OGH 11Os115/13s

OGH11Os115/13s29.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Oktober 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Buchner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mustafa Y***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Geschworenengericht vom 27. Mai 2013, GZ 12 Hv 18/13w-153, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Philipp zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Mustafa Y***** wird nach § 75 StGB unter Bedachtnahme nach §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 22. Dezember 2008, AZ 25 Hv 76/08p, zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von 18 (achtzehn) Jahren und 6 (sechs) Monaten verurteilt.

Die weitere Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Mit ihren Berufungen werden sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Mustafa Y***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Die Geschworenen hatten die ihnen anklagekonform gestellte Hauptfrage bejaht.

Danach hat er am 30. Juli 2006 in P***** Gertrude R***** vorsätzlich getötet, indem er ihr mit einem Messer mehrere Stich- und Schnittwunden am Kopf, Hals und Oberkörper zufügte, die innerhalb kürzester Zeit zum Tod durch Verbluten führten.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8, 10a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheins „zum Beweis dafür, dass man bei den örtlichen Gegebenheiten sehr wohl davon ausgehen muss, dass die Zeugin F***** sehen konnte, ob es sich um jemanden Größeren oder Kleineren handelte“ (ON 152 S 26) verfiel - der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider - ohne Schmälerung grundrechtlich gesicherter Verteidigungsrechte der Abweisung, weil er keine für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage erhebliche Tatsache betraf und auch nicht erkennen ließ, inwieweit sich aus der Durchführung eines Ortsaugenscheins klären lassen sollte, welche konkreten Wahrnehmungen die zwischenzeitlich verstorbene Zeugin Justine F***** (vgl ON 152 S 27) anlässlich des Tatgeschehens tatsächlich gemacht hat. Im Rechtsmittel nachgetragene Argumente zur Antragsfundierung sind - zufolge des hier geltenden Neuerungsverbots (RIS-Justiz RS0098978) - prozessual unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Unter Berufung auf eine (isoliert herangezogene) Passage der Ausführungen des kriminalpsychologischen Sachverständigen Dr. Thomas M*****, wonach eine Armbanduhr und die Geldbörse des Opfers nicht aufgefunden werden konnten (ON 152 S 15), reklamiert der Nichtigkeitswerber die Stellung einer „Eventualfrage nach §§ 142, 143 letzter Fall StGB“ (Z 6), bezeichnet solcherart aber kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes, die Stellung der angestrebten Frage indizierendes Tatsachensubstrat (zur Frage des Zusammentreffens der §§ 75 und 142 f StGB bei einheitlichem Tatgeschehen: 13 Os 132/10a; Eder-Rieder in WK2 § 143 Rz 30). Eine (zusätzliche) Frage nach einem Raubgeschehen wäre überdies nicht zum Vorteil des Angeklagten.

Die mit Instruktionsrüge (Z 8) vermisste Belehrung der Geschworenen über konkrete Umstände der Fallgestaltung (nämlich über das Verschwinden einer Armbanduhr und einer Geldbörse des Tatopfers) bezieht sich auf Tatfragen, die grundsätzlich nicht Gegenstand der - rein nach juristischen Gesichtspunkten abzufassenden - schriftlichen Rechtsbelehrung (§ 321 StPO), sondern allenfalls der Besprechung gemäß § 323 Abs 2 erster Satz StPO sind (vgl RIS-Justiz RS0109476). Wieweit der relevierte Umstand die allein bedeutsame Antwort der Geschworenen auf die in Richtung vorsätzliche Tötung gestellte Hauptfrage beeinflussen hätte können, bleibt im Dunkeln - nur zu gestellten Fragen ist indes eine Rechtsbelehrung zu erteilen (RIS-Justiz RS0101085, RS0100745, RS0101091).

Soweit die Tatsachenrüge (Z 10a) aus den Verfahrensergebnissen - insbesondere aus der molekular- biologischen Expertise der Sachverständigen Dr. N***** (ON 145 S 62 ff) - andere, für den Angeklagten gegenüber jenen der Geschworenen günstigere Schlüsse fordert, vermag sie keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen zu wecken, sondern zielt bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung außerhalb der von § 281 Abs 1 Z 10a StPO erfassten Sonderfälle ab. Die Kritik, das Erstgericht habe seine Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung vernachlässigt, verabsäumt darzulegen, wodurch der Angeklagte an der Ausübung seines Rechtes, allfällige weitere, ihm zweckmäßig erscheinende Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert gewesen sein sollte (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; RIS-Justiz RS0115823).

Im bisher dargestellten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher - in Übereinstimmung mit dem Croquis - zu verwerfen.

Im Recht hingegen ist die Sanktionsrüge (Z 13 erster Fall) mit dem Einwand, das Erstgericht hätte gemäß § 31 Abs 1 StGB auf das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 22. Dezember 2008, AZ 25 Hv 76/08p, Bedacht nehmen und eine Zusatzstrafe zu dieser Verurteilung verhängen müssen, weil die hier gegenständliche Tat nach der Zeit ihrer Begehung (am 30. Juli 2006) schon im genannten Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Die (irrtümliche [US 2 f]) Nichtanwendung des § 31 Abs 1 StGB auf dieses Urteil bewirkt Nichtigkeit aus Z 13 erster Fall des § 345 Abs 1 StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 666 mwN).

Eine Bedachtnahme nach § 31 Abs 1 StGB (auch) auf die weitere Verurteilung des Angeklagten durch das Bezirksgericht Wiener Neustadt vom 27. April 2012, AZ 5 U 130/11v, kommt indes nicht in Betracht, weil die dieser Abstrafung zu Grunde liegende Sachbeschädigung am 13. August 2011 begangen wurde und demnach nicht bereits am 22. Dezember 2008 zu AZ 25 Hv 76/08p des Landesgerichts Eisenstadt hätte abgeurteilt werden können (vgl RIS-Justiz RS0112524).

Es war daher - neuerlich in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur - in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in seinem Strafausspruch aufzuheben und in diesem Umfang gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst zu erkennen.

Bei der Strafneubemessung war erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit mehreren Vergehen (AZ 25 Hv 76/08p des Landesgerichts Eisenstadt: Brandstiftung [§§ 15, 169 Abs 1 StGB] und gefährliche Drohungen [§ 107 Abs 1, Abs 2 StGB] zwischen August und Oktober 2008), mildernd der vor 2006 liegende ordentliche Lebenswandel. Weitere besondere Strafzumessungsgründe liegen nicht vor, insbesondere nicht die von der Verteidigung reklamierte - für den Mord völlig irrelevante - „drückende Notlage“ oder die „verlockend erscheinende Gelegenheit“. Das Beweisverfahren hat aber auch - entgegen der staatsanwaltlichen Ausführungen - keine handfesten Ergebnisse für die Annahme von Heimtücke, Grausamkeit oder besonderer Brutalität ergeben. Dem Milderungsgrund des längeren Zurückliegens des Mordes stehen die seither verübten Straftaten entgegen (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB).

Die aus dem Spruch ersichtliche Strafe entspricht dem Unrechts- und Schuldgehalt der Bluttat.

Die Berufungen waren auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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