OGH 11Os134/13k

OGH11Os134/13k12.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. November 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ostojic als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Angelo M***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 24. Mai 2013, GZ 23 Hv 30/13p-12, sowie dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 4, Abs 6 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, und der Privatbeteiligtenvertreterin Mag. Steiner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

In Stattgebung der Berufung wegen Strafe wird die Freiheitsstrafe mit zehn Monaten festgesetzt und deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Berufung wegen der privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Angelo M***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, weil er am 7. April 2012 in I***** in der Absicht, sich dadurch geschlechtlich zu erregen, die am 2. September 1999 geborene, mithin unmündige Denise L***** dazu verleitete, dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen an sich selbst vorzunehmen, indem er sie im Rahmen eines Internetkontakts via Skype mehrfach aufforderte, sich vor der Internetkamera einen Finger in die Scheide bzw in den After einzuführen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der ebenso wie sein Verteidiger den Gerichtstag bewusst unbesucht ließ.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung folgender Beweisanträge keine Verteidigungsrechte (Art 6 Abs 3 lit d MRK) verletzt.

Den Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass der Angeklagte „keine pädophile Neigungen hat“ (ON 11 S 10), lehnte das Schöffengericht mit zutreffender Begründung (ON 11 S 11) ab, weil eine pädophile Neigung weder Tatbestandsvoraussetzung für die inkriminierte Straftat ist noch dargetan wurde, weshalb ohne eine solche die Begehung derartiger Straftaten ausgeschlossen sein sollte (RIS-Justiz RS0124721).

Auch hinsichtlich der „Einholung der Fotos, die Denise L***** auf T*****-Chat gestellt hat“, und der „Chat-Videos von Skype“, jeweils zum Beweis dafür, dass das Mädchen „zumindest wie 15“ bzw „älter als 15“ ausgesehen und „eine Penetration nicht stattgefunden“ habe (ON 11 S 10 f), entstand durch die Abweisung der darauf gerichteten Anträge (ON 11 S 11 f; US 7 f) kein Verrteidigungsdefizit. Im Hinblick auf das längere Zurückliegen der Tat und die notorisch kurzen Aufbewahrungszeiten von Inhaltsdaten bzw die Unzulässigkeit ihrer Speicherung (§ 101 TKG) hätte der Beschwerdeführer ein Vorbringen zur (noch) bestehenden Möglichkeit der Durchführung der Anträge erstatten müssen. Da er dies unterlassen hat, blieb er auf der Ebene von im Hauptverfahren unzulässiger Erkundungsbeweisführung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330; RIS-Justiz RS0099841, RS0099453).

Überdies hat das Opfer dem Angeklagten im Zuge des Skype-Kontakts ihr (junges) Alter (unbestritten, wenngleich angeblich nicht geglaubt [ON 2 S 215]) mitgeteilt (ON 2 S 243).

Des Weiteren betrifft die Frage stattgefundener Penetration (bloß) die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung, also nicht die Subsumtion, sondern Strafzumessungstatsachen (s dazu jüngst 13 Os 54/13k mwN).

Letztlich verfiel der Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass aufgrund der Medikamenteneinnahme des Angeklagten „der Alkohol eine wesentlich stärkere Wirkung zeigt“ (ON 11 S 11), zu Recht der Ablehnung (ON 11 S 12), weil das Gericht die zu beweisende Tatsache ohnehin als „gerichtsbekannt“ ansah (US 8). Auf die im Rechtsmittel vorgebrachten, eine „wesentliche Beeinträchtigung“ - also im Übrigen gerade keinen Wegfall (§ 11 StGB) - der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit unterstellenden Begründungsansätze ist nicht einzugehen, weil die Berechtigung von in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen stets bezogen auf den Antragszeitpunkt zu prüfen ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Unberechtigt ist auch die Subsumtionsrüge (Z 10), die eine Unterstellung der Tat unter § 207 Abs 2 StGB anstrebt.

