OGH 15Os46/07i

OGH15Os46/07i8.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. August 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Xhavit O***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. Dezember 2006, GZ 22 HV 170/06a-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche umfassenden Urteil wurde Xhavit O***** - abweichend von der schriftlichen Anklage - des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 21. Juni 2006 in Graz an einer unmündigen und mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich seinem am 7. Juni 2003 geborenen Sohn Nico O***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er dessen entblößten Penis mehrfach küsste.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Schuldspruch gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 8 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Unter dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seiner Anträge auf Beischaffung der Akten 4 Hv 163/02h sowie 67 BAZ 1365/06m von nicht näher bezeichneten Gerichten bzw Staatsanwaltschaften zum Beweis dafür, dass Ursula O***** bereits früher nahe Angehörige haltlos angezeigt hat (S 268 f), sowie auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychologie und Kinderpsychologie zum Nachweis einer fehlenden Aussagetüchtigkeit des Nico O***** und des Vorliegens einer infantilen Amnesie (S 265 f).

Durch die Abweisung der genannten Beweisanträge wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt. Zutreffend verwiesen die Tatrichter darauf, dass das Beweisthema zum Antrag auf Aktenbeischaffung ohne Bedeutung für das gegenständliche Verfahren ist. Entgegen dem Beschwerdevorbringen kann aus einer Verfahrenseinstellung nämlich weder die Haltlosigkeit der zu Grunde liegenden Anzeige oder gar deren verleumderische Erstattung zwingend erschlossen, noch ein bedeutendes Substrat für die Subsumtion oder die Wahl des Strafsatzes im gegenständlichen Strafverfahren abgeleitet werden.

Die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach der Psychologie und Kinderpsychologie zur Beurteilung der Aussagetüchtigkeit des minderjährigen Nico O***** und zum Vorliegen einer behaupteten infantilen Amnesie konnte ohne Nachteil für den Beschwerdeführer unterbleiben, weil die Angaben des Kindes zur Begründung der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Feststellungen nicht verwertet wurden (US 11).

Im Übrigen wendet sich das rein spekulative Vorbringen, die Zeugin Ursula O***** hätte den Beschwerdeführer wegen nicht erbrachter Geldzuwendungen bzw nicht erfolgter Schuldenrückzahlungen verleumdet, wofür die erst fünf Tage nach der Tat erfolgte Anzeigeerstattung und die Aussage des Zeugen Faton O***** sprächen - im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässig - gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die in der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) geübte Kritik an den Ausführungen des Erstgerichtes zur Frage, warum der Angeklagte seiner geschiedenen Gattin von der Tathandlung erzählt habe, und zu Verhaltensänderungen und Auffälligkeiten des Tatopfers betrifft jeweils keine entscheidende Tatsache. Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Erstgericht daher auch nicht verhalten, sich mit Zeugenaussagen zum psychischen Zustand von Nico O***** auseinanderzusetzen.

Soweit es der Beschwerdeführer als nicht nachvollziehbar erachtet, dass Feststellungen zu einem Ende 2005 gesetzten sexualbezogenen Übergriff auf Katrin H***** getroffen wurden, ist er auf die Begründungspflicht auch rechtskräftiger Teilfreisprüche zu verweisen. Die Tatsachenrüge (Z 5a) trachtet, teils unter Wiederholung des im Rahmen der Verfahrens- und Mängelrüge erstatteten, durchwegs nichts Entscheidungswesentliches betreffenden Vorbringens zu Verhaltensänderungen des Opfers und zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung, teils unter spekulativen Erwägungen zu den Folgen sexueller Übergriffe auf das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn, die - entgegen dem Beschwerdevorbringen begründete (US 10) - Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin Ursula O***** nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung zu bekämpfen. Mit diesem Vorbringen gelingt es ihr jedoch nicht, aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erzeugen.

Als verfehlt erweist sich das unter § 281 Abs 1 Z 8 StPO erstattete Vorbringen, der Anklagevorwurf, Xhavit O***** hätte bis längstens 21. Juni 2006 in Graz mit seinem am 7. Juni 2003 geborenen Sohn Nico O***** und demgemäß auch mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er mit dem Kind wechselseitigen Oralverkehr durchführte, was ihm zu Punkt A./ der Anklage als Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und zu B./1./ der Anklage als Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB angelastet worden war, wäre durch die Verurteilung (bloß) wegen des durch mehrfaches Küssen des entblößten Penis des Knabens verwirklichten Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB überschritten. Das Gericht ist nämlich an die Auffassung des Anklägers über den konkreten Ablauf jeder einzelnen Phase eines von ihm verfolgten Vorganges ebenso wenig gebunden wie an die rechtliche Beurteilung. Indem das Erstgericht für die Unterstellung der gegenständlich inkriminierten Tathandlungen unter § 206 Abs 1 StGB erforderliche Feststellungen über die Durchführung von Oralverkehr, sohin einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung nicht zu treffen vermochte, jedoch mehrfache Küsse auf den entblößten Penis des Kindes als erwiesen ansah und damit von - mit geringerer Strafe bedrohten - geschlechtlichen Handlungen iSd § 207 Abs 1 StGB ausging, erfolgte der Schuldspruch nicht wegen einer gegenüber der Anklage anderen Tat im materiellen Sinn. Zur Darstellung des Nichtigkeitsgrundes der Z 8 hätte es bei der vorliegenden, zu Gunsten des Beschwerdeführers erfolgten Abweichung zwischen den dem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und den dem Anklagetenor (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) zu Grunde liegenden, einander weiterhin überdeckenden Tatbildern nach gefestigter Judikatur des Obersten Gerichtshofes (RIS-Justiz RS0113755, 14 Os 84/06v) eines weiteren Vorbringens bedurft, das plausibel gemacht hätte, dass der den Vorwurf des Küssens des entblößten Penis seines Sohnes leugnende und damit die Aussage der Ursula O***** (S 251 f) in Abrede stellende Beschwerdeführer (S 79 f, 247) mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt eine andere Verteidigung gewählt hätte. In der Rechtsrüge (Z 9 lit a) wird lediglich begründungslos unterstellt, nicht jedoch aus dem Gesetz abgeleitet, weshalb das mehrfache Küssen des entblößten Penis, sohin einer zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen, dem männlichen Körper spezifisch eigentümlichen Körperpartie, keine geschlechtliche Handlung sein sollte.

Soweit der Beschwerdeführer mangelnde Feststellungen zur subjektiven Tatseite vermisst, übergeht er die Konstatierung, wonach er wusste, dass er durch das Küssen des entblößten Penis seines Sohnes geschlechtliche Handlung an einer mit ihm in absteigender Linie verwandten unmündigen Person vornimmt und dies auch wollte (US 5). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung der Verteidigung bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO). Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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