OGH 4Ob188/13w

OGH4Ob188/13w19.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** M*****, vertreten durch Dr. Hans Peter Bauer, Rechtsanwalt in Salzburg, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christoph Braun, Rechtsanwalt in Salzburg, 2. B***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Heinz Häupl, Rechtsanwalts GmbH in Nussdorf, 3. W*****gesellschaft ***** mbH, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger, Rechtsanwälte in Salzburg, Nebenintervenientin auf Seiten der erstbeklagten Partei T***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, Nebenintervenientin auf Seiten der zweitbeklagten Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, Nebenintervenientin auf Seiten der drittbeklagten Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Hochwimmer und Horcicka Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 60.016,80 EUR sA und Feststellung (Streitwert 8.000 EUR), infolge Revisionen der erstbeklagten Partei und der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Mai 2013, GZ 4 R 72/13f-94, womit infolge Berufung der erstbeklagten Partei, der auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenientin und der zweitbeklagten Partei und der drittbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 12. Februar 2013, GZ 5 Cg 112/10k-81, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Aus Anlass der Revisionen wird das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben, soweit damit in erster Instanz unbekämpft gebliebene Aussprüche abgeändert worden sind; die unbekämpft gebliebenen Teile des Urteils des Erstgerichts werden insoweit wieder hergestellt.

II. Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden in der Hauptsache dahin abgeändert und neu gefasst, dass die Entscheidung - unter Einschluss des in zweiter Instanz unbekämpft gebliebenen Teils - nunmehr insgesamt zu lauten hat:

„1. Die Forderung der Klägerin gegenüber allen drei Beklagten zur ungeteilten Hand besteht mit 18.000 EUR sA zu Recht.

2. Die Gegenforderung der Drittbeklagten besteht mit 7.500 EUR zu Recht.

3. Die Beklagten sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin 10.500 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. November 2010 binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Erst- und Zweitbeklagte sind darüber hinaus zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin 7.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. November 2010 binnen 14 Tagen zu zahlen.

5. Die Zweitbeklagte ist darüber hinaus schuldig, der Klägerin 1.800 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. November 2010 binnen 14 Tagen zu zahlen.

6. Die weiteren Zahlungsmehrbegehren gegenüber der Erstbeklagten von 42.516,80 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. November 2010, gegenüber der Zweitbeklagten von 40.716,80 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. November 2010 und gegenüber der Drittbeklagten von 49.516,80 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. November 2010 werden abgewiesen.

7. Das Feststellungsbegehren des Inhalts, die Beklagten haften der Klägerin zur ungeteilten Hand für sämtliche Kosten und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Sanierung der geltend gemachten Mängel sowie für allfällige im Zuge der Sanierung zutage tretende derzeit noch unbekannte Mängel, wird abgewiesen.“

III. Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird insofern die neuerliche Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

IV. Die klagende Partei ist schuldig, der Erstbeklagten die mit 2.151,72 EUR (darin 142,62 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) und der Zweitbeklagten die mit 2.040,43 EUR (darin 124,07 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

V. Die Revisionsbeantwortungen der klagenden Partei werden als verspätet zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin gab die Planung und Errichtung eines Schwimmbads mit Infinity-Effekt in Auftrag; der Erstbeklagten oblag die Planung und Bauleitung der Schwimmbadtechnik, der Zweitbeklagten die Ausführung der Schwimmbadtechnik, der Drittbeklagten die Planung und Bauleitung der Erdarbeiten, Maurer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten für das Schwimmbad und der Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin die Ausführung der Betonarbeiten.

Mit der Behauptung, das Schwimmbad weise Mängel auf, begehrte die Klägerin zuletzt 60.016,80 EUR sA als Kosten der Mängelsanierung von den Beklagten zur ungeteilten Hand sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für sämtliche zukünftige Kosten und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Sanierung der geltend gemachten Mängel und allfällige noch unbekannte Mängel.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren; die Drittbeklagte wendete eine Gegenforderung aus unbezahlter Honorarforderung in Höhe von 8.661 EUR aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und verpflichtete die Beklagten wie folgt:

1. Die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 18.000 EUR sA,

2. Erst- und Zweitbeklagte zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 7.000 EUR sA,

3. die Zweitbeklagte zur Zahlung von 1.800 EUR sA. Im Übrigen wies das Erstgericht das Zahlungsmehrbegehren sowie das Feststellungsbegehren ab. Die Gegenforderung habe nicht festgestellt werden können. Dieses Urteil blieb in seinem abweisenden Teil unbekämpft.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Erst- und Zweitbeklagten sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der Erstbeklagten nicht Folge; der Berufung der Drittbeklagten gab es insoweit Folge, als es die von dieser eingewendete Gegenforderung von 7.500 EUR als berechtigt erkannte.

Das Berufungsgericht änderte den Spruch der angefochtenen Entscheidung - unter Berücksichtigung des in Rechtskraft erwachsenen Teils - dahin ab, dass es

1. die Klagsforderung gegenüber der Drittbeklagten mit 18.000 EUR und

2. die Gegenforderung der Drittbeklagten mit 7.500 EUR zu Recht bestehend feststellte; darüber hinaus verpflichtete es die Beklagten wie folgt:

3. die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 10.500 EUR sA,

4. Erst- und Zweitbeklagte zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 14.500 EUR sA,

5. die Zweitbeklagte zur Zahlung von 1.800 EUR sA.

Das Zahlungsmehrbegehren sowie das Feststellungsbegehren wies das Berufungsgericht ab; es sprach - auf Antrag der Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es die Wirkung der Aufrechung durch einen Gesamtschuldner abweichend von höchstgerichtlicher Rechtsprechung beurteilt habe.

