OGH 3Ob55/13d

OGH3Ob55/13d16.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Prückner als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Dr. A*****, vertreten durch Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Dr. A***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 8. Jänner 2013, GZ 43 R 681/12h‑51, womit dem Rekurs des Dr. A***** gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 21. November 2012, GZ 30 P 83/12f‑44, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00055.13D.0416.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Begründung

Am 1. Juli 2012 langte beim Erstgericht die Anregung einer im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien beschäftigten Diplomsozialarbeiterin ein, über den nunmehr von der Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens betroffenen, 1955 geborenen Dr. A***** (in der Folge aus Vereinfachungsgründen immer: Betroffener) einen Sachwalter zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten sowie zur Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen und zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten zu bestellen.

In der Sachwalterschaftsanregung verwies die Diplomsozialarbeiterin darauf, dass der Betroffene derzeit in der psychiatrischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses untergebracht und psychisch krank sei, „weil: Biporale Erkrankung manisch‑depressiv.“

Ein am 3. August 2012 beim Erstgericht eingelangter Clearingbericht des Vertretungsnetzes Sachwalterschaft gibt ein Telefonat der zuständigen Mitarbeiterin mit der Gattin des Betroffenen wieder, die darauf verwies, dass der Betroffene seit vielen Jahren an einer bipolaren Erkrankung leide. Er sei Rechtsanwalt und Notar gewesen und 1993 in Konkurs gegangen. Er beziehe eine Pension von der Rechtsanwaltskammer. In seinen manischen Phasen habe er immer wieder viel Geld ausgegeben. Er habe verschiedene Sexualpartnerinnen gehabt, die in finanziell ausnützten. So habe er für eine näher bezeichnete Gastwirtin einen Kredit über 17.000 EUR aufgenommen, seine Lebensversicherung aufgelöst und ihr geschenkt. Die Ehegattin stehe einer Sachwalterschaft ambivalent gegenüber. In letzter Zeit sei der Betroffene wieder sehr lieb zu ihr gewesen und habe ihr signalisiert, dass er wieder zu ihr zurückkommen möchte. Er habe ihr eine Zeichnungsberechtigung auf seinen Konten angeboten. Es könne aber auch sein, dass die Gastwirtin ihn sich ab dem Moment, wo er aus dem Spital entlassen werde, erneut „schnappe“ und dann halte er sich wieder an nichts.

Der Clearingbericht gibt ferner über ein Gespräch mit dem Betroffenen Auskunft, wonach seine Gattin ihm in finanziellen Angelegenheiten in Zukunft helfen werde. Bei der von seiner Gattin genannten Gastwirtin sei er angestellt gewesen und habe dafür ein Gehalt bekommen. Er habe mit ihr auch eine Lebensgemeinschaft gehabt.

Der Clearingbericht nimmt ferner Bezug auf ein Gespräch mit einem Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus, der zwar angab, dass das Urteilsvermögen des Betroffenen bei seiner Aufnahme sehr eingeschränkt gewesen sei; derzeit sei er jedoch in der Lage, seine Finanzen zu ordnen. Die Medikamente böten nur einen gewissen Schutz, es gebe trotzdem ein Risiko. Im Übrigen wolle sich der Assistenzarzt „nicht soweit hinauslehnen“; die Mitarbeiterin solle den Oberarzt befragen (der jedoch nicht im Haus war).

Die Diplomsozialarbeiterin, die die Sachwalterschaft anregte, gab gegenüber der Mitarbeiterin des Vertretungsnetzes an, sie habe den Eindruck gehabt, dass der Betroffene einige Dinge beruflich etwas grenzwertig angegangen sei; sie denke, dass der Betroffene dringend einen Sachwalter für finanzielle Angelegenheiten brauche.

Anlässlich eines Gesprächs des Erstgerichts mit dem Betroffenen und seiner Gattin am 14. August 2012 wirkte der Betroffene nach dem Inhalt des vom Erstgericht angefertigten Aktenvermerks klar. Er brachte zum Ausdruck, keine Sachwalterschaft zu benötigen.

