OGH 10ObS182/13g

OGH10ObS182/13g17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Alexandra Dosch, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 9. Oktober 2013, GZ 12 Rs 79/13v‑86, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Kläger macht in seiner außerordentlichen Revision im Wesentlichen geltend, die Beurteilung des Berufungsgerichts stehe nicht im Einklang mit den in der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Kriterien zur „zumutbaren Änderung“ nach § 255 Abs 4 ASVG und der Entscheidung 10 ObS 111/09k des Obersten Gerichtshofs zur Tätigkeit eines Maschinenbedieners. Darin sei ausgesprochen worden, dass ein solcher in der Textilindustrie nicht auf Stanzer von Kleinteilen in der Metallindustrie verwiesen werden könne, weil Tätigkeitsablauf, räumliche Situation und körperliche Belastungen große Unterschiede aufwiesen. Der vorliegende Fall sei mit jenem, der dieser Entscheidung zugrunde liege, „durchwegs vergleichbar“, was für die zu 10 ObS 183/08x getroffene Entscheidung, auf die sich das Berufungsgericht stütze, nicht zutreffe.

2. Dem ist zu erwidern, dass die Frage, ob eine Verweisungstätigkeit eine „zumutbare Änderung“ der im Sinne des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG maßgebenden „einen“ Tätigkeit darstellt, nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann, und als Frage des Einzelfalls regelmäßig keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage bildet (RIS‑Justiz RS0100022 [T25, T34]; jüngst: 10 ObS 16/13w mwN).

3. Nach den ‑ im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren ‑ Feststellungen der Tatsacheninstanzen kann der am 6. 3. 1954 geborene Kläger, der keinen Berufsschutz, aber zum Stichtag 1. 4. 2011 unstrittig Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG genießt, (zwar) seine bisherige Tätigkeit als Maschinenbediener einer Kunststoffspritzgießmaschine nicht mehr verrichten; er ist als Maschinenbediener in der industriellen Fertigung also nicht mehr einsetzbar. Er kann aber noch für leichte Maschinenbedienertätigkeiten, die mitunter auch als Tischbauarbeiten verrichtet werden, eingesetzt werden; und zwar zB bei der Bedienung von kleinen Pressen, Prägen, Stanzen, Lochapparaturen, wie sie beispielsweise in der Kleinteilfertigung, Schmuckindustrie, Spielwarenindustrie sowie Kunststoffindustrie vorkommen. Diese setzen eine betriebsinterne Anlernzeit von zumindest zwei Wochen voraus und es handelt sich dabei um einfache manuelle Tätigkeiten, die aus dem Bedienen von Hebeln und Tasten bestehen. Solche (Teil-)Tätigkeiten (der bisher vom Kläger ausgeübten Tätigkeit) wurden in der bekämpften Berufungsentscheidung als zumutbare Verweisungstätigkeiten qualifiziert.

4. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts folgt der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen (10 ObS 16/13w; vgl insb die Entscheidung 10 ObS 183/08x, SSV-NF 23/7, die unter anderem festhält, dass die Beurteilung, die Tätigkeiten eines Stanzers oder Bohristen für Kleinteile in der Metallindustrie stellten eine „zumutbare Änderung“ der vom dortigen Kläger bisher ausgeübten Tätigkeit eines Maschinenbedieners der Seng- und Entschlichtungsmaschine in einem Textilveredelungsunternehmen dar, im Rahmen der Leitlinien der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt - RIS-Justiz RS0100022 [T27]).

4.1. Eine Verweisung im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG ist dann zumutbar, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist. Kriterien sind dabei neben dem technischen Umfeld unter anderem auch die Kontakte mit Mitarbeitern und Kunden sowie die räumliche Situation, etwa ob die Arbeiten im Freien oder am Fließband auszuüben sind; dabei kann der Branche keine allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen; sie kann aber bei der Konkretisierung des Umfelds eine Rolle spielen (RIS‑Justiz RS0100022).

