OGH 6Ob166/13z

OGH6Ob166/13z30.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C***** S*****, 2. Z***** S*****, beide *****, vertreten durch Mag. Katrin Hetsch‑Neuhold und Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwälte in Tulln, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Obermayer Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 13. Juni 2013, GZ 21 R 106/13s‑39, womit das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 12. April 2013, GZ 2 C 954/11g‑34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00166.13Z.0930.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil in der höchstgerichtlichen Judikatur keine dezidierte Aussage dazu vorgefunden werden könne, ob sich Bewohner eines Einfamilienhauses, die mit dem Neubau und mit der Besiedelung einer Wohnhausanlage unmittelbar auf dem Nachbargrundstück konfrontiert werden, schon durch das übliche mitteleuropäische Bewohnerverhalten, einschließlich des Aufenthalts im Freien zur Abendzeit, gemäß § 364 Abs 2 ABGB als beschwert erachten können, dies insbesondere, wenn sie dadurch verursachte Gesundheitsbeeinträchtigungen behaupten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Das Berufungsgericht hat die maßgebenden Grundsätze der höchstgerichtlichen Judikatur ausführlich und zutreffend wiedergegeben. Lärmeinwirkungen sind mittelbare Immissionen, die nur soweit, als sie das ortsübliche Ausmaß überschreiten und die ortsübliche Benutzung wesentlich beeinträchtigen, untersagt werden können. Der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB setzt daher voraus, dass die Beeinträchtigung (Immission) sowohl ortsunüblich als auch unzumutbar ist (4 Ob 24/13b; RIS‑Justiz RS0010587).

2.1. Nach der Entscheidung 7 Ob 286/03i und Teilen der Lehre ( Koziol , Haftpflichtrecht II² 322; Säcker in MünchKomm BGB³ § 906 Rz 86) ist auf einen Vergleich der Benützung des störenden (nicht des betroffenen) Grundstücks mit anderen Grundstücken des betreffenden Gebiets abzustellen. In der Regel hängt die Ortsüblichkeit von Immissionen in dem zu betrachtenden Raum davon ab, ob schon eine größere Anzahl von Grundstücken (im vorliegenden Fall: Wohnungen) dieses Gebiets so genutzt wird, dass Einwirkungen von ihnen ausgehen, die den zu beurteilenden Immissionen entsprechen (vgl auch 6 Ob 105/11a).

2.2. Nach anderer Ansicht ist auf den Ort der beeinträchtigten Liegenschaft abzustellen; auf die Ortsüblichkeit der Nutzung des Störergrundstücks komme es ‑ im Gegensatz zu § 906 BGB ‑ nicht an ( Oberhammer in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 364 Rz 16; Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³ ABGB § 364 Rz 206 mwN).

3. Im vorliegenden Fall führen jedoch beide Auffassungen zum selben Ergebnis:

3.1. Bei der Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Nachbarliegenschaft wesentlich beeinträchtigt ist, ist nicht auf eine besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks abzustellen (RIS‑Justiz RS0010557). Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet (RIS‑Justiz RS0010607). Gefährdet jedoch die Einwirkung die Gesundheit davon betroffener Menschen, so kann sie nicht als ortsüblich beurteilt werden (7 Ob 286/03i; Oberhammer in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 364 Rz 15). Ist allerdings die Gesundheitsgefährdung bzw gesundheitliche Beeinträchtigung nur auf eine besondere Sensibilität des Nachbarn zurückzuführen, so kann dies für sich allein noch nicht zum Anlass genommen werden, die Einwirkung gänzlich zu untersagen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Immission überhaupt ‑ und nicht nur für übersensible Menschen ‑ gesundheitsgefährdend bzw gesundheits‑ beeinträchtigend ist. Dafür trifft aber den betroffenen Nachbar die Beweislast (10 Ob 25/11s; 1 Ob 6/99k).

3.2. Nach den Feststellungen des Erstgerichts handelt es sich um eine leise Umgebung; das Widmungsmaß, welches bei Planungen von Anlagen heranzuziehen ist, wurde weder tagsüber noch großteils am Abend überschritten. Die Art der auftretenden Geräusche wie Spielen von Kindern auf Terrassen, Quietschen von Kindern, Telefonate, Verschieben von Gartenmöbeln etc seien nicht als ortsunüblich zu bezeichnen; die ortsübliche Benutzung des Klagsgrundstücks sei nicht beeinträchtigt. In der näheren Umgebung befinden sich sowohl Einfamilienhäuser als auch mit der Wohnhausanlage der beklagten Partei vergleichbare andere Wohnhausanlagen.

3.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass beim Zusammenleben von Menschen, wie es in bzw im Umfeld von Wohnhausanlagen typischerweise stattfindet, dadurch bedingte Unannehmlichkeiten grundsätzlich in Kauf zu nehmen sind (RIS‑Justiz RS0112954). Dabei bringen die Revisionswerber keine spezifischen Besonderheiten zur Darstellung, sondern schildern lediglich ein allgemein übliches Bewohnerverhalten. Die bloße Erwartung, die Nachbarliegenschaft werde dauerhaft unbebaut bleiben, begründet keine Ansprüche nach § 364 Abs 2 ABGB.

4. Damit liegt aber zu sämtlichen im vorliegenden Fall zu beantwortenden Rechtsfragen bereits umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. In Anbetracht des Umstands, dass es sich im vorliegenden Fall um durch gewöhnliche Nutzung einer Wohnhausanlage verursachte Geräusche in einer Wohnsiedlung handelt, wobei die klagenden Parteien kein ausreichend deutliches Vorbringen zu einer besonderen Intensität und Dauer, ungewöhnlichen Tageszeit oder sonst besonderer Störungseignung des Lärms erstattet haben, ist in der Auffassung des Berufungsgerichts, die Einwirkungen überstiegen das ortsübliche Maß nicht, keine im Einzelfall aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung zu erblicken.

5. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können im Revisionsverfahren nicht geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963).

6. Die Revision war daher spruchgemäß zurückzuweisen.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen.

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