OGH 20Os1/14v

OGH20Os1/14v20.5.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 20. Mai 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner und die Anwaltsrichter Dr. Haslinger und Dr. Rothner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kotanko als Schriftführerin, in der Disziplinarsache gegen Mag. Dr. Helmut B***** wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11. März 2013, D 45/06, DV 8/07, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Mag. Lughofer und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben.

Der Berufung wegen Strafe wird dahin Folge gegeben, dass die (Zusatz‑)Geldbuße auf 500 Euro herabgesetzt wird.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit Erkenntnis vom 11. März 2013, D 45/06, DV 8/07, hat der Disziplinarrat der oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Dr. Helmut B*****, für schuldig erkannt, er habe zwischen 10. und 17. August 2006 gegen § 10 RAO verstoßen und dadurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, weil er einerseits durch Verfassung der eidesstättigen Erklärung vom 17. August 2006 anwaltliche Tätigkeiten für Ing. Mag. Otto G***** in dem gegen diesen wegen des Verdachts der Schlepperei sowie des schweren Betrugs zu 16 Ur 99/06v beim Landesgericht Linz geführten Strafverfahren entfaltet hat, gleichzeitig aber auch die Wahlverteidigung der Tatiana S***** in dem gegen sie wegen Verdachts der Schlepperei nach § 114 Abs 2 und Abs 4 erster Fall Fremdenpolizeigesetz zu 28 Hv 115/06f des Landesgerichts Linz anhängigen Verfahren übernommen hat.

Von den weiteren Vorwürfen, er habe an der Errichtung der eidesstättigen Erklärung der Tatiana S***** vom 17. August 2006 im Wissen um deren Unrichtigkeit, jedenfalls aber im Wissen darum, dass der Inhalt der eidesstättigen Erklärung (sinnentstellend) unvollständig gewesen ist, mitgewirkt und er habe überdies die eidesstättige Erklärung ausschließlich im Interesse des im Verfahren 16 Ur 99/06v des Landesgerichts Linz Beschuldigten Ing. Mag. Otto G***** errichtet, wurde Mag. Dr. Helmut B***** hingegen freigesprochen.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde ‑ unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis D 1/06, DV 17/06, wobei dieses Verfahren mit dem Verfahren D 9/06, DV 40/06, verbunden worden war ‑ eine Zusatzgeldbuße von 1.000 Euro verhängt. Außerdem wurde der Disziplinarbeschuldigte dazu verpflichtet, die Verfahrenskosten zu ersetzen.

Dem angefochtenen Erkenntnis legte der Disziplinarrat zusammengefasst folgenden Sachverhalt zugrunde:

Mag. Dr. Helmut B***** ist Rechtsanwalt in L*****. Helmut A*****, Geschäftsführer des Vereins E***** hatte ihn am 10. August 2006 kontaktiert und namens des Vereins gebeten, die Interessen des Vereins wahrzunehmen und gegebenenfalls auch die Vertretung und die Verteidigung von Tatiana S***** zu übernehmen. Der Disziplinarbeschuldigte erklärte sich dazu bereit. Die Kosten einer Verteidigung von Tatiana S***** würde der Verein tragen. Eine schriftliche Beauftragung des Disziplinarbeschuldigten oder eine konkrete Honorarvereinbarung gab es nicht; der Disziplinarbeschuldigte gab eine Kostenschätzung von 2.000 Euro bis 3.000 Euro ab. Tatiana S*****, eine moldawische Staatsbürgerin, war am 6. August 2006 aufgrund eines Haftbefehls unter dem Verdacht der Verbrechen der Schlepperei nach den § 104 Abs 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz 1997 und nach § 114 Abs 2 und 4 (aF) in Untersuchungshaft genommen worden. Sie war vor ihrer Haft mit 11 weiteren moldawischen Staatsangehörigen in das Bundesgebiet eingereist.

