OGH 8ObA66/13h

OGH8ObA66/13h27.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner und Mag. Ernst Bassler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI M***** M*****, vertreten durch Hawel ‑ Eypeltauer & Partner Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von Rechtsanwälten in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 254.376,75 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 6. August 2013, GZ 11 Ra 44/13s‑9, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 26. Februar 2013, GZ 9 Cga 139/12d‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht traf auf Grundlage der von den Parteien vorgelegten Urkunden und der im Verfahren verwendeten Vorakten folgende (teilweise kursorische) Feststellungen:

Der Kläger war von 1. 7. 2001 bis 31. 12. 2011 als Angestellter bei der Beklagten beschäftigt. Er war zuletzt für die Beklagte in China tätig und gegenüber den chinesischen Behörden als „Chief Representative“ angemeldet. Die Eintragung der Abmeldung des Klägers aus dieser Funktion erfolgte am 28. 8. 2012.

Ab 1. 1. 2012 war der Kläger bei der M***** GmbH (in weiterer Folge: M*****) beschäftigt und ebenfalls in China tätig. Der Kläger wandte sich wiederholt an die Beklagte und ersuchte um Löschung der Eintragung als „Chief Representative“. Die M***** berief am 26. 6. 2012 den bisherigen Leiter ihres Repräsentanzbüros in P***** per 26. 4. 2012 ab und ernannte den Kläger zum „Chief Representative“.

Am 25. 7. 2012 „gab die Beklagte bekannt“, dass der Kläger als „Chief Representative“ abberufen und ein neuer Mitarbeiter in diese Funktion für das Repräsentanzbüro der Beklagten in P***** berufen werde. Die M***** „teilte am 27. 7. 2012 mit“, dass die Vollmacht des Klägers mit sofortiger Wirkung gekündigt werde und der frühere Leiter ihres Repräsentanzbüros wieder in diese Funktion eingesetzt werde. Der Kläger war seither nicht mehr berechtigt, im Namen der M***** zu agieren.

Am 27. 9. 2012 brachte der Kläger eine erste Klage gegen die M***** beim Erstgericht als Arbeits‑ und Sozialgericht ein. Darin begehrte er die Feststellung, nicht verpflichtet zu sein, für die M***** außerhalb von China tätig zu sein. Er brachte ua vor, dass er ausschließlich für die Tätigkeit des Leiters des Büros der M***** in P***** angestellt worden sei und dennoch die Weisung erhalten habe, für diese Gesellschaft in Österreich zu arbeiten.

Die M***** kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 13. 11. 2012 zum 31. 12. 2012 auf. Mit einer zweiten, am 20. 11. 2012 beim Erstgericht als Arbeits‑ und Sozialgericht eingebrachten Klage focht der Kläger diese Kündigung an. Die Kündigung sei erfolgt, weil der Kläger die erste Klage gegen diese Gesellschaft erhoben habe, sodass eine verwerfliche Motivkündigung vorliege. Der Beklagten wurde in diesem Verfahren nicht der Streit verkündet. Der Kläger und die M***** beendeten dieses Verfahren mit einem Vergleich, nach dem das Arbeitsverhältnis des Klägers zur M***** einvernehmlich zum 31. 12. 2012 endete und sich die M***** zur Zahlung von 3.660 EUR netto an Barauslagen und 48.340 EUR brutto als „Vergleichssumme für die Zurückziehung der Kündigungsanfechtung“ verpflichtete. Durch den Vergleich sollten sämtliche wechselseitigen Ansprüche zwischen dem Kläger und der M***** verglichen sein.

