OGH 13Os65/13b

OGH13Os65/13b29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. August 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer in der Strafsache gegen Herbert R***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 5. Februar 2013, GZ 22 Hv 107/12v-90, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herbert R***** jeweils mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in Linz und in Steyr

(I) andere mit Gewalt, konkret durch verdeckte Verabreichung der betäubenden Substanz Gamma-Butyrolacton (im Folgenden: GBL), zur Duldung des Beischlafs genötigt, nämlich

1) am 24. oder am 25. November 2011 Nora W***** sowie

2) um den Jahreswechsel 2010/2011 in zwei Angriffen Almedina I*****, und

(II) außer den Fällen des § 201 StGB andere mit Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, nämlich

1) im Mai oder im Juni 2011 Dalila F*****, indem er sie nach verdeckter Verabreichung der betäubenden Substanz GBL intensiv im Schambereich berührte,

2) im Sommer 2011 Helena B*****, indem er sie festhielt und intensiv an der Brust sowie im Schambereich berührte, und

3) am 8. Dezember 2010 Christina H*****, indem er sie nach verdeckter Verabreichung der betäubenden Substanz GBL intensiv im Schambereich berührte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) die Vorführung der Videoaufnahme der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Christina H***** (ON 57 S 41) kritisiert, ohne sich dabei auf einen Antrag des Beschwerdeführers oder einen gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefassten Beschluss zu beziehen, orientiert sie sich nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.

Unter dem Aspekt der Z 3 (§ 252 Abs 1 StPO) sei ergänzt, dass die Erklärung, von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, an keine Förmlichkeiten gebunden ist (RIS-Justiz RS0111315). Die - nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung geäußerte (ON 57 S 41), von der Beschwerde ausdrücklich zugestandene - Mitteilung der Prozessbegleiterin der Zeugin Christina H*****, diese wolle das Verweigerungsrecht in Anspruch nehmen, genügt insoweit jedenfalls (14 Os 110/06t, 15 Os 59/07a), aus welchem Grund der Einwand, die Zeugin habe diese Erklärung nicht bereits anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung abgegebenen, auf sich beruhen kann.

Indem die Beschwerde auf drei angeblich gestellte Beweisanträge und einen angeblichen Widerspruch des Beschwerdeführers Bezug nimmt, ohne - trotz umfangreichen Aktenmaterials (die Hauptverhandlung fand an mehreren Verhandlungstagen statt, die Protokolle darüber erstrecken sich über rund 140 Aktenseiten [ON 56, 57, 72 und 89]) - die diesbezüglichen Fundstellen in den Akten anzuführen, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0124172).

Zum verlangten „aussagepsychologischen Gutachten“ sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Beweismittel grundsätzlich dem erkennenden Gericht vorbehalten ist (§ 258 Abs 2 erster Satz StPO). Die Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt insoweit nur ausnahmsweise, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlichen Zeugen in Betracht (15 Os 8/06z, SSt 2006/25; RIS-Justiz RS0120634; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls wird selbst in der Beschwerde nicht behauptet.

Der Einwand der Mängelrüge (Z 5), es fehle „jede Würdigung des Erstgerichts zu den polizeilichen Aussagen der Zeuginnen“, ist mangels Konkretisierung einer meritorischen Erledigung nicht zugänglich. In diesem Zusammenhang sei insbesonders darauf hingewiesen, dass Aktenstücke nur insoweit als Beweismittel dienen, als sie bei der Hauptverhandlung vorgelesen oder vom Vorsitzenden vorgetragen worden sind (§ 258 Abs 1 zweiter Satz StPO), und dass Protokolle über die Vernehmung von Zeugen nur unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO verlesen oder vorgeführt bzw vorgetragen (§ 252 Abs 2a StPO) werden dürfen. Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil nur dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, im dargelegten Sinn prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (13 Os 138/03, SSt 2003/93; RIS-Justiz RS0118316). Diesbezügliches Vorbringen ist der Beschwerde insoweit nicht einmal ansatzweise zu entnehmen.