Der Verein E***** ist seit Jänner 1991 zur Zahl ***** im Vereinsregister der Landespolizeidirektion Oberösterreich eingetragen. Zweck des Vereins ist nach seiner Satzung, materielle und ideelle Entwicklungshilfe sowohl in der Dritten Welt als auch in den Oststaaten, insbesondere für die deutschsprachige Minderheit der Landler in Rumänien zu leisten. Er stellte sich zur Aufgabe, Kontakte mit dem Westen herzustellen, um es Personen aus dem Osten zu ermöglichen, die Lebens‑ und Arbeitsweise in Österreich kennenzulernen. Der Verein wird vom Obmann nach außen vertreten. Obmann des Vereins war im Jahr 2006 Mag. Otto G*****. Dieser hatte Tatiana S***** im Jahr 2004 in Moldawien kennengelernt, woraus sich eine Zusammenarbeit entwickelte. Der Verein lud moldawische Staatsangehörige nach Österreich ein, Mag. G***** war behilflich, entsprechende Einreisevisa zu verschaffen. Tatiana S***** organisierte und leitete verschiedene Reisen.

Nach der Verhaftung der Tatiana S***** waren der Verein, aber auch seine Vertreter ‑ Mag. G***** als Obmann und Helmut A***** als Geschäftsführer ‑ naturgemäß daran interessiert, die Hintergründe der Verhaftung der Tatiana S***** zu erfahren; immerhin war es der Verein gewesen, der durch seine Einladungen und durch die Unterstützung bei der Visaerteilung überhaupt die Einreise der Moldawier ermöglicht hatte. Für die Vertreter des Vereins stand bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Disziplinarbeschuldigten im Vordergrund, ob Letzterer bereit wäre, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, die mögliche Vertretung von Tatiana S***** kam erst danach. Mag. G***** betonte dem Disziplinarbeschuldigten gegenüber gleich am Beginn, dass durch diese Affäre das Ansehen des Vereins schwer betroffen war; es stand daher von Anbeginn außer Frage, dass die Kosten des Einschreitens des Disziplinarbeschuldigten der Verein tragen werde. Ursprünglich überzeugt von der Unschuld der Tatiana S***** lag deren Vertretung aus Sicht des Mag. G***** ebenfalls im Vereinsinteresse.

Der Disziplinarbeschuldigte besuchte Tatiana S***** erstmals am 10. August 2006 in der Untersuchungshaft. Diesem Besuch ging ein Telefongespräch mit Mag. G***** voraus, der selbst nicht in L***** war, sondern seit 9. August 2006 auf einer 14-tägigen Urlaubsreise in Malta. In diesem Telefonat sagte Mag. G***** dem Disziplinarbeschuldigten sinngemäß, er sei an einer umfassenden und vollständigen Aufklärung der Sache interessiert und er würde selbstverständlich auch dazu seinen Beitrag leisten. Bei diesem Gespräch erfuhr der Disziplinarbeschuldigte ebenso wie vorher bereits von Helmut A*****, dass Tatiana S***** Mag. G***** angeblich beschuldigt hatte, er habe persönlich ein Entgelt für die Einladung und seinen Beitrag zur Organisation der Reise verlangt. Gegenüber dem Disziplinarbeschuldigten wies Mag. G***** die Vorwürfe zurück; sollten sie so gefallen sein, so könne es sich dabei nur um ein Missverständnis handeln; man würde dazu beitragen, sie aufzuklären.

In der ersten Besprechung zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und Tatiana S***** wurde ihr erklärt, dass es sich beim Disziplinarbeschuldigten um den vom Verein für sie unentgeltlich zur Verfügung gestellten Rechtsanwalt handle; sie erteilte ihm Prozessvollmacht. Noch am gleichen Tag erhielt der Disziplinarbeschuldigte auch die ersten Aktenkopien, die er dem Verein weiterleitete. Diese Aktenkopien enthielten unter anderem auch die Mag. G***** belastenden Aussagen der Tatiana S*****; durch die Weiterleitung der Aktenkopien an den Verein erfuhr Mag. G***** vom genauen Inhalt der Beschuldigungen gegen ihn. Mag. G***** drohte in Gesprächen mit dem Disziplinarbeschuldigten damit, gegen Tatiana S***** gerichtlich vorzugehen, weil ihre Anschuldigungen falsch wären.

