OGH 8ObA50/13f

OGH8ObA50/13f28.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Ing. Thomas Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** S*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen 2.300,47 EUR brutto sA (Revisionsinteresse), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Mai 2013, GZ 6 Ra 19/13f‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. November 2012, GZ 38 Cga 90/12s‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 475,21 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen seit 1. Mai 2012 sowie 29,45 EUR an Verfahrenskosten (Barauslagen) zu bezahlen.

Das auf Zahlung weiterer 2.069,90 EUR brutto samt Anhang gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 800,70 EUR (darin 133,45 EUR USt) bestimmten Kosten zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 675,46 EUR (darin 78,60 EUR USt und 203,82 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 471,48 EUR (darin 35,92 EUR USt und 255,96 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der in seinem Hauptberuf bei einem anderen Unternehmen als Maschinist beschäftigte Kläger war bei der Beklagten, die eine Diskothek betreibt, als Aushilfskraft beschäftigt. Auf das Vertragsverhältnis ist der Kollektivvertrag für das Hotel- und Gastgewerbe anzuwenden.

Der Kläger arbeitete bei der Beklagten als „Fasser“, der die Kellner mit frischen Getränken zu versorgen hat. Im Rahmen des Bewerbungsgesprächs erklärte der Betriebsleiter M***** L***** dem Kläger, dass er „fallweise Beschäftigter“ sei und dafür jeweils nach Ende der Schicht einen Lohn von 7,50 EUR netto pro gearbeiteter Stunde ausbezahlt erhalten werde. Diese Abmachung wurde eingehalten. Die Lohnabrechnungen wurden jeweils für einen Monat im Nachhinein erstellt.

Der Kläger konnte sich selbst einteilen, wann er arbeiten wollte. Er trug ‑ so wie auch die anderen bei der Beklagten beschäftigten Fasser ‑ seine gewünschten Arbeitstage in einem dafür vorgesehenen Kalenderblatt für maximal fünf Wochen im Voraus ein. Im Jahr 2012 wollte er vor allem an Freitagen, zwei bis drei mal pro Monat, arbeiten.

Jene Fasser, die den Dienst antraten, wurden bei der Gebietskrankenkasse zunächst avisiert und dann nachträglich für den jeweiligen Tag als „fallweise Beschäftigte“ angemeldet. Es war aber jedem Fasser möglich, auch noch kurzfristig abzusagen; dann musste der Vorgang bei der Gebietskrankenkasse rückgängig gemacht werden. Diese Mitarbeiter konnten kurz darauf schon wieder andere Dienste übernehmen. Es bestand für sie keine Verpflichtung, einen Vertreter zu entsenden. Der Kläger hatte beispielsweise für den 23. Dezember 2011 eine Arbeitstätigkeit vereinbart, die er wegen Erkrankung seiner Tochter nicht einhalten konnte. Die Stornierung dieses Termins war für den Kläger sanktionslos.

Der Kläger wurde ungefähr 3 bis 4 mal im Jahr vom Betriebsleiter kurz vor Arbeitsbeginn ersucht, wegen eines Ausfalls anderer Mitarbeiter auszuhelfen.

Gegen Ende Mai 2012 erlitt der Kläger einen leichten Bandscheibenvorfall. Er teilte der Beklagten mit, dass er aus diesem Grund zur Zeit nicht arbeiten gehen könne, was diese zur Kenntnis nahm. Danach trat er ohne weitere Erklärung keinen Dienst mehr an.

In der Klage wird mit dem Vorbringen, der Kläger sei als Aushilfskellner in Wahrheit in einem durchgehenden Dienstverhältnis gestanden, kollektivvertragliche Jahresremuneration sowie Urlaubsersatzleistung für die Zeit vom 1. 7. 2009 bis 30. 4. 2012 geltend gemacht.

