OGH 6Ob165/13b

OGH6Ob165/13b28.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Beschwerdeführer 1. E***** W*****, und 2. Dr. M***** B*****, die Erstbeschwerdeführerin vertreten durch den Zweitbeschwerdeführer, gegen den Beschwerdegegner Bund (Republik Österreich), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Verletzung des Grundrechts auf Geheimhaltung personenbezogener Daten (§ 85 GOG), über den Rekurs des Beschwerdegegners gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 23. Juli 2013, GZ 12 Nc 15/12s‑19, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Bund ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit 1.230,94 EUR (darin 205,15 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist eine von mehreren hundert Klägerinnen und Klägern, die von der AvW‑Gruppe AG begebene Genussscheine erworben hatten und nunmehr vor dem Landesgericht Wiener Neustadt Ansprüche gegen die Pflichtprüferin, eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs-GmbH, wegen nicht ordnungsgemäßer Prüfung geltend machen, weil diese zu Unrecht uneingeschränkte Prüfungsvermerke erteilt habe.

Neben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt vertritt der Zweitbeschwerdeführer auch viele weitere Geschädigte vor diesem Gerichtshof; auch andere Anwaltskanzleien vertreten viele Geschädigte in gleichgelagerten Verfahren vor diesem Gericht.

Ende Jänner 2012 wurde von Organen des Landesgerichts Wiener Neustadt zur Verwaltung von Verfahrens- und Sachverhaltsdaten, die über 1000 bei diesem Gericht seit Ende 2011 in mehreren Gerichtsabteilungen anhängige Klagen von 2.200 ehemaligen AvW‑Genussscheininhabern betreffen, ein virtueller Server eingerichtet, der mit einem kryptografisch geschützten System (public key authentification, 1024 Bit Schlüssellänge), einem verschlüsselten Zugang und einer passwortgesicherten Weboberfläche versehen wurde. Dieses System lief zusätzlich unter einer dynamisch zugeteilten, nicht veröffentlichten IP‑Adresse ohne Domainzuweisung, sodass diese Datensammlung „MSE Akten-Verwaltung“ (vorerst) auch nicht von Suchmaschinen gefunden werden konnte.

Im August 2011 war aber von Unbekannten in Denver (USA) für ein Jahr die Domain ***** registriert worden. Diese Domain verwies auf die nicht veröffentlichte IP-Adresse des Landesgerichts Wiener Neustadt, auch noch nachdem der Server zur Domain ***** außer Betrieb genommen worden war. Warum diese Domain auf die IP‑Adresse des Landesgerichts Wiener Neustadt verwiesen hatte, ist nicht bekannt. Der Zugriff auf die Datensammlung des Landesgerichts Wiener Neustadt war trotz dieses fehlerhaften Verweises vorerst nicht möglich, weil die Informationen durch die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen geschützt waren.

Ende Feber 2012 wurde am Server jedoch durch das Landesgericht Wiener Neustadt der Passwortschutz zeitweise zu Debuggingzwecken ausgeschaltet, um verschiedene Tests durchzuführen. Jedenfalls innerhalb dieses Zeitraums von 24. bis 27. 2. 2012 erfolgte über den Verweis der Domain ***** auf die IP-Adresse des Landesgerichts Wiener Neustadt ein erfolgreicher Zugriff auf die am Server abgelegten Informationen. Dadurch wurden die über die Domain ***** abgerufenen Informationen von der Suchmaschine Google erfasst und im Google-Cache gespeichert. Bei Eingabe der entsprechenden Parameter bzw Suchworte ab diesem Zeitpunkt waren daher ‑ bis zur Löschung aus dem Google-Cache etwa Ende März 2012 ‑ Informationen aus der Datensammlung über Google abrufbar. Konkret waren über die Suchmaschine Google überwiegend die Namen von Klägern und der Streitwert ihrer Klagen abrufbar. In ca 20 % der Fälle war auch die Adresse der Kläger sichtbar, bei einem kleineren Teil alternativ das Geburtsdatum.