Am 14. August 2006, der nächsten Besprechung zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und Tatiana S***** berichtete Ersterer, dass Mag. G***** über ihre Beschuldigungen äußerst empört gewesen sei und dass er die Einleitung rechtlicher Schritte gegen sie beabsichtigte. Sie selbst gestand dem Disziplinarbeschuldigten ein, dass einige ihrer Aussagen nicht richtig wären, weshalb sie sie berichtigen möchte; sie habe die Situation bei der Befragung durch die Sicherheitsbehörden nicht einschätzen können. Tatiana S***** nannte einige dieser Punkte, die der Disziplinarbeschuldigte handschriftlich festhielt; eine detaillierte Identifikation der fehlerhaften Beschuldigungen ist an diesem Tag allerdings noch nicht erfolgt. Der Disziplinarbeschuldigte erkundigte sich nach diesem Gespräch sowohl in der Geschäftsabteilung der Staatsanwaltschaft Linz als auch in den Abteilungen der Untersuchungsrichter des Landesgerichts Linz, ob gegen Mag. G***** wegen dieser Anschuldigungen bereits ein Strafverfahren anhängig wäre; dies wurde ihm gegenüber verneint.

Am 16. August 2006 telefonierte der Disziplinarbeschuldigte neuerlich mit Mag. G***** und bat ihn, aus seiner Sicht den Sachverhalt schriftlich wiederzugeben. Dies ist dann mit dem E‑Mail des Mag. G***** vom gleichen Tag geschehen. Der Disziplinarbeschuldigte ging damit am darauffolgenden Tag gegen 8:00 Uhr zu seiner Mandantin. Gemeinsam mit dem gerichtlich beeideten Übersetzer Dr. Bernhard R***** hat dann der Disziplinarbeschuldigte die Gegendarstellung des Mag. G***** mit Tatiana S***** besprochen; sie stimmte nicht mit allem überein, sondern hatte verschiedene Änderungswünsche. Der Disziplinarbeschuldigte hat dann aufgrund dieses Gesprächs den Text der eidesstättigen Erklärung in seiner Kanzlei verfasst und sie bei einem neuerlichen Gespräch mit Tatiana S***** erörtert. Mit der letzten Fassung war sie einverstanden.

Tatiana S***** hatte Mag. G***** in ihren bisherigen Aussagen vor der Sicherheitsbehörde und dem Untersuchungsrichter unter anderem beschuldigt, er habe von jedem der Reisenden eine Zahlung von 450 Euro verlangt; außerdem habe er den in einem Verwaltungsgerichtshofverfahren erstrittenen Kostenersatz von etwa 17.000 Euro für sich behalten.

Im Gegensatz dazu war in der eidesstättigen Erklärung vom 17. August 2006 nur mehr die Rede davon, dass die Reisenden neben den Aufenthaltskosten allenfalls noch eine Krankenversicherung bezahlen hätten müssen. Zum angeblich vorenthaltenen Kostenersatz wird nun ausgeführt, dass ein Teil davon für die anwaltliche Vertretung verwendet und der Rest vom Verein zur Weiterleitung an die Antragsteller überwiesen worden wäre.

Tatiana S***** wurde am 17. August 2006 vom Landesgericht Linz in erster Instanz nach dem Fremdenpolizeigesetz zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Höhe von 12 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Über Berufung der Staatsanwaltschaft Linz wurde die bedingte Strafnachsicht ausgeschaltet und damit die Sanktion in eine unbedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten umgewandelt.

Der Disziplinarbeschuldigte hat in der Hauptverhandlung gegen Tatiana S***** am 17. August 2006 die von ihr unterschriebene eidesstättige Erklärung nicht verwendet; er hat sie aber kurze Zeit später den Verteidigern des Mag. G***** überlassen. Diese haben sie dann der Staatsanwaltschaft Linz am 21. August 2006 zur Kenntnis gebracht. Der Disziplinarbeschuldigte war sich zwar sicher, dass die von Tatiana S***** vor der Sicherheitsbehörde und dem Untersuchungsrichter abgegebene Erklärung zumindest in Teilen unrichtig war, er wollte aber diese Unrichtigkeit im Rahmen des Verfahrens nicht mehr aufgreifen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem vorsitzenden Richter vor der Verhandlung war er nämlich davon ausgegangen, dass seine Mandantin nur eine relativ geringe Strafe erhalten würde. Eine Diskussion über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einzelner Aussagen hätte das Verfahren unnötig in die Länge gezogen und den Disziplinarbeschuldigten gezwungen, seine Verteidigungsstrategie zu ändern. Der Disziplinarbeschuldigte hatte ‑ nach den Feststellungen des Disziplinarrats ‑ bei der Verfassung der eidesstättigen Erklärung nicht nur die Interessen seiner Mandantin, sondern auch jene des Mag. G***** im Auge.

