OGH 15Os59/07a

OGH15Os59/07a17.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wiaderek als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef H***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I Nr. 130/2001 über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 11. Dezember 2006, GZ 40 Hv 6/05g-72, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef H***** der Verbrechen „der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl I Nr. 130/2001" schuldig erkannt.

Danach hat er am 3. Februar 2004 in Dornbirn Nadine K***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich der zweimaligen digitalen Vaginalpenetration genötigt und einer einmaligen digitalen Analpenetration zu nötigen versucht, indem er sie festhielt, sie an ihren Brüsten wiederholt intensiv betastete, gewaltsam zweimal ihre Hand an seinen erigierten Penis presste und sie so festhielt, dass sie sich nicht von ihm entfernen konnte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Schuldspruch gerichtete, auf Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt - der Stellungnahme der Generalprokuratur zuwider - ihr Ziel. Den anlässlich der Hauptverhandlung vom 28. Juli 2005 gestellten Beweisantrag auf „Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Hundekunde" zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen, von Nadine K***** behaupteten Handlungen nicht begangen hat, wozu vorgebracht wurde, dass die Rottweiler, die im Aufenthaltsraum anwesend gewesen seien, angesichts ihres Charakters „selbst im Schlaf sofort aufspringen und reagieren" würden, „wenn der Angeklagte auch nur jemanden angreift oder von jemandem angegriffen wird", und der Sachverständige auch „zum fiktiven Verhalten der Hunde" Aussagen machen könne (S 509, 511/I), wurde am 9. Oktober 2006 wiederholt (S 105/II) sowie am 11. Dezember 2006 (S 128/II), gestützt auf ein nicht zum Akt genommenes Privatgutachten von DI Karl K*****, überdies dahin ergänzt, dass der Sachverständige in diesem Gutachten zum Ergebnis gelangt sei, es sei ausgeschlossen, dass sich der Vorfall im Reiterstüble so wie von der Zeugin geschildert zugetragen habe, „da bei einem derartigen Vorfall die Hunde sich eingemischt (hätten) und nicht unter dem Tisch geblieben wären". Hiezu wurde auch die zeugenschaftliche Einvernahme von DI K***** begehrt.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider durften die Tatrichter jedoch beide Anträge ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen, weil auf Grund der Einmaligkeit der Situation weder aus einem späteren Verhalten der Hunde noch aus der ihnen grundsätzlich eigenen Wesensart ein verlässlicher Rückschluss auf deren Reaktion auf das Tatgeschehen gezogen werden könnte. Schon aus eben diesem Grund waren auch die Aussagen der Zeuginnen Anita V***** und Margit H***** zu dem von ihnen angenommenen Verhalten der Tiere im Falle des vom Tatopfer geschilderten Übergriffs nicht erörterungsbedürftig, sodass die geltend gemachte Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht vorliegt. Ferner rügt der Nichtigkeitswerber die Abweisung seiner Anträge auf Verlesung des (zuvor beigeschafften) „Aktes 3 St 13/01x (bzw 28 Vr 20/01 und 69/01) des Landesgerichtes Feldkirch" und Vernehmung des Werner N***** zum Beweis für die Lügenhaftigkeit der Nadine K*****, weil sie diesen in durchaus vergleichbarer Weise falsch beschuldigt habe, „sie im Ferienlager A***** sexuell bedroht und bedrängt zu haben" (S 105/I). Entgegen dem Beschwerdevorbringen kann jedoch aus einer Verfahrenseinstellung weder die Haltlosigkeit der zu Grunde liegenden Anzeige oder gar deren verleumderische Erstattung und damit eine habituelle, die Aussagen im vorliegenden Strafverfahren erschütternde Falschbezichtigungstendenz zwingend erschlossen noch ein bedeutendes Substrat für die Subsumtion oder die Wahl des Strafsatzes im gegenständlichen Verfahren abgeleitet werden (15 Os 46/07i, vgl auch RIS-Justiz RS0120109). Die im Rechtsmittel nachgetragenen Ausführungen zum Inhalt dieses Aktes sind hingegen unbeachtlich, weil die Prüfung der Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu erfolgen hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Auch das Begehren auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Schilderungen der Nadine K***** nicht der Wahrheit entsprechen können, da es unmöglich sei, dass der Angeklagte bei ihr unter den von ihr geschilderten Umständen und gegen ihren Willen eine Vaginalpenetration durchführte, weil dies in Sitzposition mit eng anliegenden Jeans unmöglich ist, ebenfalls in stehender Position, wie dies die Zeugin schilderte, und auch die Ergebnisse der gynäkologischen Untersuchung vom 11. Februar 2004 mit der Behauptung der Zeugin Nadine K***** nicht in Einklang gebracht werden können, da anlässlich dieser Untersuchung keinerlei Verletzungen festgestellt oder Beschwerden erhoben wurden und das Hymen intakt war, sodass ausgeschlossen sei, dass der Angeklagte mit dem Finger in ihre Scheide gefahren sei (S 104 f), verfiel zu Recht der Abweisung. Dass auch das wiederholte Einführen eines Fingers in die Scheide notwendigerweise eine Verletzung des Hymens zur Folge haben müsse, entspricht nämlich durchaus nicht allgemeiner Lebenserfahrung (vgl 15 Os 39/93, 14 Os 81/93, 12 Os 137/94). Der weitere durch die begehrte Beweisaufnahme angestrebte Nachweis, dass die vaginale Digitalpenetration auf die vom Opfer geschilderte Weise nicht möglich gewesen sei, ist mangels Kenntnis der genauen Beschaffenheit der von Nadine K***** getragenen Kleidung und der näheren Modalitäten des Geschehens, wie Heftigkeit und Intensität der angewendeten Gewalt, einer generellen Beurteilung nicht zugänglich und daher von vornherein aussichtslos.

