OGH 12Os19/14g

OGH12Os19/14g3.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müllner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erich W***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über den von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Geschworenengericht vom 26. Juni 2013, GZ 37 Hv 39/13m‑243, erhobenen Antrag gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Verteidigers Dr. Schillhammer sowie des Vertreters der Privatbeteiligten Dr. Aigner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 37 Hv 39/13m des Landesgerichts Wiener Neustadt insoweit verfügt, als Erich W***** mit Urteil vom 26. Juni 2013 des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt wurde.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Schuldspruch, demzufolge auch in den Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben.

Erich W***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage freigesprochen, er habe am 28. September 2001 „in L***** die Heidrun Wa***** dadurch vorsätzlich getötet, dass er die während einer gemeinsamen Wanderung in einem schwer zugänglichen Waldgebiet abseits der befestigten Wege bei der Durchquerung eines Grabens auf einem steilen Hang hinter ihm kletternde Genannte durch Ausschlagen mit einem Fuß im Bereich ihres Oberkörpers traf, dadurch zum Absturz brachte und es anschließend, nachdem er ihre Verwundungen wahrgenommen und ihr akut lebensbedrohliches Zustandsbild erkannt hatte, unterließ, die für ihre Rettung erforderliche Hilfe zu leisten bzw herbeizuholen, wodurch sie in der Folge an ihren schweren Verletzungen verstarb“.

Die Privatbeteiligten Mag. Martin M*****, Helmut M*****, Rosa M*****, Stefan Wa***** und Paul Wa***** werden gemäß § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Geschworenengericht vom 26. Juni 2013, GZ 37 Hv 39/13m‑243, wurde Erich W***** ‑ abweichend von der wider ihn in Richtung des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB erhobenen Anklage (ON 218) ‑ des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. September 2001 in L***** Heidrun Wa*****, deren Verletzung er, wenn auch nicht widerrechtlich verursacht hatte, indem er die während einer gemeinsamen Wanderung in einem schwer zugänglichen Waldgebiet abseits der befestigten Wege bei der Durchquerung eines Grabens auf einem steilen Hang hinter ihm kletternde Genannte durch Ausschlagen mit einem Fuß im Bereich ihres Oberkörpers traf, dadurch zum Absturz brachte und sie anschließend, nachdem er ihre Verwundungen wahrgenommen und ihr akut lebensbedrohliches Zustandsbild erkannt hatte, dadurch im Stich gelassen, dass er sich von der Unfallstelle entfernte und es somit unterließ, die erforderliche Hilfe zu leisten, was ihren Tod zur Folge hatte.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform an sie in Richtung § 75 StGB gerichtete Hauptfrage und die zu § 82 Abs 2 und Abs 3 StGB gestellte Eventualfrage verneint, hingegen die weitere Eventualfrage nach § 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil aus Z 6 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung zog der Angeklagte mit am 5. Dezember 2013 beim Obersten Gerichtshof eingelangten Schriftsatz zurück (12 Os 124/13x).

Der Angeklagte hatte in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend darauf hingewiesen, dass aufgrund des Tatsachenvorbringens des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung und auch der übrigen Ergebnisse des Beweisverfahrens zum Tatzeitpunkt 28. September 2001 gemäß § 313 StPO eine (eigentliche) Zusatzfrage nach dem Strafaufhebungsgrund der Verjährung hätte gestellt werden müssen.

Da Strafaufhebungsgründe im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht unmittelbar mit einem materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrund releviert werden können, kommt hinsichtlich einer vom Schuldspruch erfassten, verjährten Tat amtswegiges Vorgehen gemäß § 290 Abs 1 StPO aus Anlass einer Nichtigkeitsbeschwerde nicht in Betracht (vgl Marek in WK² StGB § 57 Rz 20).

Ein im Unterlassen einer indizierten Zusatzfrage gemäß § 313 StPO liegender Verfahrensfehler ist aber nach jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Gegenstand zulässiger Prüfung nach § 362 Abs 1 StPO (vgl RIS‑Justiz RS0099909 [T7]).

Bei der über Antrag der Generalprokuratur vorgenommenen Prüfung der Akten ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die aus dem Schuldspruch hervorgehende Annahme nicht verjährter Strafbarkeit.

Aus Anlass eines Berichts der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt über die Abgängigkeit der Heidrun Wa***** (ON 2) fasste die Ratskammer des Landesgerichts Wiener Neustadt auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in der Strafsache gegen uT (unbekannte Täter an Heidrun Wa*****) wegen § 75 StGB am 11. Oktober 2001 den Beschluss auf Rufdatenrückerfassung hinsichtlich mehrerer Telefonanschlüsse, darunter auch in Bezug auf das von Erich W***** benutzte Mobiltelefon, weil dieser zu jenen Personen zählt, die zuletzt mit der Abgängigen Kontakt hatten (ON 3).

Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 11. Juli 2002 wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme des Pkws des Erich W***** mit Wiener Neustädter Kennzeichen zur Durchführung einer Spurensicherung angeordnet. Nach der Begründung dieses Beschlusses konnte Erich W***** als jene Person ausgeforscht werden, welche unmittelbar vor dem Verschwinden der Heidrun Wa***** Kontakt mit der Genannten hatte. Eine Auskunftsperson habe Heidrun Wa***** in einen Pkw mit Wiener Neustädter Kennzeichen einsteigen gesehen, sodass Erich W***** verdächtig sei, mit dem Verschwinden der Heidrun Wa***** in Zusammenhang zu stehen (ON 43).