Im vorletzten Absatz dieses Vermerks hielt das Erstgericht fest:

„Dringende Angelegenheiten gibt es daher momentan nicht, Dr. P***** (ein Notar und Cousin des Betroffenen) wird vorerst nur zum Verfahrenssachwalter bestellt. Der Betroffene ist mit der Vorgehensweise einverstanden. Es ist nicht auszuschließen, dass der Betroffene keinen hinreichenden Überblick über seine finanziellen Angelegenheiten hat und er dadurch Nachteile erleiden könnte. Das SW‑Verfahren ist daher fortzusetzen.“

Mit Beschluss vom 14. August 2012 bestellte das Erstgericht den Cousin des Betroffenen zum Verfahrenssachwalter.

Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Betroffenen erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 17. Oktober 2012 (ON 29) Folge und hob den Beschluss des Erstgerichts zur Verfahrensergänzung auf.

Mit einer am 6. November 2012 beim Erstgericht eingelangten Eingabe stellte der Betroffene, der darauf verwies, sich von seiner Gattin getrennt zu haben, den Antrag auf sofortige Einstellung des Verfahrens. Er schloss ein Schreiben eines Facharztes für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie des SMZ Ost vom 30. Oktober 2012 an, aus dem hervorgeht, dass der Betroffene an einer mittelgradig depressiven Episode bei bipolar affektiver Störung leidet, wobei unter Berücksichtigung der Lebenssituation des Patienten eine Besachwalterung aktuell kontraindiziert erscheine.

Bei der vom Erstgericht für 7. November 2012 anberaumten Erstanhörung (ON 39) erschien der Betroffene persönlich mit seinem selbstgewählten Vertreter, Rechtsanwalt Dr. Bereis.

Bei dieser Erstanhörung berichtete der Betroffene über seine persönlichen Beziehungen zu verschiedenen Frauen, wobei er darauf verwies, dass er sich im Herbst 2012 mit seiner Frau, die selbst seit fast 40 Jahren an einer schweren Psychose mit religiösen Wahnvorstellungen leide, nicht mehr verstanden habe. Er sei daher eine Lebensgemeinschaft eingegangen, die geendet habe, weil er eine Bulgarin kennengelernt und sich in sie verliebt habe. Von seiner Frau sei er unter Druck gesetzt worden. Nur um seine Ruhe zu haben, habe er ihr auf seinem Konto eine Zeichnungsberechtigung eingeräumt. Er beziehe eine Pension von der Rechtsanwaltskammer in Höhe von 1.700 EUR monatlich und eine weitere Bruttopension von 240 EUR sowie derzeit noch Krankengeld in Höhe von 600 EUR monatlich. Seiner derzeitigen Lebensgefährtin gebe er 1.300 EUR monatlich; er lebe in ihrem Haus. Sie komme für die Lebenshaltungskosten auf.

Das Erstgericht wies den Antrag des Betroffenen auf Einstellung des Sachwalterschaftsverfahrens ab, sprach aus, dass das Verfahren fortgesetzt werde und bestellte eine Sachverständige mit dem Auftrag, binnen sechs Wochen schriftlich Befund und Gutachten darüber zu erstatten, ob und in welchem Umfang der Betroffene an einer psychischen Krankheit leide oder geistig behindert sei und dadurch nicht in der Lage sei, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten selbständig ohne Gefahr eines Nachteils für sich wahrzunehmen.

Das Erstgericht traf keine Feststellungen, erachtete aber, dass begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters vorlägen. Die Erklärungen des Betroffenen anlässlich seiner Erstanhörung sowie in seinen gerichtlichen Eingaben, insbesondere zu seinen finanziellen Angelegenheiten sowie zu den Vorkommnissen in jüngster Vergangenheit, seien teils unschlüssig und verworren. Aufgrund dieser persönlichen Wahrnehmungen und der „unmittelbaren Krankengeschichte“ bestünden daher Zweifel, ob der Betroffene in der Lage sei, seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Infolge der wirksamen Vollmachtserteilung an einen Rechtsvertreter bedürfe es keiner Bestellung eines Verfahrenssachwalters.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Im Hinblick darauf, dass auch nach der Erstanhörung Zweifel am Gesundheitszustand des Betroffenen bestünden, könne eine Einstellung des Verfahrens vor Gutachtenserstattung nicht verantwortet werden.