Das Begehren auf Vernehmung von Karin L*****, die laut dem im Akt erliegenden Ambulanzbericht vom 11. Februar 2004 Nadine K***** gynäkologisch untersuchte, zum Beweis dafür, dass ihr gegenüber die Zeugin angab, das Ganze sei zwei Mal im Stehen passiert in einem Abstand von einer Minute, dass keine Verletzung festgestellt werden konnte und das Hymen intakt war (S 128/II), lässt jegliche Begründung vermissen, welche über die in dem von ihr verfassten Schriftstück enthaltene Information hinausgehenden Erkenntnisse eine Befragung der Genannten erwarten lasse und aus welchen besonderen Gründen sich diese an die fast drei Jahre zurückliegende Untersuchung des Tatopfers erinnern sollte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 353). Weiters beantragte der Verteidiger die Ladung und Vernehmung der Zeugin Nadine K***** zum Beweis dafür, dass der Angeklagte sie weder zu vergewaltigen versucht noch sexuell genötigt hat. Ausgeführt wurde, dass diese Belastungszeugin insbesondere deshalb noch zu vernehmen ist, da im Rahmen ihrer kontradiktorischen Einvernahme eine umfassende Befragung nicht möglich war, weil Fragen der Verteidigung abgewiesen und dadurch der Angeklagte in seinen Verteidigungsrechten beschnitten wurde (S 104/II). Der Verfahrensrüge zuwider durfte das Erstgericht angesichts der Erklärung der Privatbeteiligtenvertreterin, dass die Mutter der Nadine K***** ihr neuerlich mitgeteilt habe, dass diese nicht mehr aussagen wolle (S 105 f/II), durchaus davon ausgehen, dass sie ihr Entschlagungsrecht in Anspruch genommen hat. Die begehrte Beweisaufnahme ist überdies auch deshalb zu Recht unterblieben, weil im Antrag nicht dargelegt wurde, weshalb sie das behauptete Ergebnis erwarten lasse, insbesondere durch die Beantwortung welcher - die Anschuldigungspunkte betreffender - Fragen der gegen den Angeklagten bestehende, auf den belastenden Angaben eben dieser Zeugin beruhende Tatvorwurf entkräftet werden sollte. Das in der Beschwerdeschrift nachgetragene Vorbringen hatten aus den bereits angeführten Gründen auch hier außer Betracht zu bleiben.