Die Revisionen von Erst- und Zweitbeklagter sind aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund, der in den Rechtsmitteln auch aufgezeigt wird, zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kann zwar ein Gesamtschuldner mit einer Gegenforderung des Mitschuldners nicht aufrechnen (RIS-Justiz RS0017386). Die von einem der Gesamtschuldner bei passiver Korrealität mit einer eigenen Gegenforderung wirksam erklärte Aufrechnung wirkt aber auch zugunsten des Mitschuldners schuldtilgend, sodass der Gläubiger von diesem gemäß § 891 letzter Halbsatz ABGB nur mehr das Rückständige fordern kann (RIS-Justiz RS0017386 [T2]; RS0033924 [T2]; 1 Ob 293/01x; Dullinger in Rummel, ABGB³ § 1441 Rz 11 mwN; Leupold, ABGB Taschenkommentar², § 1441 Rz 4; Heidinger in Kodek/Schwimann, ABGB³ § 1441 Rz 8 unter Hinweis auf die ausdrückliche Regelung des § 422 Abs 2 BGB). Lediglich die bloße Gestattung der Aufrechnung ohne Übertragung des zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Anspruchs ist unzureichend, weil dadurch die erforderliche Gegenseitigkeit nicht hergestellt wird (Holly in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.01 § 1441 Rz 5); ein solcher Sachverhalt wurde hier nicht behauptet.

1.2. Soweit daher eine Gesamtschuld der Beklagten bestand und sich diese - wie vom Berufungsgericht unbekämpft festgestellt - wegen der von der Drittbeklagten wirksam erklärten prozessualen Aufrechnung verringert hat, ist die Forderung der Klägerin auch gegenüber Erst- und Zweitbeklagter im selben Ausmaß erloschen. Daraus folgt, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene prozessuale Aufrechnung mit der Gegenforderung der Drittbeklagten auch für Erst- und Zweitbeklagte schuldtilgend wirkt.

2.1. Bei der abändernden Neufassung des Spruchs seiner Entscheidung ist dem Berufungsgericht allerdings eine Nichtigkeit unterlaufen, da es - insoweit über die Berufungsanträge hinausgehend - auch Spruchpunkt 2. des Erstgerichts bzw Spruchpunkt 4. des Berufungsurteils zu Lasten der Erst- und Zweitbeklagten abgeändert hat.

2.2. Auch im Rechtsmittelverfahren ist das Gericht an den Sachantrag der Partei gebunden (RIS-Justiz RS0041059). Geht das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung über die Berufungsanträge hinaus, begründet dies Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0041170). Ein bisher unangefochten gelassener und daher in Rechtskraft erwachsener Urteilsteil kann nicht später in die Anfechtung einbezogen werden (vgl RIS-Justiz RS0041973). Der unangefochtene Teil einer Entscheidung kann trotz eines allfälligen Widerspruchs mit der vom Rechtsmittelgericht dann gefällten Entscheidung nicht überprüft werden, weil sonst in die Teilrechtskraft eingegriffen würde (RIS-Justiz RS0041333 [T5]). Ein Verstoß gegen die Teilrechtskraft im Sinn des § 466 ZPO begründet einen ungeschriebenen Nichtigkeitsgrund nach § 477 ZPO (RIS-Justiz RS0107779; RS0041170 [T5]; Klauser/Kodek, ZPO 17.00 (2012) § 503 ZPO E 19; Kodek in Rechberger³ Rz 4 aE zu § 503 ZPO mwN; vgl Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 92).

2.3. Der Grundsatz der Wahrung der Teilrechtskraft kommt nur dann nicht zur Geltung, wenn der unangefochten gebliebene Teil nur scheinbar formell, inhaltlich aber gar nicht selbständig in Rechtskraft erwachsen könnte, sondern in einem untrennbaren Zusammenhang mit der noch überprüfbaren Entscheidung steht. Davon kann dann nicht gesprochen werden, wenn - wie hier - eine wenigstens quantitative Scheidung des unangefochten gebliebenen und des angefochtenen Teils der Entscheidung möglich ist (vgl RIS-Justiz RS0007269 [T4]).

3. Aus Anlass der zulässigen und berechtigten Revisionen ist die dem Berufungsgericht unterlaufene Nichtigkeit (hier: die Überschreitung der Berufungsanträge, zugleich auch ein - nachrangiger: Fasching in Fasching/Konecny² Einl IV/1 Rz 135 - Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius) von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0042973 [T2]). Die Urteile der Vorinstanzen sind unter Wahrung deren Teilrechtskraft und unter Berücksichtigung der auch zugunsten der Mitschuldner schuldtilgend wirkenden Aufrechnungserklärung der Drittbeklagten wie aufgezeigt abzuändern.

4. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet sich auf § 41 Abs 1 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Bemessungsgrundlage im Revisionsverfahren beträgt 7.500 EUR.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in den Vorinstanzen beruht auf einem Größenschluss aus § 510 Abs 1, letzter Satz, ZPO. Danach kann der Oberste Gerichtshof die Entscheidung der Hauptsache dem Berufungsgericht übertragen, wenn dafür aufwändige Berechnungen erforderlich sind. Umso mehr muss das für die Kostenentscheidung gelten, zumal sich aus den Rechtsmittelbeschränkungen der ZPO ergibt, dass der Oberste Gerichtshof grundsätzlich nicht mit Kostenfragen belastet werden soll (RIS-Justiz RS0124588). Die Voraussetzungen für die Anwendung von § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO sind im konkreten Fall gegeben, da sich der Streitwert während des Verfahrens geändert hat und die Klägerin gegen drei Beklagte in unterschiedlichem Ausmaß obsiegte (vgl 4 Ob 104/11i).

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