Mit am 10. Jänner 2013 eingelangter Telefax‑Eingabe informierte der Betroffene das Erstgericht, dass er nunmehr nach Bulgarien emigriert sei und daher die Einstellung des Sachwalterschaftsverfahrens auch deshalb beantrage, weil er keinen Wohnsitz mehr in Österreich habe und daher in Sachwalterschaftssachen nicht mehr der österreichischen Jurisdiktion unterliege.

Der bestätigende Beschluss des Rekursgerichts wurde dem Rechtsvertreter des Betroffenen am 31. Jänner 2013 zugestellt. Eine Zustellung an den Betroffenen selbst wurde nicht verfügt.

Am 15. Februar 2013 langte beim Erstgericht per Telefax ein Revisionsrekurs des Betroffenen ein, der nach einem vom Erstgericht erteilten Verbesserungsauftrag vom Rechtsvertreter des Betroffenen innerhalb der gesetzten Verbesserungsfrist eigenhändig unterfertigt wieder vorgelegt wurde.

Der Revisionsrekurs gegen die insgesamt, somit auch in Ansehung des die Sachverständigenbestellung bestätigenden Teils, anfechtbare Rekursentscheidung (1 Ob 125/07z) ist zulässig, weil das Rekursgericht von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Er ist im Sinne seines Eventualantrags auf Aufhebung auch berechtigt.

In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs verweist der Betroffene darauf, dass das Rekursgericht missachtet habe, dass nach ständiger Rechtsprechung die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend sei. Es müssten konkrete und begründete Anhaltspunkte bestehen, die für eine Sachwalterbestellung sprächen. Im Übrigen liege eine erhebliche Rechtsfrage darin begründet, ob die Aufgabe eines Wohnsitzes in Österreich und die Übersiedlung nach Bulgarien während des Verfahrens dazu führe, dass die internationale Zuständigkeit Österreichs für das Sachwalterbestellungsverfahren nicht mehr gegeben sei.

Dazu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Rechtzeitigkeit des Revisionsrekurses

1.1 Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene offenbar unfähig (1 Ob 90/06a; 3 Ob 175/12z) war, den Zweck der seinem Rechtsvertreter erteilten Vollmacht zu erkennen, bestehen nicht. Daher hatte auch eine Zustellung der Rekursentscheidung an den Rechtsvertreter zu erfolgen.

1.2 Allerdings regelt § 127 AußStrG, dass im Bestellungsverfahren der betroffenen Person und ihrem Vertreter ein Rekursrecht zusteht. Diese Rekurslegitimation bezieht sich auf sämtliche Beschlüsse im Bestellungsverfahren, also nicht nur den Einstellungs‑ oder Bestellungsbeschluss, sondern auch auf den Verfahrenseinleitungsbeschluss und damit auch auf den hier gefassten Beschluss, mit welchem der Antrag des Betroffenen auf Einstellung des Verfahrens abgewiesen und die Fortsetzung des Verfahrens beschlossen wurde ( Zankl/Mondl , AußStrG 2 § 127 Rz 1).

1.3 Das aus § 127 AußStrG abgeleitete eigenständige Rekursrecht der betroffenen Person führt dazu, dass bei der Rekursentscheidung alle Rekurse, also auch Rekurse des Betroffenen, die mit den Rekursanträgen ihres gesetzlichen oder selbst gewählten Vertreters nicht übereinstimmen, inhaltlich zu berücksichtigen sind (3 Ob 213/10k; Zankl/Mondl , AußStrG 2 § 127 Rz 3).

1.4 Steht aber dem Betroffenen im Bestellungsverfahren ganz allgemein ein Rekursrecht zu, das unabhängig von einer allfälligen Rekurserhebung des gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters ausgeübt werden kann, müssen sämtliche Beschlüsse im Bestellungsverfahren ‑ somit nicht nur der in § 122 Abs 4 AußStrG genannte Einstellungsbeschluss und der von § 124 Abs 1 AußStrG erfasste Bestellungsbeschluss ‑ dem Betroffenen, soweit er nicht offenkundig unfähig ist, den Zustellvorgang oder den Inhalt der Entscheidung zu begreifen, zugestellt werden. Nur dann nämlich kann er das ihm selbständig eingeräumte Rekursrecht ausüben.