Der eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) behauptenden Mängelrüge zuwider haben die Tatrichter nicht nur Abweichungen in den Angaben der Nadine K***** hinsichtlich der Anzahl der Übergriffe (US 9) und zu Zahlen und Daten im Allgemeinen sondern auch das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Reinhard H***** berücksichtigt, der den von Dr. Karin L***** verfassten Ambulanzbericht vom 11. Februar 2004 seiner Expertise ebenfalls zu Grunde legte (S 9 bis 13/II) und unter anderem zum Ergebnis gelangte, dass Nadine K***** Probleme in der genauen Beschreibung von Vorkommnissen habe (US 11 iVm S 37/II). Sie waren daher nicht verhalten, sich gesondert mit der Befundaufnahme der untersuchenden Ärztin auseinander zu setzen, die wohl in der zeitlichen Abfolge und hinsichtlich ihrer Körperhaltung von den detaillierten Schilderungen anlässlich der sicherheitsbehördlichen und gerichtlichen Vernehmungen der Zeugin K***** abweichen, nicht jedoch im entscheidungswesentlichen Umstand einer zweimaligen Vaginalpenetration. Weitere behauptete Widersprüche in Randbereichen des Tatherganges hat das Schöffengericht der Beschwerde zuwider ohnedies in seine Überlegungen miteinbezogen (US 9, 11). Ob Nadine K***** (offenbar gemeint: aus anderen Gründen) „am Vorfallstag schlecht drauf und traurig gewesen sei" und ihr ihre Mutter in der Folge zur Strafe verboten hat, zum Reitstall H***** zu gehen, betrifft keinen erheblichen Umstand, weil das Erstgericht weder in den Angaben der Zeugin Mirjam E***** über den Zustand des Tatopfers nach ihrer Rückkehr vom Ausritt noch in der Aussage der Zeugin Manuela C***** zu den Ausflüchten der Nadine K*****, um nicht zum Reitstall gehen zu müssen (US 12), eine notwendige Bedingung für die Feststellung der dem Angeklagten zur Last liegenden Tathandlungen erblickte Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410).

Bleibt anzumerken, dass der Angeklagte laut Urteilsfeststellungen nach der ersten Vaginalpenetration im Aufenthaltsraum von seinem Opfer abgelassen und diesen Richtung Stall verlassen hatte. Nachdem Nadine K***** kurze Zeit am Tisch sitzen geblieben war und danach den Stall aufgekehrt hatte, kam es dort zum zweiten Übergriff, im Zuge dessen der Angeklagte neuerlich mit dem Finger in ihre Scheide eindrang und sodann versuchte, deren After zu penetrieren (US 6 f). Schon angesichts der aus dem äußeren Tathergang resultierenden willensmäßigen Selbstständigkeit der Angriffe begegnet die Beurteilung der beiden vollendeten Digitalpenetrationen als eigenständige Tathandlungen nach § 201 Abs 2 StGB aF keinen eine Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO erforderlich machenden Bedenken, weil beim Verbrechen der Vergewaltigung auch bei in kurzer zeitlicher Abfolge gegen dasselbe Opfer gerichteten mehrfachen Angriffen - im hier vorliegenden Fall getrennter Handlungskomplexe - Deliktswiederholung (echte Realkonkurrenz) möglich ist (RIS-Justiz RS0114523, vgl auch 14 Os 123/03 [zu § 206 Abs 1 StGB]). Damit hat sich jedoch die Einstufung der offenbar im Zuge eines einheitlichen Tatgeschehens erfolgten versuchten Analpenetration als eigenständige Tathandlung (vgl 14 Os 165/03) ebenfalls nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt, weil auch bei Beurteilung des zweiten Übergriffs als ein Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung (vgl 15 Os 175/03) das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen als erschwerend erhalten bliebe.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO). Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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