Die Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. Keller zur Wirkungsweise der Substanz GBL (ON 56 S 55) und verschiedener Zeugen zum Verhalten der Christina H***** (ON 72 S 13 f und S 35) widersprechen schuld- oder subsumtionsrelevanten Feststellungen zum Schuldspruch II/3 in keiner Weise und waren demnach auch nicht erörterungsbedürftig im Sinn der Z 5 zweiter Fall. Soweit die Beschwerde aus diesen Verfahrensergebnissen an Hand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse ableitet, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die vermisste Begründung für die Feststellung, der Angeklagte habe die Duldung der geschlechtlichen Handlungen durch Christina H***** (II/3) mittels Verabreichung einer betäubenden Substanz und solcherart durch Gewalt (hiezu Philipp in WK² StGB § 201 Rz 13; Hinterhofer SbgK § 201 Rz 24) erwirkt, findet sich auf den US 16 bis 19.

Die Ausführungen zu einer - mängelfrei (Z 5 vierter Fall) gewürdigten (US 24) - Unschärfe in der Aussage der Zeugin Dalila F***** (II/1) erschöpfen sich zur Gänze in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung des Erstgerichts.

Die Behauptung, nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. Keller trete innerhalb von 15 Minuten nach Verabreichung der Substanz GBL „Bewusstlosigkeit“ ein, entfernt sich von der Aktenlage (ON 56 S 55).

Das Vorbringen, es zeige sich „besonders zu diesem Faktum der verheerende Einfluss der rechtlich verfehlten und unzulässigen Vernehmung der Zeuginnen B*****, und We***** zum 'Charakter' des Angeklagten“, lässt jeden Bezug zu den Kriterien der Nichtigkeitsgründe vermissen.

Indem die Beschwerde zum Schuldspruch II/2 einzelne beweiswürdigende Argumente der Tatrichter isoliert herausgreift und als die diesbezüglichen Feststellungen (US 10 bis 12) nicht tragend bezeichnet, unterlässt sie die - unter dem Aspekt der Mängelrüge unerlässliche (RIS-Justiz RS0116504, RS0119370) - Orientierung an der Gesamtheit der Erwägungen des Erstgerichts (US 26 bis 30).

Mit dem Bestreiten der Glaubwürdigkeit zweier Zeugen wendet sich die Rüge einmal mehr unzulässig gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Konstatierung, der Beschwerdeführer habe Helena B***** (II/2) - in seinem abgestellten, versperrten Fahrzeug sitzend - an der Schulter festgehalten und im Brust- sowie im Vaginalbereich berührt (US 11 f), ist keineswegs in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall).

Die Ableitung der Feststellung, der Beschwerdeführer habe mit Nora W***** (I/1) den Geschlechtsverkehr vorgenommen (US 14), aus deren - als glaubwürdig erachteten (§ 258 Abs 2 StPO) - Angaben, wonach sie am Morgen nach der Tat nackt neben dem Beschwerdeführer im Bett liegend erwacht sei und an ihrem Körper erkennen konnte, dass es zum Vaginalverkehr gekommen sei (US 30), widerspricht weder den Gesetzen logischen Denkens noch grundlegenden Erfahrungssätzen und ist solcherart unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116732, RS0118317).

Der Einwand des Übergehens (Z 5 zweiter Fall) eines Details der Aussage der Zeugin W***** entzieht sich schon mangels Bezeichnung der diesbezüglichen Fundstelle in den Akten einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0124172).

Welche (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) „Unterlagen der Verteidigung“ welchen Feststellungen entscheidender Tatsachen erörterungsbedürftig entgegenstehen sollen, lässt die Beschwerde ebensowenig erkennen.

Mit dem Vorbringen, GBL werde auch als „Ersatzdroge“ verwendet, und der daraus entwickelten Spekulation, Nora W***** habe „durch die Anzeige vom anstehenden Drogentest ablenken“ wollen, sowie den Überlegungen zu allfälligen DNA-Spuren auf dem Slip dieser Zeugin wird einmal mehr der Anfechtungsrahmen der Nichtigkeitsbeschwerde verlassen.

Die vermisste Begründung der Feststellungen zum Schuldspruch I/2 (US 5 bis 7) findet sich auf den US 19 bis 23.

Soweit die Rüge die darin - den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend (Z 5 vierter Fall) - gewürdigten Verfahrensergebnisse im Sinn der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers interpretiert, greift sie erneut unzulässig die Beweiswürdigung des Erstgerichts an.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wird nicht aus den Akten, also aus den in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen (§ 258 Abs 1 StPO), entwickelt und solcherart nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481), woran auch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (Art 6 Abs 2 MRK) nichts ändert (RIS-Justiz RS0102162).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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