1.5 Daraus folgt für den Anlassfall, dass die Unterlassung der Zustellung der Rekursentscheidung an den Betroffenen dazu führte, dass die Revisionsrekursfrist für ihn nicht ausgelöst wurde. Aus den dargelegten Gründen ersetzte die Zustellung an den Vertreter die Zustellung an ihn nicht.

Der vom Revisionsrekurswerber selbst erhobene Revisionsrekurs ist demnach rechtzeitig und wurde auch innerhalb der Verbesserungsfrist durch eigenhändige Unterschrift des Vertreters verbessert, womit das ursprüngliche Formgebrechen der fehlenden Unterschrift auf der Telefax‑Eingabe (RIS‑Justiz RS0035753; 1 Ob 41/99g) beseitigt wurde.

1.6 Ob es des Verbesserungsauftrags auch insoweit bedurfte, als das Erstgericht von der Notwendigkeit der Unterfertigung des Revisionsrekurses durch den Rechtsvertreter des Betroffenen ausging ‑ welche Frage davon abhängt, ob der Betroffene, der früher Rechtsanwalt war, freiwillig auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtete (RIS‑Justiz RS0035758) ‑, bedarf hier deshalb keiner Prüfung, weil innerhalb der Verbesserungsfrist der außerordentliche Revisionsrekurs ohnedies verbessert durch die Unterschrift des Rechtsvertreters des Betroffenen vorgelegt wurde.

2. Zum Einwand der fehlenden internationalen Zuständigkeit

Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung ist die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts auch für den Fall gegeben, dass die Behauptungen des Betroffenen, er sei während des Verfahrens nach Bulgarien übersiedelt, zutreffen:

2.1 Das am 1. Jänner 2009 in Kraft getretene Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) wurde bisher weder von Österreich noch von Bulgarien ratifiziert.

2.2 Gemäß dem somit allein maßgeblichen § 110 Abs 1 Z 1 JN ist für Sachwalterschaftssachen die inländische Gerichtsbarkeit (internationale Zuständigkeit) jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene österreichischer Staatsbürger ist. Nur unter den Voraussetzungen des § 110 Abs 2 JN besteht die Möglichkeit, dass das Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens absehen kann, wenn der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Vermögen im Ausland hat. Dabei darf das Gericht nur dann im Rahmen eines gebundenen Ermessens nach § 110 Abs 2 JN vorgehen, wenn gesichert ist, dass die Rechte und Interessen des Betroffenen durch die Behörden des ausländischen Staats ausreichend gewahrt sind ( Mayr in Rechberger , ZPO 3 § 110 JN Rz 3 mwN).

2.3 Selbst wenn aber die Voraussetzungen des § 110 Abs 2 JN vorlägen ‑ was hier nicht feststeht ‑ beendet dieser Umstand nicht die internationale Zuständigkeit; die österreichischen Gerichte sind vielmehr nur ermächtigt, von ihrer Jurisdiktionsbefugnis so weit und solange keinen Gebrauch zu machen, als durch ausländische Maßnahmen das Wohl des Betroffenen ausreichend gewahrt ist ( Mayr in Rechberger , ZPO 3 § 110 JN Rz 3 f mwN).

3. Zu den Voraussetzungen für die Einleitung und Fortsetzung des Verfahrens

3.1 Das Verfahren zur Prüfung, ob für eine Person ein Sachwalter zu bestellen ist, darf nur eingeleitet werden, wenn begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen (3 Ob 39/09w; 2 Ob 21/11v; 7 Ob 166/11d). Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend; die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein; sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen.

Fehlen solche Anhaltspunkte, darf das Verfahren nicht eingeleitet werden (3 Ob 39/09w; 1 Ob 110/09x; RIS‑Justiz RS0008526). Eine bloß potentielle künftige Gefährdung reicht ebenso wenig, wie das Interesse Dritter an einer Sachwalterbestellung (3 Ob 94/07f; 2 Ob 21/11v).