Die Beklagte wandte ein, der Kläger sei lediglich fallweise beschäftigt gewesen. Es habe für ihn keine Arbeitspflicht bestanden. Die Diskothek sei in der Regel nur donnerstags bis samstags, gelegentlich auch vor Feiertagen geöffnet worden, deshalb und wegen unregelmäßiger Auslastung habe die Beklagte nie durchgehende Dienstverhältnisse gewollt. Wäre dennoch von einem durchgehenden Beschäftigungsverhältnis auszugehen, dann hätte es durch unberechtigten vorzeitigen Austritt des Klägers geendet. Der Anspruch auf Jahresremuneration entstehe erst nach einer ununterbrochenen Beschäftigung von mehr als zwei Monaten, die der Kläger nie erreicht habe. Für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden habe er, wie es der Kollektivvertrag für fallweise Beschäftigte vorsehe, einen erhöhten Mindestlohn erhalten, mit dem sämtliche Ansprüche angemessen abgegolten seien.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 2.300,47 EUR brutto unter Abweisung des Mehrbegehrens zu. Es sei angesichts der Häufigkeit seiner Arbeitseinsätze von einem durchgehenden Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Einen wichtigen Grund für eine vorzeitige Beendigung habe der Kläger nicht nachweisen können, sodass das Arbeitsverhältnis durch seinen unberechtigten Austritt beendet worden sei. Mit Ausnahme der austrittsabhängigen Ansprüche bestehe das Klagebegehren zu Recht.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Streitteilen erhobenen Berufungen keine Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, die Streitteile hätten von vornherein die fortgesetzte Erbringung von Dienstleistungen vereinbart. Der Kläger habe auch tatsächlich ständig wiederkehrend, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, nach einem Dienstplan gearbeitet. Der Umstand, dass der Kläger im Vorhinein nicht verpflichtet gewesen sei, Arbeitseinsätze zu übernehmen, trete gegen die faktischen Verhältnisse in den Hintergrund.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten (§ 508a ZPO) ist zulässig, weil das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Beurteilung von Kettenarbeitsverhältnissen abgewichen ist. Der Kläger hat die ihm freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist teilweise auch berechtigt.

1. Der Begriff der „fallweise beschäftigten“ Personen stammt aus dem Bereich des Sozialversicherungsrechts. Nach § 471b ASVG sind darunter Personen zu verstehen, die in unregelmäßiger Folge tageweise beim selben Dienstgeber beschäftigt werden, wenn die Beschäftigung für eine kürzere Zeit als eine Woche vereinbart ist. Aus arbeitsrechtlicher Sicht handelt es sich bei solchen fallweisen Beschäftigungen um aufeinanderfolgende befristete Dienstverhältnisse.

Der hier anzuwendende Rahmenkollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe enthält in seinem Punkt 8.g. eine Sonderregelung für die Entlohnung fallweise beschäftigter Personen im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Definition. Für diese Beschäftigtengruppe wird ein Mindestlohn in Höhe von 120 % des kollektivvertraglichen Mindestlohns der ihrer Tätigkeit entsprechenden Beschäftigtengruppe normiert. Unstrittig ist, dass der mit dem Kläger vereinbarte Stundenlohn von 7,50 EUR netto diesen erhöhten Mindestlohn überschritten hat.

2. Die festgestellte Vereinbarung der Streitteile begründete für den Kläger keine Arbeitspflicht. Umgekehrt verschaffte sie ihm aber auch keinen Anspruch auf Beschäftigung zu bestimmten Zeiten oder in einem bestimmten Mindestausmaß. Der Inhalt beschränkte sich auf eine Rahmenvereinbarung über die Art und die Höhe der Entlohnung von nebenberuflichen Einsätzen als Aushilfskraft. Zu einem konkreten Arbeitsverhältnis kam es jeweils erst dann, wenn der Kläger sich für bestimmte, frei gewählte Tage zum Einsatz bereit erklärte und die Beklagte seine Arbeitskraft tatsächlich in Anspruch nahm. Nach der festgestellten jahrelangen Praxis haben die Streitteile eine Serie von befristeten Arbeitsverträgen geschlossen.

