OGH 10Ob31/13a

OGH10Ob31/13a23.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen M*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Mag. Martin Edelmann, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 23. Jänner 2013, GZ 21 R 288/12w‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0100OB00031.13A.0723.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Ob und in welchem Umfang die Bestellung eines Sachwalters zu erfolgen hat, ist stets eine Frage des Einzelfalls, die aus den dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Grundlagen zu lösen und nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen ist (RIS‑Justiz RS0106166). Regelmäßig liegt daher eine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage nicht vor. Einen groben Auslegungsfehler, der im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (vgl RIS‑Justiz RS0044088), zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf.

2. Die Vorinstanzen legten ihren Entscheidungen zugrunde, dass die Betroffene an einem Frontalhirnsyndrom leidet, das zu einer verminderten Kritikfähigkeit ‑ jedenfalls im Umgang mit größeren Geldsummen ‑ führt und deutliche Hinweise auf Spiel‑ und Kaufsucht bestehen. Die Betroffene ist deshalb nicht in der Lage, die Verwaltung ihrer Einkünfte, ihres Vermögens und ihrer Verbindlichkeiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich zu besorgen; weiters bedarf sie der Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen. Die finanzielle Gebarung der Betroffenen ‑ insbesondere der hohe Schuldenstand ‑ ist demnach nicht allein durch eine gewisse Sorglosigkeit bzw eine Lebensphilosophie bedingt, sondern durch psychische Erkrankungen (3 Ob 55/13d). Die Entscheidungen der Vorinstanzen weichen somit nicht davon ab, dass eine Sachwalterbestellung wegen Verschwendung ‑ anders als nach früherer Rechtslage ‑ nur insoweit in Betracht kommt, als sie Symptom einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung ist (RIS‑Justiz RS0048988). Auch eine krankhafte Spielleidenschaft kann unter diesen Voraussetzungen zur Bestellung eines Sachwalters führen (5 Ob 112/04p).

3. Soweit sich die Revisionsrekurswerberin auf die Anwendbarkeit der „Subsidiaritätsklausel“ bzw darauf beruft, dass die Bestellung eines Sachwalters insoweit unzulässig ist, als ihre Angelegenheiten von der „Schuldnerberatung“ besorgt werden könnten (§ 268 Abs 2 Satz 1 ABGB), ist auf die Ausführungen des Rekursgerichts zu verweisen, nach der die Revisionsrekurswerberin zu einem Zeitpunkt, als sie bereits in Kontakt mit der „Schuldnerberatung“ stand, ihr Fahrzeug verpfändete, ohne dass dies mit ihrem Berater abgesprochen war. Im Hinblick auf gerade diese Vorgangsweise der Betroffenen regten die Ärzte der Abteilung für Psychiatrie des Krankenhauses V***** (wo sich die Klägerin stationär aufgehalten hatte), die Bestellung eines Sachwalters für finanzielle Angelegenheiten an (ON 1). Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die Revisionsrekurswerberin nicht darlegt, wie durch eine Schuldnerberatung nicht nur die Schuldenabtragung unterstützt, sondern überdies die Gefahr des Eingehens weiterer Schulden verhindert würde. Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass die Rechtsmittelwerberin selbst in ihrem Rekurs (ON 21, s unten) eine Schuldnerberatung ausdrücklich abgelehnt hat.

4. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

4.1. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG wirkt nicht absolut, sondern ist nur wahrzunehmen, wenn er Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (§ 57 Z 4 AußStrG ‑ RIS‑Justiz RS0120213 [T17]). Die Revisionsrekurswerberin macht aber lediglich geltend, sie habe wegen ihrer Schwerhörigkeit dem erstinstanzlichen Verfahren nicht folgen können, ohne darzulegen, welches konkrete (zusätzliche) Vorbringen sie erstattet beziehungsweise welche konkreten (weiteren) Beweismittel sie angeboten hätte.

4.2. Im Verfahren Außerstreitsachen ist jede Eingabe, auch wenn sie keine Anfechtungsgründe und keine Ausführungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, keine Beweismittel und Anträge enthält, als Rekurs zu behandeln, sofern die Eingabe nur als Rekurs zu erkennen ist (RIS‑Justiz RS0006991). Mit dieser Rechtsprechung steht die Rechtsansicht des Rekursgerichts in Einklang, die als „Einspruch“ bezeichnete Eingabe gegen den Beschluss des Erstgerichts sei als Rekurs zu werten, ergibt sich doch daraus eindeutig, dass die Betroffene mit der Bestellung eines Sachwalters nicht einverstanden ist und sie ihre Selbständigkeit erhalten will. Die Behandlung dieser Eingabe als Rekurs begründet daher keinen Mangel des Rekursverfahrens.

5. Eine Aktenwidrigkeit würde voraussetzen, dass der Widerspruch zwischen den Feststellungen und dem Akteninhalt nicht Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist. Der Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit kann nicht als Ersatz für eine im Revisionsrekursverfahren unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RIS‑Justiz RS0117019).

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