Das mit der Anregung, ein Sachwalterbestellungsverfahren einzuleiten, befasste Gericht hat dabei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Hinweis konkrete und begründete Anhaltspunkte enthält. Dabei ist auch zu beachten, von wem der Hinweis kommt (2 Ob 21/11v).

3.2 Die in § 268 Abs 1 ABGB verwendeten Begriffe der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung sind Rechtsbegriffe, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert (1 Ob 125/07z; 2 Ob 21/11v; 5 Ob 178/11d).

3.3 Zwar genügt für die Fortsetzung des Verfahrens grundsätzlich schon die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters kommen kann (RIS‑Justiz RS0008542).

Es würde nämlich dem Zweck des eingeleiteten oder fortgesetzten Überprüfungsverfahrens widersprechen, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über vorliegende oder nicht vorliegende psychische Erkrankungen oder geistige Behinderungen sowie konkrete Gefährdungen verlangt würden (3 Ob 39/09w; 7 Ob 166/11d). Allerdings bedarf es wenigstens eines Mindestmaßes an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat, aus dem sich das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ableiten lässt (2 Ob 21/11v; 7 Ob 166/11d).

3.4 An einem solchen Mindestmaß an Tatsachensubstrat fehlt es hier:

3.4.1 Der Betroffene gesteht zwar selbst zu, seit Jahren an einer manisch‑depressiven Erkrankung, somit an einer psychischen Erkrankung ( Barth/Ganner , Handbuch des Sachwalterrechts 2 [2010] 37; Kopetzki , Unterbringungsrecht II [1995] 492), zu leiden.

3.4.2 Eine psychische Erkrankung allein reicht allerdings zur Rechtfertigung der Besorgnis einer Selbstschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB nicht aus: Voraussetzung dafür wäre, dass die psychische Erkrankung mit einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung verbunden ist ( Barth/Ganner , Sachwalterrecht 39). Eine solche Beeinträchtigung hat der Betroffene in mehreren ausführlichen Eingaben und bei seiner Anhörung bestritten.

3.4.3 Zu diesem Thema fehlt es an Feststellungen des Erstgerichts. Das Erstgericht konnte bei seiner Entscheidung nicht einmal auf die Krankengeschichte des Betroffenen zurückgreifen, weil sich zwar die Diplomsozialarbeiterin in ihrer Sachwalterschaftsanregung auf den Befund des Allgemeinen Krankenhauses berief, dieser Befund aber niemals zum Akt genommen wurde. Auch sonst lag dem Erstgericht ‑ mit Ausnahme einer vom Betroffenen selbst vorgelegten Äußerung eines Facharztes, der eine Sachwalterschaftsbestellung derzeit für kontraindiziert hält ‑, keine substanziierte ärztliche Aussage vor, die einen Zusammenhang mit der unstrittig vorliegenden psychischen Erkrankung des Betroffenen und einer allfälligen Selbstschädigungsgefahr herstellen könnte.

3.4.4 Das Erstgericht hat vielmehr erkennbar die Notwendigkeit der Fortsetzung des Verfahrens einerseits auf die Sachwalterschaftsanregung durch die Diplomsozialarbeiterin und andererseits auf die ‑ mehrfach wiederholten ‑ Stellungnahmen der Gattin des Betroffenen gegründet.

Die Zusatzbegründung, der Betroffene habe bei seiner Anhörung über seine Vermögensverhältnisse nicht schlüssig Auskunft geben können, ist mangels jeglicher Begründung, worin diese behauptete Unschlüssigkeit bestehen soll, nicht tragfähig.

Den Angaben der Diplomsozialarbeiterin auch gegenüber der Mitarbeiterin des Vertretungsnetzes Sachwalterschaft ist lediglich zu entnehmen, dass der Betroffene Probleme mit der Arbeits‑ und Entgeltbestätigung (in Beziehung auf das Krankengeld) gehabt habe; sie habe den Eindruck, dass der Betroffene dringend einen Sachwalter für finanzielle Angelegenheiten benötige. Worauf dieser Eindruck konkret basiert, lässt sich auch dieser Stellungnahme der Diplomsozialarbeiterin nicht entnehmen.