Den Organen des Landesgerichts Wiener Neustadt war bei Errichtung des Servers nicht bekannt, dass die Domain ***** auf die IP-Adresse des Landesgerichts Wiener Neustadt verwies und aufgrund der genannten Umstände diese Informationen über Google abrufbar waren. Nach dem Bekanntwerden der Verbreitung von Informationen aus der Datensammlung über Google am Vormittag des 13. 3. 2012 haben die Organe des Landesgerichts Wiener Neustadt den Server, auf dem diese Daten gespeichert waren, abgeschaltet; gleichzeitig wurden Anträge auf Löschung der Suchergebnisse aus dem Google-Cache übermittelt. Google entsprach diesen Anträgen und löschte die Daten ca 14 Tage später aus seinem Cache.

Der Name der Erstbeschwerdeführerin als Klägerin im Verfahren ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt war zumindest am 6. 3. 2012 unter http://***** (mit „MSE Akten-Verwaltung Registerabgleich“ überschrieben) ersichtlich; dort waren auf insgesamt fünf Seiten mehr als hundert Namen von Klägern aus den zu konkret genannten Geschäftszahlen beim Landesgericht Wiener Neustadt anhängigen „Sammelklagen“ genannt.

Eine Google-Suchabfrage nach dem Namen der Erstantragstellerin und „*****“ ergab zumindest am 14. 3. 2012 ein Suchergebnis, nämlich einen Verweis auf http://*****. Aus der Vorschau waren ihr Name und der Streitwert ihres Verfahrens von 6.189,91 EUR ersichtlich.

Zumindest am 6. 3. 2012 war ein mit 6. 3. 2012 datierter, nicht mit dem Namen eines Entscheidungsorgans versehener Beschlussentwurf zu ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt unter http://***** abrufbar, wonach diverse Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden. In Punkt 3. des Beschlusstenors ist der Zweitbeschwerdeführer namentlich unter Bezugnahme auf von ihm vertretene Kläger mit jeweiligen Streitwerten und bezughabenden Geschäftszahlen genannt. In der Begründung des Beschlussentwurfs wird ausgeführt, dass auf den Zweitbeschwerdeführer ‑ als einen von insgesamt acht Rechtsanwälten bzw Rechtsanwaltsgesellschaften ‑ ein Anteil von 37,50 %, 2.220.066,84 EUR, vom Gesamtstreitwert von 5.920.550,67 EUR entfalle. Ein mit Beilage ./F inhaltlich gleichlautender Beschluss vom 5. 3. 2012 zu *****, unterfertigt vom Richter des Landesgerichts Wiener Neustadt Mag. Rainer Lipowec, wurde dem Zweitbeschwerdeführer am 7. 3. 2012 im ERV bereitgestellt.

Eine Google-Suchabfrage nach dem Namen des Zweitbeschwerdeführers und „*****“ ergab zumindest am 14.3.2012 42 Suchergebnisse, nämlich überwiegend Verweise auf *****. Aus der Vorschau waren überwiegend jeweils der Name des Zweitbeschwerdeführers, die von ihm jeweils vertretene Partei, die Geschäftszahlen der verschiedenen Verfahren und der jeweilige Streitwert ersichtlich, teilweise auch Gesamtstreitwerte und auf den Zweitbeschwerdeführer entfallende Streitwertanteile.