Als Beleg für einen behaupteten Subsumtionsirrtum führt die Beschwerde die in der Literatur (teilweise) vertretene „Problematisierung“ des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB ins Treffen (Kienapfel/Schmoller StudB BT III² Vorbem §§ 201 ff RN 50; Hinterhofer in SbgK § 206 Rz 34; Schick in WK² [Voraufl. 31. Lieferung, 2007] § 206 Rz 14), weil sich die besondere Intensität des Beischlafs aus der engen Verbindung zweier Personen ergebe und einer geschlechtlichen Handlung an sich selbst diese Intensität nicht zukomme. An Kienapfel/Schmoller (aaO) anknüpfend vermisst der Beschwerdeführer Feststellungen zur Verwendung eines Gegenstands („Dildo“) und erachtet die vorliegend konstatierte „Selbstbefriedigungshandlung mit dem eigenen Finger“ (US 6) des Opfers als tatbildausschließend und nur („schlechtestenfalls“) dem § 207 Abs 2 zweiter Fall StGB subsumierbar.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (15 Os 100/09h, EvBl 2010/7, 39; zuletzt 13 Os 54/13k mit ausführlicher Ableitung; nunmehr Philipp in WK² StGB [2012], § 206 Rz 14), von der abzugehen kein Anlass besteht, wird - unter ausdrücklicher Verwerfung der Auffassung von Hinterhofer und Schick (aaO), der Gesetzgeber habe eine zur Gänze unanwendbare bzw zwecklose Bestimmung geschaffen - beim Verleitungstatbestand des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB das Kriterium der Fremd- durch jenes der Selbstberührung ersetzt. Für die Erfüllung dieses Tatbestands ist es demnach - Kienapfel/Schmoller zuwider - unerheblich, mit welchem Mittel die vaginale oder anale Penetration erfolgt, sofern die Penetration in ihrer Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers dem Beischlaf gleichwertig ist, was regelmäßig schon bei einer bloß einmaligen Digitalpenetration anzunehmen ist (15 Os 100/09h; EBRV 1230 BlgNR 20. GP, 21). Dass die Verwendung eines Gegenstands zur Verwirklichung des Grundtatbestands nicht erforderlich ist, erhellt schon aus dem Umstand, dass damit die Qualifikation der besonderen Erniedrigung des durch das Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 (BGBl I 116/2013) erweiterten § 206 Abs 3 StGB hergestellt wird (462/ME BlgNR 24. GP, 22).

Die vorliegend festgestellte Ausführung der vom Angeklagten geforderten Handlungen durch Einführen der eigenen Finger in After und Scheide des Opfers sind demnach als digitale Anal- und Vaginalpenetration - bei gebotener fallspezifischer Gesamtbetrachtung - zu Recht dem Tatbild des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB unterstellt worden (RIS-Justiz RS0095004; RS0073566; 13 Os 54/13k).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher - wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte - zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den am 14. August 1991 geborenen Angeklagten nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 36 vorletzter Fall StGB eine - gemäß § 43a Abs 3 StGB mit einem Teil von zehn Monaten auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene - Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten.

Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend den sehr raschen Rückfall [nach einer Geldstrafe wegen § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs 2 SMG am 23. März 2012], als mildernd das teilweise Geständnis.

Dem Opfer wurden gemäß § 369 Abs 1 StPO 100 Euro zugesprochen.

Von einem Widerruf der teilbedingten Nachsicht zur bereits erwähnten Verurteilung vom 23. März 2012 (AZ 8 U 413/11g des Bezirksgerichts Telfs) wurde unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre abgesehen.

Die auf eine mildere Freiheitsstrafe, in eventu eine Geldstrafe, jedenfalls aber gänzlich bedingte Nachsicht der Unrechtsfolge abzielende Berufung ist teilweise berechtigt.

Wenngleich die Annahme raschen Rückfalls als besonderer Erschwerungsgrund eine auf gleicher schädlicher Neigung beruhende Vordelinquenz nicht voraussetzt (RIS-Justiz RS0125409) und der Rechtsmittelwerber die mehreren Bedeutungen des Adjektivs „digital“ durcheinander bringt, kann nicht übersehen werden, dass die Initiative zu - immerhin durch bloße Bild- und Tonverbindung abgemilderte - sexualbetonter Kommunikation vom Opfer ausging (US 4), das den Angeklagten unmittelbar vorher zur Selbstbefriedigung bis zum Samenerguss aufforderte (wieder US 4) und das ungefährdet jederzeit den Kontakt hätte abbrechen können.

Daher erscheint dem Obersten Gerichtshof die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe unrechts- und schuldangemessen, die unter Anlegung der Kriterien des § 43 Abs 1 StGB - einzelfallbezogen auch aus generalpräventiver Sicht - gänzlich bedingter Nachsicht zugänglich ist.

Die inhaltlich substratlos bleibende Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche lässt § 1328 letzter Fall ABGB außer Acht und musste deshalb erfolglos bleiben.

Dies gilt auch für die (implizierte - § 498 Abs 3 StPO) Beschwerde gegen den Beschluss auf Verlängerung der Probezeit, hat der Angeklagte durch die neuerliche Straftat doch eine - längere sanktionsbewehrte Beobachtung notwendig machende - Haltlosigkeit gezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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