Grundsätzlich ist diese Art der Vertragsgestaltung wegen der immanenten Gefahr einer Beeinträchtigung wesentlicher Arbeitnehmerinteressen sehr restriktiv zu beurteilen. Kettenarbeitsverträge sind nur dann rechtmäßig, wenn die Aneinanderreihung einzelner auf bestimmte Zeit abgeschlossener Arbeitsverträge im Einzelfall durch besondere soziale oder wirtschaftliche Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen müssen, gerechtfertigt ist (RIS-Justiz RS0028327 [T2, T6]). Es bedarf einer Interessenabwägung im Sinne des beweglichen Systems, bei der nicht nur das Ausmaß der Unterbrechungszeiten, sondern auch das der zwischen diesen Unterbrechungszeiten liegenden Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen ist.

Der vorliegende Sachverhalt lässt keine Gründe erkennen, aus denen die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse nach den Umständen des Einzelfalls als sittenwidrig zu beurteilen wäre.

Übersteigt die Dauer der Zeiten der Unterbrechung ‑ wie beim Kläger ‑ erheblich die der Beschäftigung, spricht dies tendenziell gegen eine unzulässige Vertragskette (RIS-Justiz RS0021824; RS0110312 = 8 ObA 15/98h).

Nicht nur legte die Rahmenvereinbarung der Streitteile keine Arbeitsverpflichtung des Klägers fest, dies entsprach auch den tatsächlichen Gepflogenheiten; weder konnte von verpönter „Arbeit auf Abruf“, noch von einseitig am Bedarf des Unternehmens orientierter, variabler Arbeitszeit (vgl 8 ObA 15/98h) die Rede sein. Der Umstand, dass der Kläger fallweise gebeten wurde, für andere Mitarbeiter „einzuspringen“ ist für eine Aushilfstätigkeit geradezu charakteristisch. Da er nicht verpflichtet war, solchen Ersuchen nachzukommen und im Weigerungsfall auch keine Sanktionen zu erwarten hatte, kann daraus kein Argument für ein durchgehendes Dienstverhältnis abgeleitet werden.

Nach der Rahmenvereinbarung trug die Beklagte das Risiko des Ausfalls einer Hilfskraft. Dagegen kam sie dem Interesse des Klägers an einem Zusatzverdienst durch eine Beschäftigung entgegen, der er nach Bedarf neben seiner Vollzeitbeschäftigung bei einem anderen Unternehmen nachgehen konnte. Auch wenn der Kläger im Rückblick in den strittigen zweieinhalb Jahren ziemlich regelmäßig im Einsatz war, kommt es doch wesentlich darauf an, dass er dazu ‑ im Unterschied zu einem durchgehend teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ‑ nicht verpflichtet gewesen wäre. Der Umstand, das ein kurzfristiges Absagen eines vereinbarten Termins bei ihm nur ein einziges Mal vorgekommen ist, deutet angesichts dessen, dass er sich seine Einsatztage immer auf wenige Wochen im Voraus selbst ausgesucht hat und schon dabei etwaige Verhinderungsgründe berücksichtigen konnte, nicht auf eine weitergehende vertragliche Bindung hin.

3. Eine Jahresremuneration gebührt nach Pkt 14 lit a des Kollektivvertrags für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe allen Arbeitnehmern, die mindestens zwei Monate ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt sind.

Diese Voraussetzung können fallweise beschäftigte Aushilfskräfte nicht erfüllen. Im Ergebnis wird diese Gruppe von Arbeitnehmern durch die kollektivvertragliche Regelung aber dennoch nicht entgeltmäßig schlechter gestellt (§ 2b AVRAG) als unbefristet Beschäftigte, weil ihnen statt dessen ein auf 120 % erhöhter kollektivvertraglicher Mindeststundenlohn gebührt. Der Durchschnittslohn für fortlaufend beschäftigte Arbeitnehmer beträgt unter aliquoter Einrechnung der diesen zustehenden Jahresremuneration 119,17 % des allgemeinen Mindestlohnsatzes. Fallweise Beschäftigte haben daher für die selbe Anzahl an Arbeitsstunden im Ergebnis nicht weniger, sondern (geringfügig) mehr Lohn zu erhalten als durchgehend Beschäftigte.