Die Beschwerdeführer begehren gemäß § 85 GOG, das Oberlandesgericht Wien wolle „aussprechen, dass durch die öffentliche Einsichtbarkeit via Internet in die Beilagen ./B, ,./F, ./H und ./i durch das Landesgericht Wiener Neustadt Rechtsverletzungen (Datenschutzrechtwidrigkeiten) stattgefunden haben“. Sie brachten vor, bei der Webseite http://***** handle es sich offenkundig um eine Datenbank, in der personenbezogene Daten in einer strukturierten Sammlung von nach mindestens einem Suchkriterium zugänglichen Daten enthalten seien; das Recht auf Datenschutz betreffe genau solche Daten. Nach dem Inhalt der Unterseite Beilage ./D würden offenkundig über 2500 Kläger, die beim Landesgericht Wiener Neustadt Klagen gegen die Pflichtprüferin eingebracht hätten, datenmäßig so erfasst, dass eine Zuordnung nach Suchkriterien wie zB der Frage der Verjährung möglich sei. Die namentliche Anführung der Erstbeschwerdeführerin in Beilage ./B mit dem Hinweis auf den Akt ***** im für jedermann zugänglichen Internet ohne jegliche Verschlüsselung sei als (rechtswidrige) Verwendung von personenbezogenen Daten durch Weitergabe dieser Daten in das öffentliche Internet anzusehen; dies sei ein Eingriff in das Grundrecht auf Geheimhaltung. Gleiches gelte für die namentliche Anführung der Erstbeschwerdeführerin in Beilage ./i. Die namentliche Anführung des Zweitbeschwerdeführers in Beilage ./F ab Seite 4 Mitte samt Anführung der von ihm vertretenen Kläger in den einzelnen Verfahren samt Anführung der Streitwerte dieser Klagen über die gesamte weitere Seite 5 bis zur Seite 6 oben und weiters auf Seite 8 Mitte mit Anführung eines Gesamtstreitwertes von 2.220.066,84 EUR stelle ebenfalls eine widerrechtliche Verwendung von personenbezogenen Daten durch Weitergabe in das öffentliche Internet dar; auch dies sei als Eingriff in das Grundrecht auf Geheimhaltung anzusehen. Gleiches gelte für Beilage ./H. Es habe sich nicht um allgemein verfügbare Daten gehandelt, zumal die Beteiligung der Öffentlichkeit an Gerichtsverfahren nicht mit der Akteneinsicht gleichzusetzen wäre, die nur für die Parteien des Verfahrens uneingeschränkt sei.

Der belangte Bund wendete ein, den handelnden Organen des Landesgerichts Wiener Neustadt sei keine Verletzung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen vorzuwerfen. Die Sammlung und Verwendung der Daten sei rechtmäßig und zulässig im Sinne der §§ 6 f DSG erfolgt. Eine Übermittlung oder Überlassung der Daten durch Organe des Landesgerichts Wiener Neustadt gemäß §§ 12 f DSG habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden, auch anderweitig sei unberechtigten Dritten der Datenzugang durch Handlungen der Organe des Landesgerichts Wiener Neustadt nicht eröffnet worden; der Zugriff sei nur durch eine Verkettung von Zufällen möglich geworden. Die handelnden Organe seien den ihnen obliegenden Sicherheitsmaßnahmen in Zusammenhang mit der Datensammlung umfassend nachgekommen. Der Beschwerdegegner habe keine Handlungen gesetzt oder geduldet, die zu einer Veröffentlichung bzw Verbreitung der Daten im Internet führen hätte können. Den Organen des Landesgerichts Wiener Neustadt könne nicht vorgeworfen werden, die gemäß § 14 DSG erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen nicht getroffen bzw nicht eingehalten zu haben. Da die Übernahme von Mandaten durch einen Rechtsanwalt sowie die Höhe des Streitwerts eines Verfahrens „aufgrund der gebotenen Öffentlichkeit in Gerichtsverfahren grundsätzlich jedermann zugänglich“ seien, seien diese Informationen als allgemein verfügbar und daher nicht schutzwürdig anzusehen. Auch die die Erstbeschwerdeführerin betreffenden Informationen fielen nicht in den Schutzbereich des DSG.

Das Oberlandesgericht Wien sprach im angefochtenen Beschluss aus, die Beschwerdeführer seien in ihrem jeweiligen Grundrecht auf Geheimhaltung der sie betreffenden personenbezogenen Daten dadurch verletzt worden, dass diese auf einem von Organen des Landesgerichts Wiener Neustadt eingerichteten virtuellen Server gespeicherten Daten zu bei diesem Gericht anhängigen Verfahren und deren Inhalten dem Zugriff der Internet-Suchmaschine Google ausgesetzt, in deren Cache gespeichert und von dort aus dem öffentlichen Internet abrufbar gewesen seien, und zwar von spätestens 27. 2. 2012

- bis mindestens 6. 3. 2012:

- die Erstbeschwerdeführerin durch Veröffentlichung ihres Namens als Klägerin im Verfahren ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt unter http://*****;

