OGH 15Os12/14z

OGH15Os12/14z23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter M***** wegen des Vergehens des Landzwangs nach §§ 15, 275 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Oktober 2013, GZ 11 Hv 43/13s‑35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Bauer, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Dr. Vinkovits zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Strafsache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter M***** vom wider ihn mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 25. Juni 2013 (ON 21) erhobenen Vorwurf, er habe am 5. August 2012 in Wien einen großen Personenkreis durch eine Drohung mit einem Angriff auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit in Furcht und Unruhe zu versetzen versucht, indem er in den frühen Morgenstunden in der Vermittlung des Flughafens Wien‑Schwechat zwei Mal kurz hintereinander anrief und gegenüber dem Flughafenmitarbeiter Christian D***** angab, es werde ein Flugzeug gesprengt werden, er sei von der Al‑Qaida und der Flughafen Wien werde gesprengt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.

Die Beschwerdeführerin macht der Sache nach zutreffend eine Unvollständigkeit der Begründung (Z 5 zweiter Fall) in Betreff der Feststellungen zur Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten geltend.

Nach den wesentlichen Urteilsannahmen liegen beim Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dissozialen Anteilen, die verdachtsweise hirnorganischer Genese ist, eine ‑ derzeit medikamentös stabilisierte ‑ schizophrene Psychose zuzüglich einer Minderbefähigung („Pfropfschizophrenie“) und ein schädlicher Gebrauch von Alkohol und Cannabis vor (US 3).

Am 5. August 2012, etwa 1:30 Uhr morgens (vor der Tatbegehung), hatte er eine nicht mehr genau feststellbare Menge Alkohol sowie Medikamente zu sich genommen, befand sind jedoch nicht in einem ‑ durch den Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels ‑ die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand (US 3 f). Er war jedoch zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen „Schwachsinns“ (gemeint: einer geistigen Behinderung; vgl § 11 StGB idF BGBl I 2009/40), wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (US 4).

Während die Tatrichter die Urteilsannahmen zur geistigen Erkrankung des Angeklagten auf Basis des aktuellen ‑ in der Hauptverhandlung am 22. Oktober 2013 (ON 34 S 31 ff) ergänzten ‑ psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. R***** vom 22. Februar 2013 (ON 12) trafen (US 5), erschöpft sich die Beweiswürdigung zur konstatierten Tatsachengrundlage für die Rechtsfrage der Zurechnungsunfähigkeit ‑ neben dem vom Angeklagten gewonnenen, aber nicht näher spezifizierten persönlichen Eindruck ‑ auf die „unterschiedliche Einschätzung“ der Schuldfähigkeit (US 6) einerseits durch die Sachverständige Dr. R***** im Jahr 2013 (bejahend trotz Einschränkung der Dispositionsfähigkeit) und andererseits durch ein bereits im Jahr 2003 erstattetes und in der aktuellen Expertise bloß wiedergegebenes psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Dr. B*****, in welchem ‑ hinsichtlich eines „Vorfalls“ vom 5. Juni 2003 (versuchter Raub) ‑ eine Aufhebung der Diskretionsfähigkeit konstatiert wurde (ON 12 S 7 ff), weshalb „im Zweifel“ Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt angenommen wurde (US 6).

Der Einwand der Mängelrüge, das Erstgericht hätte nicht dargelegt, dass das „mehr als zehn Jahre alte Gutachten […] nur zu einem von mehreren Tatzeitpunkten das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB“ ‑ noch dazu hinsichtlich eines gänzlich anderen Straftatbestandes ‑ attestierte, zeigt zutreffend auf, dass die Tatrichter den (bekämpften) Konstatierungen zur Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten (US 4) entgegenstehende Beweisergebnisse nicht erörtert haben (RIS‑Justiz RS0098646).

Denn der Schöffensenat hat sich nur mit der im Jahr 2003 von Dr. B***** attestierten Diskretionsunfähigkeit zum versuchten Raub am 5. Juni 2003, nicht aber mit der vom selben Sachverständigen zwar eingeschränkt, insgesamt aber doch als gegeben erachteten Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten bei den am 4. Mai 2003 und 10. Mai 2003 begangenen Delikten (ON 12 S 9) auseinandergesetzt. Damit bleibt unbegründet, weshalb ungeachtet der beim Angeklagten auch schon im Jahr 2003 zumindest zeitweise bestehenden und auch von der nunmehr beigezogenen Expertin (ausgehend vom „jetzigen Zustandsbild“; US 6, vgl ON 34 S 35) bejahten Diskretionsfähigkeit (ON 12 S 53 und 61) dennoch von deren Fehlen zum aktuellen Tatzeitpunkt auszugehen wäre.

Zum vom Erstgericht herangezogenen Zweifelsgrundsatz (US 6) ist festzuhalten, dass dieser erst nach eingehender Würdigung der vorliegenden Beweise in Anschlag zu bringen ist (Lendl, WK-StPO § 258 Rz 36). Will das Gericht von der Expertise eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ‑ ohne einen Mangel iSd § 127 Abs 3 StPO aufzeigen zu können ‑ abweichen, muss es seine Auffassung in nachvollziehbarer Weise und in konkreter Auseinandersetzung mit dem seiner Überzeugung entgegenstehenden Gutachten begründen (vgl Hinterhofer, WK‑StPO § 125 Rz 31 und 33, § 127 Rz 26).

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es aufgrund der ausreichenden Konstatierungen zur objektiven und zur subjektiven Tatseite (US 4) der Geltendmachung eines Feststellungsmangels (Z 9 lit a) durch die Anklagebehörde nicht bedurfte (vgl RIS‑Justiz RS0127315). Da sich die Drohung letztlich auf den gesamten Flughafen Wien‑Schwechat bezogen hat, ist auch das Tatbestandsmerkmal eines von der Bedrohung betroffenen großen Personenkreises (einer Menschenansammlung großen Ausmaßes) als festgestellt anzusehen (vgl RIS‑Justiz RS0095938; Plöchl in WK2 StGB § 275 Rz 5).

Das angefochtene Urteil war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung aufzutragen.

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