Der Disziplinarrat wertete das Verhalten des Disziplinarbeschuldigten als Verstoß gegen das Verbot der Doppelvertretung nach § 10 RAO: Bereits bei seinem ersten Kontakt mit Mag. G***** am 14. August 2006 (gemeint offenbar: 10. August 2006) habe der Disziplinarbeschuldigte erkannt, dass dieser die Anschuldigungen seiner Mandantin bestritt und mit rechtlichen Schritten drohte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei für ihn der bestehende Interessenkonflikt erkennbar geworden. Dennoch habe er die eidesstättige Erklärung verfasst, die für Mag. G***** entlastend und begünstigend wirken sollte. Ihre Errichtung habe ‑ von vornherein ‑ primär nicht Verteidigungszwecken im Strafverfahren gegen Tatiana S***** gedient; sie sei deshalb auch kurz danach den Verteidigern des Mag. G***** weitergereicht worden.

Durch das Verfassen der eidesstättigen Erklärung habe der Disziplinarbeschuldigte für Tatiana S***** die konkrete Gefahr einer Beeinträchtigung ihrer Glaubwürdigkeit im nach wie vor laufenden Verfahren geschaffen. Der Disziplinarbeschuldigte sei zwar nicht als ausgewiesener Vertreter des Mag. G***** aufgetreten, er habe ihm aber sowohl Teile des Aktes als auch die eidesstättige Erklärung zukommen lassen. Dabei habe es sich um eine anwaltliche Tätigkeit im Sinne des § 10 Abs 1 RAO gehandelt, womit das Delikt der materiellen Doppelvertretung verwirklicht worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den verurteilenden Teil des Erkenntnisses richtet sich die fristgerechte Berufung des Disziplinarbeschuldigten vom 30. Oktober 2013 mit dem Antrag, ihn von dem erhobenen Vorwurf der materiellen Doppelvertretung freizusprechen. Die Strafberufung richtet sich gegen den Ausspruch der Geldbuße, ohne eine andere Strafe anzusprechen. Der Kammeranwalt der oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer hat keine schriftliche Gegenäußerung erstattet.

Das Rechtsmittel behauptet eine Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Erkentnisses, ohne Nichtigkeitsgründe deutlich oder bestimmt zu bezeichnen. Auch als Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld kommt ihm keine Berechtigung zu.

Der Rechtsanwalt ist nach § 9 Abs 1 Satz 1 RAO verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Eine spezielle Ausprägung der der anwaltlichen Vertretung innewohnenden Treuepflicht ist das Verbot der Doppelvertretung. Die disziplinäre Strafwürdigkeit liegt darin, dass durch die Doppelvertretung stets der Anschein erweckt wird, es würden Interessen des ‑ aktuellen oder des ehemaligen ‑ Klienten verraten. Dabei ist es gar nicht notwendig, dass der Vertrauensmissbrauch tatsächlich stattgefunden hat, ja die Doppelvertretung ist sogar dann verpönt, wenn außer Streit steht, dass durch die Doppelvertretung die Interessen des Klienten tatsächlich nicht beeinträchtigt wurden (RIS-Justiz RS0118082; RS0096650; RS0072365); das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine materielle oder um eine formelle Doppelvertretung handelt (AnwBl 2005/7976; AnwBl 2005/7986).

Nach § 10 Abs 1 Satz 1 RAO ist der Rechtsanwalt zwar nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, vielmehr kann er sie ohne Angabe von Gründen ablehnen. Allerdings ist er jedenfalls verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenparteien in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat. Dieses Verbot dient rechtspolitisch dem Schutz des Vertrauens, das die Öffentlichkeit im Allgemeinen und der Mandant im Besonderen in die Tätigkeit des Rechtsanwalts setzt. Dieses Vertrauen wird schon allein durch den Anschein beeinträchtigt, der Rechtsanwalt würde die Interessen des Mandanten aufgrund einer Interessenkollision nur eingeschränkt wahrnehmen (8 Bkd 2/03; 1 Bkd 4/01; 16 Bkd 1/08).