- der Zweitbeschwerdeführer durch Veröffentlichung eines mit 6. 3. 2012 datierten, nicht mit dem Namen eines Entscheidungsorgans versehenen Beschlussentwurfs zu ***** des Landesgerichts Wiener Neustadt unter http://*****, in dessen Punkt 3. des Beschlusstenors der Zweitbeschwerdeführer namentlich unter Bezugnahme auf von ihm vertretene Kläger mit jeweiligen Streitwerten und bezughabenden Geschäftszahlen genannt und in dessen Begründung ausgeführt wird, dass auf den Zweitbeschwerdeführer ‑ als einen von insgesamt acht Rechtsanwälten bzw Rechtsanwaltsgesellschaften ‑ ein Anteil von 2.220.066,84 EUR (37,50 %) von einem Gesamtstreitwert von 5.920.550,67 EUR entfalle;

- bis mindestens 14. 3. 2012:

- die Erstbeschwerdeführerin durch Veröffentlichung ihres Namens als Klägerin und des Streitwerts ihres Verfahrens von 6.189,91 EUR als Inhalt des sich aus einer Google-Suchabfrage nach dem Namen der Erstbeschwerdeführerin und der Domain ***** ergebenden Suchergebnisses (*****);

- der Zweitbeschwerdeführer durch Veröffentlichung seines Namens, der Geschäftszahlen von Verfahren und der von ihm darin jeweils vertretenen Parteien und der jeweiligen Streitwerte, teilweise auch der Gesamtstreitwerte und Anteile des Zweitbeschwerdeführers, als Inhalte von sich aus einer Google-Suchabfrage nach dem Namen des Zweitbeschwerdeführers und der Domain ***** ergebenden insgesamt 42 Suchergebnissen (*****).

In rechtlicher Hinsicht führte das Oberlandesgericht Wien aus, die von Organen des Landesgerichts Wiener Neustadt angelegte „MSE Akten‑Verwaltung“ sei eine iSd § 5 DSG öffentliche „Datenanwendung“ iSd § 4 Z 7 DSG. Die Rechtsprechungsorgane des Landesgerichts Wiener Neustadt seien grundsätzlich berechtigt gewesen, eine solche Datenanwendung einzurichten und zu betreiben: Erfassung, sinnvolle Gliederung sowie anschauliche und übersichtliche Darstellung der tatsächlichen und rechtlichen Fallkonstellationen bildeten eine wesentliche Voraussetzung für eine sachgerechte Behandlung von gleichartigen oder ähnlichen Ansprüchen, die massenweise und anscheinend ohne erkennbare sachbezogene Ordnung mittels „Sammelklage“ eingeklagt worden seien. Auch ohne ausdrückliche und präzise gesetzliche Ermächtigung (§ 8 Abs 1 Z 1 DSG) könne sich nach der ständigen Entscheidungspraxis der Datenschutzkommission (DSK) die Zulässigkeit der Verwendung von Daten dann auf die § 7 Abs 1 und § 8 Abs 3 Z 1 DSG als Rechtsgrundlage stützen, wenn und soweit sie als gelindestes Mittel (§ 7 Abs 3 DSG) und im Licht der gebotenen Interessenabwägung eine wesentliche Voraussetzung für die einer Behörde gesetzlich übertragene Aufgabe sei.

Diese Entscheidungspraxis der DSK sei auch im vorliegenden Fall anzuwenden. Auch eine Interessenabwägung zwischen verarbeiteten, aus den Gerichtsakten abgeleiteten (hier: nicht im Sinne des § 4 Z 2 DSG sensiblen) Daten und dem durch die Anwendung an sich verursachten Eingriff (§ 8 Abs 1 Z 4 DSG) falle zugunsten der Zulässigkeit der Datenanwendung aus; es sei auch kein gelinderes Mittel (§ 7 Abs 3 DSG) ersichtlich, um die mit der Vielzahl an Klägern und Ansprüchen angefallene Datenmenge so zu gliedern, dass die gesetzlich gebotene zügige und sachgerechte Durchführung von Gleiches gleich behandelnden Verfahren ermöglicht werde.