4.2. Ein anderer Tätigkeitsbereich wäre jedenfalls dann unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde, wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (wie etwa Bauhilfsarbeiter in der Textilbranche - RIS-Justiz RS0100022 [T10, T36]). So wurde etwa die Verweisung eines Muldenkippenfahrers in einem Steinbruch auf die Tätigkeit eines Zustellers als nicht zumutbar erachtet; hingegen wurde die Verweisung eines LKW-Fahrers auf die Tätigkeit eines Klein-LKW-Fahrers oder Zustellers ebenso wie die Verweisung eines (gelernten) Bäckers in einem Kleinbetrieb auf die Tätigkeit eines (gelernten) Bäckers in einem gewerblichen Mittelbetrieb als zumutbar angesehen (RIS-Justiz RS0100022 [T12, T11]; 10 ObS 16/13w).

5. Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten: Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend aufzeigt, kann der Kläger weiterhin (wenn auch nur noch leichte) Maschinenbedienertätigkeiten in der Kunststoffindustrie verrichten, also ‑ wie bisher ‑ in der Stückgutproduktion der Kunststoffindustrie (im identen „Berufsmilieu“) tätig sein.

5.1. In der Entscheidung 10 ObS 111/09k (SSV‑NF 23/61), auf die sich der Kläger weiterhin beruft, wurde die Verweisung eines in Farbküche und Druckpastenansatzstation eines Textilindustrieunternehmens tätig gewesenen Arbeiters auf eine Beschäftigung als Stanzer von Kleinteilen als im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG nicht zumutbare Änderung der Tätigkeit beurteilt. Der vorliegende Fall ist damit nicht zu vergleichen: Dass die zu Punkt 5. genannte Teiltätigkeit nach der Gewichtung im Arbeitsablauf oder nach ihrem zeitlichen Umfang eine untergeordnete Bedeutung in der bisher ausgeübten „einen“ Tätigkeit zugekommen wäre (vgl RIS-Justiz RS0100022 [T13]), wird hier nämlich ‑ zu Recht ‑ gar nicht behauptet (so auch 10 ObS 16/13w).

5.2. Soweit sich der Kläger aber darauf stützt, dass zu seinen Aufgaben als Maschinenbediener einer Kunststoffspritzgießmaschine auch noch weitere, im Einzelnen festgestellte Tätigkeiten (wie Verpacken und Auszählen der Spritzgießteile, Qualitätskontrolle [etwa 30 Minuten pro Arbeitstag], Materialversorgung, Betreuung von Beistellmühlen, Bereitstellung der notwendigen Verpackungseinheiten sowie Grundreinigung, Einstellungs-, Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Maschinen und Anlagen) gehörten, die über die „bloße Bedienung“ der Maschine hinausgegangen seien, wird Folgendes übersehen:

5.3. § 255 Abs 4 ASVG gewährt nach ständiger Rechtsprechung einen Tätigkeitsschutz, nicht aber einen Arbeitsplatzschutz (10 ObS 63/08z; 10 ObS 56/03p, SSV‑NF 17/56; RIS-Justiz RS0087658 [T3, T4]), und stellt damit ‑ wie auch die Vorgängerbestimmung (§ 253d ASVG) ‑ nicht auf die konkret vom Versicherten am jeweiligen Arbeitsplatz ausgeübten (Teil-)Tätigkeiten ab, sondern auf die „abstrakte Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RIS-Justiz RS0100022 [T17, T23]; RS0087658 [T2, T5]; RS0087659 [T7, T9]). Mit welchen zusätzlichen Aufgaben, der Kläger (neben) seiner Tätigkeit als Maschinenbediener in der Kunststoffindustrie konkret befasst war, ist daher nicht entscheidend.

5.4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Verweisung der Klägers auf die zu Punkt 5. genannte Tätigkeit sei zumutbar im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG, stellt demnach keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Da die außerordentliche Revision insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie zurückzuweisen, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.

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