OGH 8Ob111/13a

OGH8Ob111/13a29.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. K***** H***** Steuerberatung GmbH, *****, vertreten durch Knirsch, Gschaider & Cerha Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei J***** R*****, unter Beteiligung der Insolvenzverwalterin Dr. Eva‑Maria Bachmann‑Lang, Rechtsanwältin in Wien, wegen 1.248 EUR sA, über den (richtig) Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. August 2013, GZ 35 R 182/13v‑10, mit dem aus Anlass des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 23. Mai 2013, GZ 17 C 222/13m‑4, das bisherige Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Klägerin unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeitsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekurses bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Über das Vermögen des Beklagten ist seit 22. 12. 2011 beim Handelsgericht Wien das Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung anhängig.

Mit ihrer am 28. 2. 2013 gegen den Beklagten eingebrachten Mahnklage begehrte die Klägerin „Werklohn/Honorar“ in Höhe von 1.248 EUR, gegründet wurde die Forderung auf einen „Beleg vom 26. 9. 2012“. Weiteres Vorbringen enthielt die Mahnklage nicht.

Das Erstgericht erließ einen bedingten Zahlungsbefehl, der dem Beklagten an seiner Wohnadresse durch Hinterlegung zugestellt wurde. Nach ungenütztem Ablauf der Einspruchsfrist bestätigte das Erstgericht am 18. 4. 2013 die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls.

Mit Schriftsatz vom 17. 5. 2013 beantragte die Insolvenzverwalterin unter Hinweis auf das anhängige Insolvenzverfahren die Zustellung des Zahlungsbefehls an ihre Person und die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Einspruchsfrist. Weder ihr selbst noch dem Schuldner sei der Zahlungsbefehl zugekommen. Gleichzeitig erhob sie Einspruch gegen den Zahlungsbefehl.

Das Erstgericht hob daraufhin mit Beschluss vom 23. 5. 2013 die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls von Amts wegen mit der Begründung auf, der in Unkenntnis des Insolvenzverfahrens erlassene Zahlungsbefehl sei nichtig. Gleichzeitig wies es den Wiedereinsetzungsantrag mangels Säumnis zurück und behielt sich eine Entscheidung über den Einspruch ausdrücklich vor.

In ihrem dagegen erhobenen Rekurs brachte die Klägerin (erstmals) vor, die Klage betreffe eine nach der Insolvenzeröffnung begründete Honorarforderung für die im Jahr 2012 geleistete Vertretung des Beklagten in einem Finanzstrafverfahren; es handle sich daher weder um eine Insolvenz‑ noch um eine Masseforderung.

Das Rekursgericht erklärte aus Anlass des Rechtsmittels der Klägerin das gesamte bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Die Mahnklage enthalte keinen Hinweis darauf, dass die Klagsforderung nicht das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen des Beklagten betreffe. Das erstmals im Rekurs dazu erstattete Vorbringen verstoße gegen das Neuerungsverbot.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs der Klägerin ist zulässig, weil der Beschluss eines als Rekursgericht angerufenen Gerichts zweiter Instanz, mit dem das Verfahren aus Anlass des Rechtsmittels unter Zurückweisung der Klage für nichtig erklärt wurde, mit Rekurs anfechtbar ist, ohne dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 528 Abs 2 ZPO vorliegen müssen (RIS‑Justiz RS0043774). Der Rekurs ist auch berechtigt.

Ob eine Rechtsstreitigkeit unter die Prozesssperre nach § 6 Abs 1 IO fällt, entscheidet der vom Kläger geltend gemachte Anspruch (RIS‑Justiz RS0064050). Genügt das Klagsvorbringen für sich allein nicht, um diese Frage zu beantworten, hat das Erstgericht nicht sofort mit einer Zurückweisung der Klage vorzugehen, sondern von Amts wegen abzuklären, ob eine aus der Masse zu befriedigende Forderung geltend gemacht wird oder nicht (RIS‑Justiz RS0064050 [T3]; 4 Ob 276/98m).

Die vorliegende Mahnklage wies mit der Angabe eines rund ein Jahr nach Insolvenzeröffnung datierten Forderungsbelegs und der Bezeichnung des Beklagten deutlich auf einen nicht insolvenzverfangenen Anspruch (§ 6 Abs 3 IO) hin. Selbst wenn die Klagsangaben für eine sichere rechtliche Beurteilung des Anspruchs nicht ausreichten, boten sie ebensowenig eine Grundlage für die gegenteilige Annahme, nämlich dass die Klägerin lediglich die Insolvenzeröffnung übersehen hatte. Im Zweifel wäre ihr vor der Entscheidung über die Anträge der Insolvenzverwalterin Gelegenheit zur Präzisierung des Vorbringens einzuräumen gewesen.

Jenes ergänzende Vorbringen, das ihr in erster Instanz durch das Unterbleiben eines Verbesserungs-verfahrens verwehrt war, durfte die Klägerin aber im Rekursverfahren ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot nachtragen (RIS‑Justiz RS0041812 [T10]). Neuerungen, die ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ der Widerlegung des Nichtigkeitsgrundes des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO dienen, sind beachtlich, weil neue Tatsachen ins Treffen geführt werden, die auch von Amts wegen jederzeit wahrzunehmende Umstände betreffen. Die gegenteilige Auffassung des Rekursgerichts steht in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl 4 Ob 276/98m: 1 Ob 530/93).

Ein Schuldner kann sich auch durch während des Insolvenzverfahrens abgeschlossene Rechtsgeschäfte gegenüber seinem Vertragspartner gültig verpflichten; daraus entspringende Forderungen können aber nur gegen den Schuldner selbst geltend gemacht werden (Mohr, IO11 § 3 E 123). In diesem „Gemeinschuldnerprozess“ ist der Insolvenzverwalter nicht vertretungsbefugt (1 Ob 159/01s; Mohr, aaO, § 6 E 112).

Die Klägerin hat in ihrem Rechtsmittel klargestellt, dass ihre Forderung auf einer erst nach Insolvenzeröffnung eingegangenen Verpflichtung des Beklagten beruht und nicht die Insolvenzmasse betrifft. Da das Rekursgericht dieses Vorbringen aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht unberücksichtigt gelassen hat, war sein Beschluss aufzuheben und ihm die meritorische Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeitsgrund aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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