Nach Art 90 Abs 1 B-VG müssten nur Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht in Zivil- und Strafverfahren öffentlich und mündlich sein. Art 6 EMRK garantiere lediglich die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung und Urteilsverkündung, nicht jedoch jedes Verfahrensschritts oder gar Akteninhalts. Akteneinsicht stehe gemäß § 219 Abs 1 ZPO grundsätzlich nur den Parteien zu; Dritte seien gemäß § 219 Abs 2 ZPO hiezu nur berechtigt, wenn sie entweder ein rechtliches Interesse glaubhaft machten oder wenn die Parteien zustimmten und dem kein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne des § 26 Abs 2 DSG entgegenstehe. Die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung bedeute somit nicht, dass jeder unbeteiligte Dritte oder die Öffentlichkeit Zugang zu allen Verfahrensdaten und -inhalten hätte. Daten über Kläger, ihre Klagebegehren und die bezughabenden Geschäftszahlen der Gerichtsverfahren oder die Namen und Streitwerte der von einem Anwalt vertretenen Mandanten sowie die von diesem verfolgten Gesamtstreitwerte seien daher nicht schon an sich allgemein verfügbar und zugänglich. Die hier relevanten Daten fielen daher in den Schutzbereich des DSG. Dass aus Gerichtsakten und gerichtlichen Geschäftsregistern bezogene Daten, die in einer weiteren Datenanwendung verarbeitet worden seien, im Internet abrufbar und für jedermann öffentlich zugänglich gewesen seien, stelle somit eine Übermittlung von Daten gemäß § 4 Z 12 DSG dar. Eine rechtmäßige Verwendung der Daten im Sinn des § 6 Abs 1 Z 2 und 3 DSG liege nicht vor. Organe des Landesgerichts Wiener Neustadt hätten Handlungen gesetzt, um die Veröffentlichung herbeizuführen, weil einerseits die Art der Einrichtung der Datenanwendung sowie des Speicherns der Daten und andererseits das Abschalten des Passwortschutzes des Servers Ende Feber 2012 (zumindest mit-)kausal für den Zugriff einer Suchmaschine auf den Datenbestand und das Öffentlichwerden der Daten gewesen sei. An der abstrakten Rechtswidrigkeit einer Datenübermittlung ändere auch nichts, dass dem belangten Organ sein Verhalten nicht vorwerfbar sei. Verschulden sei nicht Voraussetzung für eine Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz.

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs des Bundes gemäß § 85 Abs 5 Satz 2 GOG ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Rekurswerber meint, die Beschwerdeführer seien nicht in einem schutzwürdigen Interesse iSd § 1 Abs 1 DSG verletzt worden. Bei den hier durch Google-Abfrage zugänglichen Daten handle es sich um die „Eckdaten“ des Verfahrens, die auch auf andere Weise jedermann zugänglich gewesen und daher als allgemein verfügbar iSd § 1 Abs 1 Satz 2 DSG zu qualifizieren seien: Eckdaten des Gerichtsverfahrens seien zur Herstellung der verfassungsrechtlich gebotenen Öffentlichkeit im Gerichtsverfahren bekanntzugeben, so etwa durch die jedermann offenstehende Einsicht in die bei vielen Gerichten aufliegenden Verhandlungsspiegel. Übliche Gerichtspraxis sei die Bekanntgabe von Eckdaten über Gerichtsverhandlungen an Journalisten. Die Verhandlungen in den betroffenen Gerichtsverfahren seien öffentlich geführt worden oder würden öffentlich geführt. Selbst bei Ausschluss der Öffentlichkeit werde der Großteil der betroffenen Daten durch den Aufruf der Sache zu Beginn der Verhandlung und die jedenfalls öffentliche Verkündung des Urteils bekannt. Die Entscheidungen des EuGH und selbst des EGMR würden unter voller Namensnennung der Parteien veröffentlicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1. Der erkennende Senat hält zunächst die Begründung des angefochtenen Beschlusses für zutreffend und verweist darauf. Darüber hinaus wird Folgendes ausgeführt:

2. Die zentrale hier maßgebliche Norm ist § 1 Abs 1 DSG 2000, der folgendermaßen lautet:

Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

3. Schutzwürdiges Interesse iSd § 1 Abs 1 Satz 2 DSG 2000.

3.1. Rechtsprechung

Das Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 Abs 1 DSG 2000 normiert, dass jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, dies aber nur dann, wenn ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Vorliegen eines „schutzwürdigen Interesses“ wird damit zum zentralen Anknüpfungspunkt, ob ein Grundrechtsanspruch überhaupt besteht (9 ObA 50/03y; 10 Ob 46/08z).

