OGH 4Ob166/13k

OGH4Ob166/13k22.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Zahnärztekammer, *****, vertreten durch Dr. Friedrich Schulz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Müller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 31.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 1. August 2013, GZ 4 R 176/13a‑13, mit welchem der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 7. Juni 2013, GZ 1 Cg 52/13k‑4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die klagende Zahnärztekammer ist nach § 18 ZÄKG berufen, die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Zahnärzte und Dentisten wahrzunehmen und zu fördern. Die Beklagte betreibt Kosmetiksalons und verfügt über eine einschlägige Gewerbeberechtigung. Weder ihr Geschäftsführer noch andere für sie handelnde Personen sind zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs berechtigt.

Die Beklagte bietet in ihren Kosmetiksalons „kosmetisches Zahnbleaching“ an. Sie verwendet dafür ein Zahngel, das kein Wasserstoffperoxyd enthält. Bei der Anwendung füllt ein Mitarbeiter der Beklagten das Gel in eine Mundschiene, die sich der Kunde selbst in den Mund setzt. Dann wird das Zahnaufhellungsgel von außen mit einer LED-Lampe aktiviert.

Auf ihrer Website stellte die Beklagte die Vorteile und den Ablauf der Behandlung dar. Es handle sich dabei um eine kosmetische Anwendung, die keine zahnärztliche Tätigkeit sei. Weiters führte sie Folgendes aus:

„Was ist Zahnbleaching? Das Bleichen der Zähne ist eine Behandlung, bei der die Zähne aufgehellt und Verfärbungen mittels photochemischer Reaktion von Zahnschmelz und Zahnbein entfernt werden können.“

„Ist die Behandlung bei schwangeren oder stillenden Frauen möglich? Nein. Obwohl die Unschädlichkeit (sic!) der Behandlung bislang noch nicht medizinisch erwiesen ist, obliegt es der medizinischen Forschung nachzuweisen, dass das bei der Zahnaufhellung benutzte Gel unbedenklich ist.“

„Gegenanzeigen. Unter folgenden Umständen kann keine Behandlung durchgeführt werden. Bei Unklarheiten lassen Sie sich bitte gegebenenfalls auch von ihrem Arzt beraten: Zahnfleischerkrankungen, nach chirurgischen Eingriffen im Mundbereich, unbehandelter Karies, Asthma- und Atemwegskrankheiten, Anfallserkrankungen wie Epilepsie, Herzleiden oder Kunstherz, rheumatisches Fieber, Schwangerschaft, Entfernung der Zahnspange in den letzten 2 Monaten.“

Die deutsche Bundeszahnärztekammer hielt in einer Stellungnahme vom September 2012 Folgendes fest:

„Bleachmittel mit einer Wasserstoffperoxyd­konzentration unter 0,1 % sind weiterhin frei verkäuflich und können ohne Mitwirkung eines Zahnarztes angewandt werden.“

Zur Sicherung ihres gleichlautenden Unterlassungsbegehrens beantragt die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen,

zahnärztliche Tätigkeiten wie Bleaching, sei es auch mit dem Zusatz „kosmetisches Zahnbleaching“ oder mit sinngemäß gleichen Aussagen, anzukündigen und/oder auszuführen.

Bleaching sei nach § 4 ZÄG den Zahnärzten vorbehalten. Ein Nichtzahnarzt könne den Grund für die Verfärbung von Zähnen nicht beurteilen, sodass möglicherweise wichtige Vorbehandlungen (Kariesentfernung, Wurzelkanalbehandlung) unterblieben. Weiters bestehe das Risiko, die Zähne durch das für die Zahnaufhellung verwendete Bleichmittel zu schädigen. Auch die Oberfläche von Füllungen und anderen Zahnersatzmaterialien könne angegriffen werden. Bei kariösen Stellen oder undichten Füllungen könnten Bleichmittel eindringen und zu Nervreizungen führen, was in weiterer Folge unter Umständen eine Wurzelkanalbehandlung erforderlich mache.

Die Beklagte wendet ein, das von ihr verwendete Mittel enthalte kein Wasserstoffperoxyd. Es sei daher nach der Kosmetikmittelrichtlinie (RL 2011/84/EU) unbedenklich. Weder die Anwendung dieses Mittels noch der Umstand, dass Zahnverfärbungen auch krankheitsbedingte Ursachen haben könnten, begründe die Notwendigkeit einer vorherigen Untersuchung und Diagnose. Die von der Beklagten angebotene Behandlung sei daher nicht den Zahnärzten vorbehalten. Jedenfalls müsse das Verbot aber auf den Fall beschränkt werden, dass bei der Beklagten keine Zahnärzte beschäftigt seien.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das von der Beklagten verwendete Produkt enthalte kein Wasserstoffperoxyd und sei daher als Mundpflegemittel einzustufen, dessen Verwendung nicht unter den Zahnärztevorbehalt falle.

Das Rekursgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Entscheidungen zum Zahnarztvorbehalt „spärlich“ seien.