Die Ehegattin des Betroffenen wiederum ist nach dessen eigenen Angaben deshalb nicht verlässlich, weil sie einerseits selbst an einer psychischen Erkrankung leiden soll und andererseits im Hinblick auf die Beziehungen des Betroffenen zu anderen Frauen bestrebt sei, den Betroffenen durch eine Sachwalterschaft „an sich zu binden“. Diese Behauptungen des Betroffenen sind weder durch den Akteninhalt noch durch konkrete Feststellungen des Erstgerichts be‑ oder widerlegt.

3.4.5 Dass der Betroffene in finanziellen Angelegenheiten eine gewisse Sorglosigkeit an den Tag legt und sich möglicherweise auch von seinen jeweiligen Sexualpartnerinnen finanziell ausnützen lässt ‑ was ebenfalls nicht feststeht ‑, reicht für sich allein betrachtet nicht aus, die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung vermuten zu lassen.

Dafür wäre erforderlich, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die finanzielle Gebarung des Betroffenen durch seine psychische Erkrankung bedingt ist und zu einer Selbstgefährdung führen kann:

In den Materialien zu dem durch BGBl 1983/136 eingefügten § 273 ABGB (nun: § 268 Abs 1 ABGB) wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass eine Sachwalterbestellung wegen Verschwendung ‑ anders als nach früherer Rechtslage ‑ nur insoweit in Betracht kommt, als sie Symptom einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Behinderung ist (ErlRV 742 BlgNR 15. GP 17 f).

Wer sich somit aufgrund seiner Lebensphilosophie aus materiellen Dingen nichts macht oder nach dem Prinzip des „carpe diem“ lebt und aus dieser Motivation sein Vermögen etwa an Frauen verschleudert, kann auch dann nicht unter Sachwalterschaft gestellt werden, wenn sein Auskommen dadurch gefährdet ist (vgl Binder , Privatrechtliche Aspekte der Spielsucht, ÖJZ 1998, 175 f zur Spielsucht; ebenso Barth/Ganner , Sachwalterrecht 43).

3.4.6 Weder der Umstand, dass der Betroffene an einer manisch‑depressiven Erkrankung leidet, noch der Umstand, dass er nach den Behauptungen seiner Gattin seine Frauenbekanntschaften finanziell unterstützt und sich von ihnen „ausnützen“ lässt, reicht daher für die Beurteilung der Notwendigkeit der Fortsetzung des Sachwalterschafts-verfahrens aus.

3.4.7 Dazu kommt, dass das Erstgericht auch keine Festellungen dazu traf, welche konkreten Handlungen des Betroffenen überhaupt die Vermutung der Möglichkeit einer Gefahr einer Selbstschädigung rechtfertigen: Die ‑ nicht näher begründete ‑ Auffassung des Erstgerichts, der Betroffene könne nicht „schlüssig“ über seine Vermögensverhältnisse Auskunft geben, ersetzt nicht konkrete Feststellungen darüber, ob der Beklagte, der nach seinen eigenen Angaben über eine Pension von 1.700 EUR netto monatlich und eine weitere Bruttopension von 240 EUR verfügt, bisher überhaupt Ausgaben tätigte, die seine finanzielle Lage gefährden könnten.

3.5 Das Erstgericht wird im über den Einstellungsantrag fortzusetzenden Verfahren, allenfalls nach dessen Ergänzung, etwa durch Beischaffung der Krankengeschichte, nachvollziehbar darzulegen haben, ob und welche konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die psychische Erkrankung des Betroffenen Ursache finanziell unüberlegter Handlungen ist. Sollten danach ausreichend Anhaltspunkte in diese Richtung bestehen, wird es weiterer Feststellungen dazu bedürfen, ob für bisherigen Verhaltensweisen des Betroffenen es nahelegen, dass die Gefahr einer Selbstschädigung iSd § 268 Abs 1 ABGB besteht.

Erst danach kann beurteilt werden, ob die Fortführung des Sachwalterschaftsbestellungsverfahrens durch Einholung eines medizinischen Gutachtens erforderlich ist (1 Ob 110/09x; 2 Ob 21/11v).

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