OGH 11Os17/14f

OGH11Os17/14f24.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Februar 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sattlberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann G***** und eine andere wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Johann G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 14. Jänner 2014, AZ 17 Bs 1/14t (ON 89 in den Akten 17 HR 64/13x des Landesgerichts Krems an der Donau), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Aus deren Anlass wird festgestellt, dass Johann G***** in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht der Beschwerde des Johann G*****, dem die Staatsanwaltschaft mit (mittlerweile) am 5. Februar 2014 eingebrachter Anklageschrift das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 3, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und das Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB zur Last legt (ON 92 der HR‑Akten), gegen die Fortsetzung der am 21. November 2013 verhängten und am 19. Dezember 2013 fortgesetzten Untersuchungshaft (ON 86 der HR‑Akten) nicht Folge und perpetuierte die freiheitsentziehende Provisorialmaßnahme aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, lit b StPO.

Zum dringenden Tatverdacht des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB sowie in Richtung des in Ermittlung gezogenen Sachsubstrats im Sinne des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB führte das Oberlandesgericht wörtlich aus:

„Johann G***** ist aufgrund der Aktenlage dringend verdächtig, im Jahr 2012 in Niederösterreich mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zumindest Johann H***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, das von ihm übergebene Bargeld gewinnbringend anlegen zu können, zu einer Handlung, nämlich zur Übergabe von insgesamt 100.000 Euro verleitet zu haben, wodurch die Erben nach Johann H***** in diesem Betrag an ihrem Vermögen geschädigt wurden. Dabei soll er zumindest Johann H***** dazu verleitet haben, ihm Bargeldbeträge als Investitionen in verschiedene von ihm angepriesene Geschäfte zu übergeben, wobei jeweils ein Gewinn von 10 % versprochen wurde, er tatsächlich das erhaltene Bargeld jedoch nicht in die zuvor vereinbarten Geschäfte investiert habe. So soll ihm am 9. Jänner 2012 im Gasthaus F***** in S***** zunächst vom mittlerweile verstorbenen Johann H***** aufgrund eines schriftlichen Vertrags vom selben Tag ein Darlehen in der Höhe von 100.000 Euro zur Investition in den Bereichen „Windenergie, Holz, Kohlen, Brennstoffe und Import“ übergeben worden sein, das vereinbarungsgemäß bis 15. Jänner 2013 mit 11 % Zinsen zurückgezahlt werden sollte und für das Johann G***** die Haftung mit seinem 'ganzen Vermögen und Liegenschaften und Firmenanteilen' übernommen habe (S 21 in ON 5). Am selben Tag habe er dem Anton R*****, einem weiteren 'Investoren', die von diesem zuvor 'veranlagten' 50.000 Euro samt 5.000 Euro 'Gewinn' ausgezahlt, und zwar aus dem ihm zuvor von Johann H***** in bar übergebenen 100.000 Euro. Diesem sei mangels Rückzahlung, dies mangels hinreichender Barmittel, und durch vertragswidrige Verwendung ein Schaden in der genannten Höhe entstanden. Eine weitere 'Investorin', Andrea S*****, habe ihm ebenfalls Geld übergeben, dieses aber angeblich zurückbekommen (S 27 in ON 5). Zu seinen Investoren komme G***** unter anderem durch Schalten eines Inserats im Agraranzeigenteil der Bauernzeitung 'Ihr Geld kann gewinnbringend risikolos mitarbeiten (vor Absturz), *****' (S 1 bis 5 in ON 5).

Des Weiteren ist Johann G***** dringend verdächtig, die Nachbarn Gerhard Ri***** und Franz P***** durch die wahrheitswidrige Vorgabe, ein pensionierter Richter und aufgrund einer Arbeitsüberlastung der Gerichte von diesen dazu beauftragt zu sein, den herrschenden Grenzstreit einer bindenden Regelung zuzuführen, wozu es jedoch nicht kam, dazu verleitet zu haben, ihn für diese Tätigkeit zu bezahlen, wodurch diese an ihrem Vermögen geschädigt worden seien.

Weiters ist er dringend verdächtig, Gerhard Ri***** ‑ erneut unter der Vorspiegelung, pensionierter Richter zu sein ‑ erpresst zu haben, indem er diesem ein anonymes Schreiben vorlegte, in welchem Gerhard Ri***** der zweifachen Vergewaltigung bezichtigt wird. Der Beschuldigte habe in der Folge die Bezahlung von 2.000 Euro verlangt, damit er dieses Schreiben verschwinden lasse. Nach der Bezahlung habe er Ri***** telefonisch informiert, dass seine Daten aus der Gerichtsdatenbank gelöscht worden seien und er beruhigt sein könne.