Zahnärzten sei nach § 4 Abs 3 Z 4a ZÄG „die Vornahme von kosmetischen und ästhetischen Eingriffen an den Zähnen, sofern diese eine zahnärztliche Untersuchung und Diagnose erfordern“ vorbehalten. Das Bleaching diene der Aufhellung von Zähnen und damit ‑ zumindest auch ‑ der Beseitigung von Verfärbungen, und zwar mittels einer photochemischen Reaktion. Auch wenn Zahnverfärbungen unterschiedliche Ursachen haben könnten (Konsumverhalten wie Tabak-, Alkohol- oder Kaffeegenuss; krankhafte Veränderungen) und daher nicht in jedem Fall als Krankheit einzustufen seien, müsse doch die Entscheidung, welche Ursache die Verfärbung habe, dem Arzt vorbehalten bleiben. Die Beseitigung von Verfärbungen berge bei unterbliebener Ursachenabklärung die Gefahr, dass behandlungsbedürftige Zahnerkrankungen unerkannt blieben. Das ergebe sich schon aus den Warnhinweisen der Beklagten, wonach eine Behandlung bei Zahnfleischerkrankungen und unbehandeltem Karies nicht durchgeführt werden könne. Weder der Kunde noch die Mitarbeiter der Beklagten seien in der Lage, das Vorliegen solcher Erkrankungen zu diagnostizieren. Unter diesen Umständen sei die Dienstleistung der Beklagten auch bei Verwendung eines Mittels, das kein Wasserstoffperoxyd enthalte, den Angehörigen des zahnärztlichen Berufs vorbehalten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm ist als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen (4 Ob 225/07d = SZ 2008/32 ‑ Wiener Stadtrundfahrten; RIS-Justiz RS0123239). Maßgebend für die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden (4 Ob 225/07b ‑ Wiener Stadtrundfahrten; RIS-Justiz RS0077771 [T76]; zuletzt ua 4 Ob 67/11y = wbl 2012, 169 [Schuhmacher] ‑ Einzige Anbieterin für Konsumentenschutz II, 4 Ob 20/13i = wbl 2013, 418 ‑ Vertretungsvorbehalt der Rechtsanwälte; 3 Ob 115/13b).

2. Auf dieser Grundlage hatten die Vorinstanzen zu prüfen, ob das beanstandete Verhalten der Beklagten auf einer unvertretbaren Auslegung von § 4 Abs 3 Z 4a ZÄG beruhte. Danach gehört zum zahnärztlichen Vorbehaltsbereich insbesondere „die Vornahme von kosmetischen und ästhetischen Eingriffen an den Zähnen, sofern diese eine zahnärztliche Untersuchung und Diagnose erfordern“.

3. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Website der Beklagten, dass

- bei der Behandlung eine „photochemische Reaktion“ stattfindet und

- die Behandlung ua bei Erkrankungen des Zahnfleisches und bei unbehandeltem Karies nicht durchgeführt werden darf.

Damit ist der Tatbestand von § 4 Abs 3 Z 4a ZÄG in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erfüllt: Zum einen geht eine photochemische Reaktion (also eine durch Licht initiierte chemische Reaktion) über die von der Beklagten behauptete Anwendung eines Mundpflegemittels hinaus und ist daher jedenfalls als „Eingriff“ iSv § 4 Abs 3 Z 4a ZÄG zu werten. Dass das von der Beklagten verwendete Mittel ‑ anders als Wasserstoffperoxyd ‑ als solches unbedenklich sein mag, kann daran nichts ändern. Zum anderen ist die Behandlung nach den Angaben der Beklagten ausgeschlossen, wenn bestimmte ‑ und zwar durchaus häufige ‑ Krankheiten im Mundbereich (Zahnfleischerkrankungen, Karies) vorliegen. Daraus ist zwingend abzuleiten, dass auch nach Auffassung der Beklagten vor einer Behandlung abgeklärt werden muss, ob diese Krankheiten vorliegen. Die Behandlung erfordert daher eine vorherige Untersuchung und Diagnose. Dass die Gründe für diese Notwendigkeit nicht festgestellt sind, schadet im Sicherungsverfahren nicht.

4. Die Klägerin hat daher durch den Hinweis auf die Angaben der Beklagten einen Sachverhalt bescheinigt, der ohne Zweifel unter § 4 Abs 3 Z 4a ZÄG fällt. Das Verhalten der Beklagten ist daher auch unlauter iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt trotz des Fehlens einschlägiger Rechtsprechung nicht vor, weil die gesetzliche Regelung den hier zu beurteilenden Fall eindeutig erfasst (RIS-Justiz RS0042656). Offen kann demgegenüber bleiben, ob aus § 4 Abs 3 Z 4a ZÄG auch zwingend (oben 1.) folgt, dass die Möglichkeit krankheitsbedingter Ursachen für sich allein eine vorherige Untersuchung und Diagnose durch einen Zahnarzt „erforderlich“ macht.

5. Die von der Beklagten gerügte Formulierung des Verbots ist unbedenklich. Bei ihr sind derzeit keine Zahnärzte beschäftigt; daher kann ihr die Zahnärzten vorbehaltene Tätigkeit uneingeschränkt verboten werden. Sollte sich dieser Sachverhalt ändern, läge eine neue Tatsache vor, deren rechtliche Relevanz je nach Lage des Falls in einem Oppositions- oder Impugnationsprozess zu prüfen wäre.

6. Aus diesen Gründen ist der Revisionsrekurs der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO.

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