Jeder Weitergabe von Daten muss eine Interessenabwägung zwischen einem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen und dem berechtigten Interesse eines Dritten vorangehen. Als berechtigte Interessen eines Dritten sind dabei ua auch subjektive, auf gesetzlicher Grundlage beruhende Ansprüche anerkannt. Im Zweifel spricht die Vermutung für die Schutzwürdigkeit (RIS-Justiz RS0107203 [T2, T3]).

3.2. Lehre

Duschanek in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht (2002), § 1 DSG, Rz 40-42, meint unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien sinngemäß, die Schutzwürdigkeit liege immer schon dann vor, wenn nicht eine der in § 1 Abs 1 Satz 2 DSG 2000 explizit genannten Ausnahmen einschlägig sei. Das Vorliegen schutzwürdiger Interessen an der Geheimhaltung bedürfe somit keiner aufwendigen Ermittlungen.

Lehner/Lachmayer, Datenschutz im Verfassungsrecht, in Bauer/Reimer, Handbuch Datenschutzrecht (2009), 98 f, vertreten die Meinung, ob ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse vorliege, sei anhand der gesamten Rechtsordnung zu ermitteln, wobei es nicht notwendig sei, dass das Geheimhaltungsinteresse ausdrücklich durch eine positiv-rechtliche Bestimmung unter Schutz gestellt worden sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass jede natürliche Person grundsätzlich selbst bestimmen dürfe, welche Informationen sie als Teil ihrer Privatsphäre betrachte, sodass es für die Schutzwürdigkeit dieser Informationen ausreiche, wenn die betroffene Person die Information für schutzwürdig erachte und dementsprechend mit dieser Information umgehe (vgl Wiederin, Privatsphäre und Überwachungsstaat [2003], 60 f).

Jahnel, Handbuch Datenschutzrecht (2010), Rz 2/26 mwN, führt aus, es seien nirgends überzeugende Beispielfälle für ein Nichtvorliegen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses aus anderen Gründen als der allgemeinen Verfügbarkeit zu finden. Er kommt in systematischer und richtlinienkonformer Auslegung im Licht der Absicht des Gesetzgebers der DSG-Novelle 2010 zum Ergebnis, dass alle personenbezogenen Daten als schutzwürdig zu betrachten seien, es sei denn, dass sie allgemein verfügbar gewesen seien. Die Eingriffstatbestände in das Grundrecht auf Datenschutz seien in § 1 Abs 2 iVm §§ 6 ff DSG 2000 geregelt. Für eine „doppelte Abwägung“ nach schutzwürdigen Interessen bestehe kein Spielraum.

3.3. Im Licht der zitierten Rechtsprechung und Lehre ist hier das schutzwürdige Interesse der Beschwerdeführer an der Geheimhaltung der Daten zu bejahen. Eine Verletzung von im DSG 2000 geregelten Rechten (vgl §§ 83, 85 Abs 1 GOG) läge daher nur dann nicht vor, wenn die Daten allgemein verfügbar iSd § 1 Abs 1 Satz 2 DSG 2000 wären. Der zweite in dieser Bestimmung normierte Fall der mangelnden Rückführbarkeit liegt nämlich unstrittig nicht vor. Es ist daher zu prüfen, ob die Daten allgemein verfügbar waren.

4. Allgemeine Verfügbarkeit der Daten

4.1. Rechtsprechung

Einschlägige (zivilrechtliche) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist nicht vorhanden.

Nach der Entscheidung 11 Os 109/01 (= RIS‑Justiz RS0116746) wird das schutzwürdige Interesse an dem Grundrecht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten (§ 1 Abs 1 DSG 2000) auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Betroffene selbst geschützte Daten einem (begrenzten) Personenkreis offenbart. Ein solcher Ausschluss wäre schon im Hinblick auf das allgemein geltende Gebot einer restriktiven Interpretation einer Einschränkung von Grundrechten und der hinsichtlich des Grundrechts auf Datenschutz auch noch zusätzlich getroffenen diesbezüglichen gesetzlichen Regelung (§ 1 Abs 2 DSG 2000) nur im Falle einer generellen Zugriffsmöglichkeit (§ 1 Abs 1 DSG 2000 spricht insoweit von allgemeiner

Verfügbarkeit) der betreffenden Daten gegeben.