Weiters ist er dringend verdächtig, bei Personen, die seine Hilfe suchten, ohne qualifiziert zu sein, Diagnosen zu stellen und in Folge nutzlose Heilbehandlungen anzubieten und dafür Geld zu verlangen, wobei er zu seinen Klienten über seine Homepage www.*****de als Geistheiler gelangte und die Diagnosen via Telefon oder aufgrund einer optischen Überprüfung erstellte.“

Die Grundrechtsbeschwerde richtet sich allerdings lediglich gegen die Annahme der Tatbegehungsgefahr und die Verweigerung der Enthaftung gegen gelindere Mittel.

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nur dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen (§ 174 Abs 3 Z 4 StPO, worunter das Gesetz die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen tragenden Gründe versteht) abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS‑Justiz RS0118185, RS0117806).

Eine solche Willkür vermag die Beschwerde angesichts der Abstützung des Haftgrundes nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO auf die konkreten Umstände der bis Mitte 2013 (vgl zu den Tatzeiten ON 92) mehrfach fortgesetzten Täuschungshandlungen verschiedener Art nicht aufzuzeigen.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Oberlandesgericht Wien keineswegs die zu besorgende Begehung bloß „irgendeiner Tat“ als haftbegründend herangezogen, sondern die Gefahr neuerlicher Vermögensdelinquenz gesetzeskonform konkretisiert. Im Übrigen muss der Verdacht in Ansehung der fallbezogen herangezogenen Tatbegehungsgefahr kein dringender sein (Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 43).

Der Haftgrund nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO wurde nicht gesondert in Beschwerde gezogen; ob dessen Voraussetzungen wirklich vorliegen, kann dahinstehen (RIS‑Justiz RS0061196).

Das Vorbringen, „alle Kontakte, die zu den inkriminierten Handlungen geführt haben, wurden über Inserate hergestellt“, zeigt zur Forderung nach Enthaftung gegen das Gelöbnis, „keinerlei Inserate zu schalten“ und (erstmals in der Grundrechtsbeschwerde ‑ vgl Kier in WK² GRBG § 1 Rz 12 f, 41) „sich der Kontaktaufnahme mit fremden Personen zu enthalten“, nicht auf, worin dem Beschwerdegericht, das die Inserate zutreffend als bloße Vorfeldaktivitäten ohne eigenen deliktischen Charakter ansah, ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (jüngst 11 Os 9/14d uva).

Die Fortsetzung der Untersuchungshaft als Hausarrest (§ 173a StPO) begehrt der Rechtsmittelwerber erstmals in seiner Grundrechtsbeschwerde und hat somit diesbezüglich den Instanzenzug nicht ausgeschöpft (vgl überdies RIS‑Justiz RS0126401).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ ohne Kostenzuspruch abzuweisen.

Aus Anlass der Grundrechtsbeschwerde war jedoch ‑ wiederum im Gleichklang mit dem Croquis ‑ zu Gunsten des Angeklagten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 9 lit a, Z 10 StPO der Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts mangels strikt tatbestandsorientierter Strukturierung Defizite zu subjektiven Elementen des haftbegründenden dringenden Tatverdachts aufweist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue ‑ reformatorische ‑ Entscheidung darzustellen (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0116421, RS0120817). Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher ‑ in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet anzusehenden strafbaren Handlungen rechtlich entscheidend beurteilte ‑ Sachverhalt sowohl auf der objektiven als auch der subjektiven Tatseite angenommen wurde (Feststellungsebene) und dass überdies klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; RIS‑Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor (14 Os 9/12y, EvBl 2012/62, 418 mwN).

Der gegenständliche Beschluss lässt Verdachtsannahmen zum Täuschungs- und (auch die qualifikationsbegründende Schadenshöhe umfassenden) Schädigungsvorsatz in Ansehung des Betrugsvorwurfs zum Nachteil des Johann H***** gerade noch erkennen. Zu den Fakten „Grenzstreitregelung“ und „Beseitigung einer Vergewaltigungsanzeige“ jedoch fehlen solche zum Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung ebenso wie bei den Betrügereien solche zum Qualifikationstatbestand des § 148 erster Fall StGB.

Es kann nicht unerwähnt bleiben, dass beim Anlagebetrug unklar bleibt, ob es neben Johann H***** weitere Opfer gab und dass ‑ wiewohl nicht allein hafttragend ( Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 173 Rz 38 f, 41; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 73) ‑ die Ausführungen des Oberlandesgerichts in Richtung des Vergehens der Kurpfuscherei nach § 184 StGB (BS 4) nicht nur syntaktisch unvollständig sind, sondern gar keinen Bezug zum gesetzlichen Tatbestand herstellen.

Die aufgezeigten und für die Haftfrage bedeutsamen Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern damit eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung (§ 7 Abs 2 GRBG), mit Blick auf die Verfahrensergebnisse, die in die Richtung des vom Beschwerdegericht beschriebenen dringenden Tatverdachts weisen, nicht jedoch die Aufhebung des Haftfortsetzungsbeschlusses (vgl neuerlich 14 Os 9/12y mwN).

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