Der Kläger begehrt nach Einschränkung die Feststellung, dass die Beklagte für den Verdienstentgang hafte, welcher ihm ab 1. 1. 2013 „durch kein oder ein niedrigeres Erwerbseinkommen“ als monatlich 5.969,41 EUR brutto, 14 x jährlich, entstehe. Gegenüber den chinesischen Behörden sei ein sogenannter „Chief Representative“ zu bestellen gewesen, weil die Beklagte keine eigene Gesellschaft in China gehabt habe. Der Kläger sei in dieser Funktion für die Beklagte in China tätig gewesen. Die M*****, für die der Kläger in weiterer Folge ab 1. 1. 2012 tätig gewesen sei, habe ihn aus China zurückbeordert, weil er für diese Gesellschaft in China nicht als „Chief Representative“ bei den Behörden angemeldet habe werden können. Grund dafür sei gewesen, dass die Beklagte es verabsäumt habe, ihn ihrerseits gegenüber den chinesischen Behörden aus dieser Funktion abzumelden. Aus diesem Grund habe die M***** den Kläger nach Österreich zurückbeordert und sein Dienstverhältnis zum 31. 12. 2012 gekündigt. Trotz intensiver Suche habe der Kläger keinen neuen Arbeitsplatz gefunden. Deshalb hafte die Beklagte aus dem Titel des Schadenersatzes für jenen Verdienstentgang, den der Kläger nach dem Ende seines Arbeitsverhältnisses zur M*****, daher ab 1. 1. 2013, in Höhe der Differenz eines Erwerbseinkommens zu seinem Entgelt bei der M***** erleiden werde.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass allfällige Verzögerungen bei der Abmeldung des Klägers ‑ gleich ob schuldhaft oder nicht ‑ nicht kausal für den vom Kläger behaupteten Schaden seien. Es sei in China möglich, für mehrere Gesellschaften zur selben Zeit als „Chief Representative“ eingetragen zu sein, sodass die Eintragung des Klägers in dieser Funktion für die Beklagte einer weiteren Eintragung für M***** nicht entgegengestanden wäre. Darüber hinaus sei die Kündigung des Klägers durch M***** nicht wegen dieser Eintragung, sondern aus anderen Gründen erfolgt. Auch sonst seien die Voraussetzungen des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nicht gegeben, insbesondere fehle es an einem Rechtswidrigkeitszusammenhang. Der Kläger habe seine Schadensminderungspflicht verletzt, weil er keine andere Arbeit angenommen habe.

Im Zug des Verfahrens brachte die Beklagte ergänzend vor, dass der Kläger das gegen die M***** eingeleitete Kündigungsanfechtungsverfahren mit Vergleich beendet habe, in dem unter anderem eine einvernehmliche Beendigung des Dienstverhältnisses vereinbart worden sei. Durch diesen Vergleich sei der Schadenersatzklage jede Rechtsgrundlage entzogen.

Dem hielt der Kläger ua entgegen, dass die Kündigungsanfechtung keinen Erfolg gehabt hätte, weil der Kläger von der M***** wegen der Unterlassung der Abmeldung als „Chief Representative“ durch die Beklagte nicht mehr in China beschäftigt habe werden können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Verlust einer Erwerbschance sei positiver Schaden, wenn der Geschädigte schon eine rechtlich gesicherte Position habe. Der Kläger habe allerdings sein Arbeitsverhältnis zur M***** einvernehmlich zum 31. 12. 2012 beendet, sodass er ab 1. 1. 2013 keinen Vertrag mit dieser Gesellschaft und daher keine gesicherte Position mehr habe, weshalb ihm kein Schaden entstanden sei. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis nicht einvernehmlich aufgelöst, sondern gekündigt worden wäre, sei die von der M***** gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht überwiegend auf die nicht erfolgte Abmeldung des Klägers als „Chief Representative“ durch die Beklagte zurückzuführen gewesen, sodass auch daher ein Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte scheitern müsse.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Mit der vergleichsweisen Einigung über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur M***** habe der Kläger eine derart gewichtige Disposition über sein Arbeitsverhältnis und seine weitere berufliche Zukunft getroffen, dass die von der Beklagten durch die verspätete Abmeldung des Klägers als „Chief Representative“ allenfalls geschaffene Gefahrenlage sehr weit, wenn nicht überhaupt zur Gänze entrückt sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob die verspätete Abmeldung des Klägers als „Chief Representative“ der Beklagten der Grund für die spätere Kündigung gewesen sei. Auch bei Bejahung eines adäquaten Kausalzusammenhangs sei daher der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung macht die Beklagte die Unzulässigkeit bzw die fehlende Berechtigung der Revision geltend.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts der Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Der Schädiger hat nur für adäquat herbeigeführte Schäden einzustehen, was dann der Fall ist, wenn die Schadensursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (RIS‑Justiz RS0022906; RS0022546 ua). Trotz Bejahung der Adäquanz erscheint in solchen Fällen die Zurechnung der Schadensfolge nicht mehr gerechtfertigt, in denen diese auf einem selbständigen, durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderten Entschluss des Verletzten selbst beruht, der sie deshalb auch allein zu verantworten hat (RIS‑Justiz RS0022912; RS0022607). In diesem Sinn wurde von der Rechtsprechung etwa die Zurechnung von Verdienstentgangsansprüchen des bei einem Verkehrsunfall Geschädigten verneint, der eine sichere Anstellung ohne Aussicht auf eine gleichwertige Erwerbsmöglichkeit aufgegeben (2 Ob 205/08y), oder der sich zur Beteiligung als atypischer stiller Gesellschafter unter Hinnahme von Anlaufverlusten und nachteiligen steuerlichen Folgen entschlossen (2 Ob 114/11w) hat.

2. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Der Kläger stützt seinen Schadenersatzanspruch darauf, dass die Beklagte durch ihr Verhalten die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zur M***** verschuldet habe. Der Entschluss des Klägers, die Kündigung anzufechten, lag daher gerade auch im Interesse der Beklagten (vgl 2 Ob 74/12i), weil diese Vorgangsweise des Klägers ‑ wie die Beklagte auch selbst vorgebracht hat (ON 2) ‑ geeignet war, den Schaden zu verringern (Schadensminderung). Der weitere Entschluss des Klägers, dieses Verfahren durch Vergleich zu beenden und die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur M***** zu vereinbaren, ist eine geradezu typische Folge eines solchen Verfahrens, das seinerseits ‑ nach dem Vorbringen des Klägers ‑ durch das Verhalten der Beklagten erst herbeigeführt wurde. Der Vergleich änderte im konkreten Fall auch nichts an der ‑ vom Kläger der Beklagten vorgeworfenen ‑ Verursachung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur M***** zum 31. 12. 2012. Ein durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderter Entschluss des Klägers im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung liegt vor diesem Hintergrund im konkreten Fall nicht vor. Auf Fragen der Schadensminderung ist vorweg nicht einzugehen.

3. Damit erweist sich das Verfahren aber als ergänzungsbedürftig, weil die Voraussetzungen des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nach den bisher getroffenen Feststellungen des Erstgerichts, das ‑ abgesehen von Urkunden und Vorakten bisher noch keine Beweise aufgenommen hat ‑ nicht beurteilt werden können.

Insbesondere fehlt es bereits an Feststellungen zur Frage, ob die Unterlassung der Abmeldung des Klägers als „Chief Representative“ in China durch die Beklagte überhaupt ursächlich für die von der M***** ausgesprochene Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers und damit für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch war. Dies hat das Erstgericht lediglich im Rahmen der rechtlichen Begründung unter Berufung auf einen vom Kläger im Kündigungsanfechtungsverfahren gegen die M***** eingenommenen Prozessstandpunkt verneint, ohne allerdings entsprechende Feststellungen getroffen zu haben. Das Berufungsgericht hat sich mit den vom Kläger in seiner Berufung diesbezüglich geltend gemachten sekundären Feststellungsmängeln ausgehend von seinem vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsstandpunkt nicht auseinandergesetzt und diese Frage offen gelassen. Im fortzusetzenden Verfahren werden dazu Feststellungen zu treffen sein, wobei auch der von der Beklagten eingenommene Standpunkt zu beachten sein wird, dass eine (weitere) Anmeldung des Klägers als „Chief Representative“ für ein anderes in China tätiges Unternehmen neben der noch bestehenden Anmeldung für die Beklagte ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Sollte sich ergeben, dass die Auflösung des neuen Dienstverhältnisses des Klägers durch ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten adäquat verursacht wurde, wird die Frage der Schadenshöhe und der Schadensminderung zu erörtern sein.

Der Revision war daher im Sinn des Aufhebungsantrags Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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