4.2. Lehre

Nach Lehner/Lachmayer aaO 99 sind Daten nur dann allgemein verfügbar, wenn sie aktuell für jede und jeden verfügbar sind, und nicht etwa schon, wenn sie zu einem früheren Zeitpunkt verfügbar waren, der Zugang zu den Daten aber inzwischen nicht mehr besteht (etwa wenn die Daten aus einem öffentlichen Register gelöscht wurden) oder der Zugang nur für eine gewisse Gruppe von Personen gegeben ist.

Nach Dohr/Pollirer/Weiss/Knyrim, DSG2, § 1, Anm 8, sind Daten allgemein verfügbar, die entweder von der Rechtsordnung her öffentlich zugänglich sind, wie die Informationen des Grundbuchs, des Firmenbuchs, nach gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zu veröffentlichende Geschäftsberichte etc, oder die auf sonstige Weise zB durch Herausgabe eines Telefonbuchs, eines Einwohnerverzeichnisses oder durch Medienberichte öffentlich wurden.

Ausführlich beschäftigt sich Jahnel aaO Rz 2/18 ff mwN mit der Frage der allgemeinen Verfügbarkeit von Daten. Zusammenfassend (Rz 2/21 f) kommt er zum Ergebnis, dass von einer „allgemeinen Verfügbarkeit“ nur gesprochen werden kann, wenn zumindest eine (massen‑)mediale oder Online-Öffentlichkeit der Daten vorliegt. Die Veröffentlichung der Daten müsse in einer Form erfolgt sein, die jedermann eine Kenntnisnahme ermögliche, und diese Kenntnisnahmemöglichkeit müsse jedenfalls im Zeitpunkt der Datenverwendung noch bestehen.

4.3. Der erkennende Senat schließt sich diesen Meinungen an. Danach ist schon nach dem Vorbringen des Bundes nicht davon auszugehen, dass es sich zum Zeitpunkt, als die Daten vom Landesgericht Wiener Neustadt versehentlich an Google übermittelt und im Internet abrufbar gemacht wurden, bereits um allgemein verfügbare Daten gehandelt hat. Allein durch den bis dahin möglicherweise erfolgten Aufruf der Sache und allenfalls das Aufliegen eines „Verhandlungsspiegels“ wurden die Daten keineswegs einer Allgemeinheit in dem von der Literatur geforderten Umfang verfügbar. Zudem war die vom Bund behauptete Verfügbarkeit im Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Datenverwendung nicht mehr gegeben.

Ergänzend sei zu den Argumenten des Bundes im Rekurs noch angemerkt, dass die ZPO die Verpflichtung, künftige öffentliche Verhandlungen (etwa in Form eines „Verhandlungsspiegels“) öffentlich anzukündigen, nicht kennt (Schragel in Fasching/Konecny, ZPO2, § 171 Rz 7). Gemäß § 415 letzter Satz ZPO wird ein bei Schluss der mündlichen Verhandlung der schriftlichen Ausfertigung vorbehaltenes Urteil nicht verkündet, was erfahrungsgemäß der Regelfall ist (vgl Schragel aaO Rz 8).

Die betreffenden Daten waren somit nicht allgemein verfügbar.

5.1. Somit ist der Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführer auf Geheimhaltung der sie betreffenden personenbezogenen Daten zu bejahen.

5.2. Auch eine Interessenabwägung im Sinn der unter 2.1. zitierten Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0107203) führt hier zu keiner Rechtfertigung der Preisgabe der Daten: Schon nach dem eigenen Vorbringen des Bundes erfolgte die Übermittlung der Daten an Google und damit deren Veröffentlichung im Internet versehentlich durch eine Verkettung von Zufällen. Demnach erfolgte der Grundrechtseingriff gerade nicht zur Wahrung irgendeines berechtigten Interesses.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 85 Abs 5 letzter Satz GOG.

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