Die Beschlagnahme und die Spurensicherung wurden effektuiert (ON 44), doch konnten nach einer Untersuchung der Spuren durch das Institut für gerichtliche Medizin der Universität Wien keine Merkmale einer von Erich W***** verschiedenen Person nachgewiesen werden (ON 48 S 269).

Eine registermäßige Erfassung Erich W*****s als Beschuldigter erfolgte nicht; vielmehr wurde das Verfahren gegen uT auf Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 1 S 3h) mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 18. August 2002 gemäß § 412 StPO aF abgebrochen (ON 1 S 3i).

In der Folge wurde Erich W***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und Z 4, 129 Z 1, 130 StGB sowie mehrfach wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB verurteilt (Strafregisterauskunft ON 213).

Am 27. April 2012 trug die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse (ON 95) Erich W***** als Beschuldigten wegen §§ 99 Abs 1 und Abs 2, 105 Abs 1 StGB in das Register ein (AZ 2 St 74/12x; ON 1 S 3q verso) und ordnete eine molekularbiologische Untersuchung an (ON 97).

Schließlich erhob die Staatsanwaltschaft am 2. März 2013 gegen Erich W***** Anklage wegen des an Heidrun Wa***** begangenen Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (ON 218). Der Genannte wurde jedoch mit dem ‑ wie erwähnt ‑ in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Geschworenengericht vom 26. Juni 2013 lediglich des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt (ON 243).

Dieses Unterlassungsdelikt ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht. Die Strafbarkeit wegen der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Tat erlischt im Sinn des § 57 Abs 2 und Abs 3 StGB fünf Jahre nach dem Wegfall der Handlungspflicht (Marek in WK² StGB § 57 Rz 7).

Ob eine Tat verjährt ist, richtet sich grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht, nach früherem Recht hingegen dann, wenn Verjährung bereits unter dessen Geltung eingetreten war, der Täter also bereits nach früherem Recht straflos wurde. Jedoch wird eine nach früherem Recht rechtzeitig eingetretene Hemmung der Verjährung durch günstigere neue Bestimmungen ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschrift nicht rückwirkend unwirksam (Marek in WK² StGB § 57 Rz 23).

Aus diesem Grund würde Gerichtsanhängigkeit nach § 58 Abs 3 Z 2 StGB idF vor BGBl I 2007/93 vor dem 1. Jänner 2008 den Lauf der Verjährung bis 31. Dezember 2007 hemmen. Da ‑ wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt ‑ das die Strafaufhebung aktualisierende Fristende in Ansehung des Tatzeitpunktes und der fallaktuellen fünfjährigen Verjährungsfrist vor den 31. Dezember 2007 fällt, erübrigt sich ein Vergleich mit der späteren Rechtslage und ist ausschließlich von den zum Tatzeitpunkt geltenden Verjährungsbestimmungen auszugehen (vgl Marek in WK² StGB § 57 Rz 23).

Gerichtsanhängigkeit im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 StGB aF setzte strafgerichtliche Aktivitäten gegen einen bestimmten Täter voraus (vgl Fabrizy, StGB9 § 58 Rz 5; Marek in WK² StGB § 58 Rz 14 ff; RIS-Justiz RS0092053, RS0091954).

Nachdem aber das Verfahren bei sämtlichen Ermittlungsmaßnahmen ausdrücklich gegen „uT“ geführt wurde und ein Erich W***** betreffender Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft in keinem Zeitpunkt zum Ausdruck kam, wurde der Fortlauf der Verjährungsfrist nicht gehemmt. Im Falle einer Beschlussfassung gemäß § 412 StPO aF kann nur dann von Gerichtsanhängigkeit im Sinn des § 58 Abs 3 Z 2 StGB aF gesprochen werden, wenn das abgebrochenen Verfahren gegen einen betimmten Täter und nicht ‑ wie vorliegend ‑ lediglich gegen „uT“ geführt wurde (Marek in WK2 StGB § 58 Rz 16).

Auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruhende, mit Strafe bedrohte Handlungen, die den Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt hätten (§ 58 Abs 2 StGB), sind den Akten nicht zu entnehmen. Es liegen auch keinerlei Anhaltspunkte in diese Richtung vor, sodass Erhebungen dazu in einem weiteren Rechtsgang keine entsprechenden verjährungshemmenden Ergebnisse erwarten lassen (vgl Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 24).

Die Verjährungsfrist begann vorliegend mit dem dem Abschluss der Straftat folgenden Tag (vgl Marek in WK² StGB § 57 Rz 11), zufolge des fallaktuell mit 28. September 2001 anzunehmenden Todeseintritts demnach am 29. September 2001, und endete nach fünf Jahren am 28. September 2006. Die Strafbarkeit wegen des am 28. September 2001 begangenen Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB war somit zum Zeitpunkt des geschworenengerichtlichen Verdiktes vom 26. Juni 2013 bereits verjährt. Erich W***** war daher von der wider ihn erhobenen Anklage gemäß § 336 StPO iVm § 362 Abs 2 StPO freizusprechen.

Von den erheblichen Bedenken in Ansehung des Schuldspruchs ist der Wahrspruch selbst allerdings nicht betroffen, sodass dieser nach den Grundsätzen der Teilrechtskraft bestehen bleiben kann (vgl Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 14).

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