Auch dem fallweise kurzfristig beschäftigten Kläger stand mangels Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen des Pkt 14 des Kollektivvertrags keine Jahresremuneration zu. Die Frage, ob die Beklagte mit ihm eine „All-In-Vereinbarung“ treffen wollte, kann aus diesem Grund dahingestellt bleiben (zur Zulässigkeit ua 9 ObA 160/11m; 8 ObA 32/13h je mwN).

4. Anders verhält es sich mit dem Anspruch auf Urlaubsersatzleistung. Mit der Frage des Anspruchs fallweise beschäftigter Arbeitnehmer auf Erholungsurlaub sowie der Abgeltung des Urlaubs bei Nichtverbrauch hatte sich der erkennende Senat erst jüngst in seiner Entscheidung 8 ObA 32/13h zu befassen, die ein gleichartiges Arbeitsverhältnis zur identen beklagten Partei betraf.

Am Ergebnis dieser Entscheidung ist festzuhalten: Auch fallweisen Beschäftigten im Sinn des § 471b ASVG steht ein Urlaubsanspruch zu, der (zugunsten des Arbeitnehmers) auch stundenweise in Anspruch genommen werden kann. Eine Einbeziehung der Urlaubsersatzleistung in eine „All-In-Vereinbarung“ verstößt gegen das Ablöseverbot des § 7 UrlG und ist nichtig. Das in Pkt 8 lit g des Kollektivvertrags für fallweise beschäftigte Arbeitnehmer festgelegte erhöhte Mindestentgelt enthält keine anteilige Urlaubsersatzleistung.

Die geltend gemachte Urlaubsersatzleistung steht dem Kläger daher für die Dauer seiner befristeten Dienstverhältnisse zu. Die Beklagte hat die rechnerische Höhe des Anspruchs unter der Prämisse, dass kein durchgehendes Dienstverhältnis vorlag, nicht substantiiert bestritten, sondern lediglich vorgebracht, dass auf einen Arbeitstag rechnerisch 0,08 anteilige Urlaubstage entfallen würden. Auch auf dieser Grundlage würde sich aber, ausgehend vom Nettolohn des Klägers, ein Betrag ergeben, der das (Brutto-)Klagebegehren jedenfalls nicht unterschreitet (§ 273 ZPO; Tageslohn je nach Einsatzdauer 60 bis 75 EUR netto an insgesamt 120 Arbeitstagen im Anspruchszeitraum).

5. Da der Kläger nicht zur Fortsetzung seiner Arbeit verpflichtet war, besteht für die Annahme eines unberechtigten vorzeitigen Austritts kein Raum. Die damit begründete Teilabweisung der eingeklagten Urlaubsersatzleistung durch die Vorinstanzen ist allerdings in Rechtskraft erwachsen und kann vom Obersten Gerichtshof nicht mehr korrigiert werden.

Die Verfallsbestimmung nach Pkt 7 lit e des Kollektivvertrags bezieht sich, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, nur auf das laufende Entgelt (RIS‑Justiz RS0064834; 8 ObA 32/12h).

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG iVm §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.

Der Kläger ist in erster Instanz mit rund 19 % seines ursprünglichen Begehrens durchgedrungen. Für das erstinstanzliche Verfahren steht ihm der Ersatz der Pauschalgebühr nach dieser Quote zu, andererseits hat er der Beklagten 62 % ihrer Kosten zu ersetzen.

Im Berufungsverfahren ist der Kläger mit seinem eigenen Rechtsmittel unangefochten zur Gänze unterlegen, in Ansehung der Berufung der Beklagten ist er nur zu 21 % als obsiegend anzusehen. Er hat daher die Kosten der Berufungsbeantwortung der Beklagten, weiters 58 % ihrer eigenen Berufungskosten und 79 % der Pauschalgebühr zu ersetzen. Diese Obsiegens- und Kostenersatzquoten gelten auch für das Revisionsverfahren.

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