Von dieser Rechtslage ausgehend wird deutlich, dass das Verbot der Doppelvertretung somit nicht auf reine Vertretungshandlungen beschränkt ist, sondern überhaupt alle Konstellationen umfasst, in denen sich eine Interessenkollision abzeichnet oder schon vorliegt (so die stRsp der OBDK: RIS‑Justiz RS0117715). Das ist auch der Grund, weshalb die Rechtsprechung in der Vergangenheit den Begriff des Rates im Sinne des § 10 RAO immer sehr weit ausgelegt hat. Der Rat im Sinne des Gesetzes umfasst jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, welche dem Klienten die Grundlage für seine Entscheidung verschaffen soll. Dieser weiten Auslegung bedarf es, um auch nur den Anschein eines Frontwechsels oder einer nicht vollständigen Interessenwahrnehmung durch den Rechtsanwalt zu vermeiden (vgl RIS‑Justiz RS011676; RS0113206). Allein die Tatsache, dass der Disziplinarbeschuldigte kein Vertretungsmandat von Mag. G***** erhalten hatte, reicht also entgegen den Berufungsausführungen ebenso wenig aus, den Vorwurf der Doppelvertretung zu entkräften, wie die Tatsache, dass am 17. August 2006 gegen Mag. G***** formell noch kein gerichtliches Strafverfahren geführt worden ist. Es kommt eben nicht auf die äußere Form des Interessenkonflikts durch das Auftreten als bevollmächtigter Rechtsanwalt, sondern auf das Bestehen des Interessenkonflikts selbst an. Dass der Anknüpfungspunkt der Interessenkonflikt selbst ist, in welcher Form er auch immer nach außen sichtbar wird, zeigt auch, dass die Rechtsprechung konsequenterweise bei der zulässigen Doppelvertretung (insbesondere als Vertragsanwalt mehrerer Personen) vom Rechtsanwalt verlangt, dass er sich ab dem Zeitpunkt jeder weiteren Tätigkeit zu enthalten hat, wenn er erkennt oder wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen kann, dass zwischen den Personen, die er berät oder für die er tätig wird, eine Interessenkollision entsteht (Feil/Wennig, Anwaltsrecht7, § 10 RAO Rz 15, 150 mwH).

Ein derart unvermeidbarer Interessenkonflikt zwischen der Verteidigung der Tatiana S***** und dem Schutz der Interessen des Vereins und seiner Organe lag im Kern bereits mit der Übernahme des Mandats durch den Disziplinarbeschuldigten vor. Dieser Interessenkonflikt wurde durch die eidesstättige Erklärung der Tatiana S*****, mit der sie ihre Anschuldigungen gegen Mag. G***** in weiten Teilen zumindest zurücknahm, ganz konkret. Der Verein E***** war von der Verhaftung der Tatiana S***** am 6. August 2006 unmittelbar betroffen, war es doch der Verein, der durch seine Einladung und durch seine verwaltungsmäßige Unterstützung zur Einreise der moldawischen Staatsbürger beigetragen hatte. Damit stand der Ruf des Vereins und seiner Organe auf dem Spiel.

Vor diesem Hintergrund wandten sich die Vertreter des Vereins an den Disziplinarbeschuldigten, dem diese Motive ausdrücklich auch genannt worden sind. Nicht zuletzt waren es auch die eigenen Interessen des Vereins, die diesen bewogen haben, die Kosten des Disziplinarbeschuldigten zu übernehmen.

Bereits die Ergebnisse der ersten Einvernahmen der Tatiana S*****, die den Obmann des Vereins beschuldigt hatte, für die Mithilfe bei der Organisation der Reise persönlich Geld verlangt zu haben, machten klar, dass zwischen Tatiana S***** und dem Verein, den Mag. G***** nach außen vertrat, ein unüberbrückbarer Interessenkonflikt entstehen musste. Dieser Interessenkonflikt verschwand auch nicht dadurch, dass die Vorwürfe der Tatiana S***** formal nicht den Verein, sondern seinen Vereinsobmann betrafen. Angesichts der Aufgaben und Funktionen des Vereins konnte es nicht ausbleiben, dass bei Zutreffen der Vorwürfe gegen den Obmann auch der Verein massiv geschädigt sein würde.

