behandlungsbedürftig gehalten; sie beschreibt kein konkretes akutes Krankheitsbild, sondern nur ihre Angst vor künftigen psychischen Folgen. Allein die Verwendung des Wortes „Krankheitswert“ reicht für die Behauptung einer aktuellen psychischen Beeinträchtigung nicht aus. Die Verneinung eines Schadenersatzanspruchs der Klägerin durch die Vorinstanzen war daher auch aus diesem Grund vertretbar. Eine Abgeltung bereits für die zweifellos vorhandene Einbuße an Lebensfreude würde ein Ausufern der Haftung für grundsätzlich nicht ersatzfähige Drittschäden bedeuten.

4. Die Revision der Klägerin ist daher in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Ihre Revisionsbeantwortung diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

Stichworte