Bei der vom Regelungszweck des Verbots der Doppelvertretung gebotenen weiten Auslegung der gesetzlichen Begriffe der Vertretung und Beratung in § 10 RAO zum Schutz der Interessen der Rechtssuchenden entlastet den Disziplinarbeschuldigten auch nicht der Umstand, dass er Mag. G***** nicht persönlich vertreten hat. Tatsache ist nämlich, dass bei der Errichtung der eidesstättigen Erklärung eine Kollision zwischen den Verteidigungsinteressen der Tatiana S***** und den Interessen des Vereins und seines Obmanns an einer Entkräftung der Vorwürfe bestand. Die Errichtung der eidesstättigen Erklärung war zumindest geeignet, bei einem objektiven Betrachter den Anschein eines aktuellen Interessenkonflikts hervorzurufen; immerhin hatte der Verein den Disziplinarbeschuldigten beauftragt (für ihn) den Sachverhalt aufzuklären. Der Verein hatte sich auch verpflichtet, die Kosten des Einschreitens des Disziplinarbeschuldigten zu übernehmen. Mag. G***** hatte naturgemäß ein Interesse daran, dass Tatiana S***** die massiven Anschuldigungen, die sie gegen ihn erhoben hat, zurücknimmt oder abschwächt. Das zeigen nicht nur der intensive Kontakt zwischen ihm und dem Disziplinarbeschuldigten, sondern auch seine Gegendarstellung des Sachverhalts, den er dem Disziplinarbeschuldigten in Form eines E‑Mails dargelegt hat. Auf der anderen Seite war der (inhaltliche) Widerruf der ursprünglichen Aussagen in der eidesstättigen Erklärung geeignet, die Glaubwürdigkeit der Tatiana S***** gegenüber den Sicherheitsbehörden erheblich zu schädigen; bedeutete der Widerruf ihrer bisherigen Anschuldigungen doch nichts anderes, als dass sie sowohl gegenüber den Strafverfolgungsbehörden als auch gegenüber dem Untersuchungsrichter bisher nicht die Wahrheit gesagt hatte. Angesichts dieses Interessenkonflikts hatte sich der Disziplinarbeschuldigte zurückzuziehen.

Da für die Strafbarkeit des Verstoßes gegen das Doppelvertretungsverbot bereits leichte Fahrlässigkeit ausreicht (Feil/Wennig, Anwaltsrecht7, § 10 RAO Rz 15, 150 mwN), ist es unerheblich, ob es dem Disziplinarbeschuldigten tatsächlich darauf ankam, mit der eidesstättigen Erklärung Mag. G***** einen Vorteil zu verschaffen oder ob dies letztlich nur ein Nebenprodukt seiner Tätigkeit war. Tatsache war, dass die eidesstättige Erklärung auch den Zweck hatte, Mag. G***** zu entlasten. Unzweifelhaft ist jedenfalls, dass der Disziplinarbeschuldigte diese eidesstättige Erklärung für die Verteidigung der Tatiana S***** unmittelbar nicht, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt benötigt hat.

Der Schuldspruch erfolgte daher zu Recht.

Bei der Strafbemessung wertete der Disziplinarsenat als mildernd, dass das Disziplinarverfahren ohne Verschulden des Disziplinarbeschuldigten fast sieben Jahre lang gedauert hat, sowie den Umstand, dass dem Disziplinarbeschuldigten das Vertretungsrecht in Strafsachen vor dem Bezirksgericht, Landesgericht und Oberlandesgericht Li***** für die Dauer von rund vier Jahren entzogen war; als erschwerend keinen Umstand.

Die gegen den Strafausspruch gerichtete Berufung ist teilweise im Recht.

Der Disziplinarsenat hat die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen richtig angeführt und auch entsprechend gewichtet. Er hat zwar bei der Strafzumessung ausdrücklich angeführt, dass das Disziplinarverfahren ohne Verschulden des Disziplinarbeschuldigten fast sieben Jahre lang gedauert hat, er hat diesen Umstand jedoch nicht ausdrücklich als Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK anerkannt und die Strafe auch nicht ausdrücklich und messbar deswegen reduziert (RIS‑Justiz RS0121600, RS0114926).

Im Hinblick auf die Anhängigkeit des Disziplinarverfahrens seit dem Jahr 2006 liegt aber eine Grundrechtsverletzung nach Art 6 Abs 1 MRK vor. Als Ausgleich war daher die ausgesprochene Strafe auf 500 Euro herabzusetzen. Ein gänzliches Absehen von der Verhängung einer Zusatzstrafe kam nicht in Frage, weil dem Disziplinarbeschuldigten unter Berücksichtigung des Verfahrens, auf das Bedacht genommen wurde, zwei gleichartige Disziplinarvergehen anzulasten sind, wobei dem Disziplinarbeschuldigten wegen des zum Zeitpunkt der vorliegenden Tat am 17. August 2006 bereits anhängigen Disziplinarverfahrens eine besondere Vorsicht zugemutet werden konnte.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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