Spruch:
Im Verfahren AZ 21 U 192/09x des Bezirksgerichts Favoriten verletzen das Urteil dieses Gerichts vom 12. Mai 2011 (ON 37) und das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 6. Juli 2012, AZ 134 Bl 84/12i (ON 49), § 111 Abs 1 zweiter Fall StGB.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 12. Mai 2011, GZ 21 U 192/09x-37, wurde Ernst P***** von der Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, er habe „den Privatankläger als Geschäftsführer der W***** GmbH eines verwaltungsrechtlich strafbaren Verhaltens (§ 113 ASVG) bezichtigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, indem der Angeklagte den Privatankläger gegenüber der Wiener Gebietskrankenkasse in der Niederschrift vom 29. Juli 2009 beschuldigte, den Angeklagten und die Damen Inge C***** und Marianne S***** vom 13. November 2004 bis zum 1. Jänner 2005 am Weihnachts- und Silvesterstand der W***** GmbH in Wien, Ringstraßengalerien, ohne Anmeldung zur Pflichtversicherung (§ 33 ASVG) und somit 'als Aushilfskräfte schwarz beschäftigt' zu haben“.
Nach den Urteilsfeststellungen erhob Ernst P***** gegen den Privatankläger Andreas H***** wider besseres Wissen die vom Freispruch umfassten (unwahren) Verhaltensvorwürfe und bezichtigte ihn sohin eines verwaltungsrechtlich strafbaren Verhaltens (gemeint: nach § 111 Abs 1 Z 1 ASVG). Er nahm in Kauf und fand sich damit ab, dass der Privatankläger dadurch gegenüber einer dritten Person in der öffentlichen Meinung verächtlich gemacht oder herabgesetzt werden könnte (US 3, 14 f, 42 ff).
In rechtlicher Hinsicht führte die Einzelrichterin aus, dass die Behauptung, Arbeitnehmer ohne Anmeldung zur Sozialversicherung zu beschäftigen, den Vorwurf eines „in der Meinung der Umwelt nicht den sittlichen Forderungen entsprechendes Verhaltens“ darstelle, das geeignet sei, „den Täter in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen“, und das „der öffentlichen Meinung vom moralisch Richtigen in einem Maß zuwiderläuft, dass die Wertschätzung des Täters darunter leidet“. Jedoch erfülle „der Vorwurf eines verwaltungsrechtlich strafbaren Verhaltens nicht den Tatbestand des § 111 Abs 1 zweiter Fall StGB“. „Nur der Vorwurf gerichtlich strafbarer Handlungen“ sei „als unehrenhaftes Verhalten zu werten, wobei jedoch Ausnahmen bei Fahrlässigkeitsdelikten gemacht werden“ (US 46 f).
Die dagegen erhobene Berufung des Privatanklägers wegen Nichtigkeit wies das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 6. Juli 2012, AZ 134 Bl 84/12i (ON 49), zurück, seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gab es nicht Folge. Danach sei zwar bei der Beurteilung einer Äußerung als Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens eine differenzierte Betrachtung geboten und seien ‑ im Verhältnis zu im Allgemeinen nicht ausreichenden Verwaltungsübertretungen ‑ „massivere Gesetzwidrigkeiten wie zB Ehebruch, Prostitution, Rauschgiftkonsum etc“ in der Regel als unehrenhaft zu bewerten, fallbezogen sei diese Grenze „zum Vorwurf einer massiveren Gesetzwidrigkeit“ jedoch noch nicht überschritten worden (S 3 f des Berufungsurteils).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Bezirksgerichts Favoriten und des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Wird durch ein Verhalten nach durchschnittlicher Auffassung eines sozial integrierten wertbewussten Menschen (also nach herrschender Vorstellung vom moralisch Richtigen) die soziale Wertschätzung desjenigen empfindlich beeinträchtigt, der es (vermeintlich) gesetzt hat, so gilt es als unehrenhaft im Sinn des § 111 Abs 1 zweiter Fall erste Alternative StGB (RIS-Justiz RS0093181 [T4], RS0125318 [T2]; Kienapfel/Schroll BT I5 § 111 RN 20; Fabrizy, StGB10 § 111 Rz 8; Lambauer, SbgK § 111 Rz 25; Leukauf/Steininger Komm³ § 111 RN 8; Berka in: Berka/Heindl/Höhne/Noll, Mediengesetz³ § 6 Rz 12; Rami in WK² StGB § 111 Rz 11). Ist dadurch nach dem Durchschnittsempfinden eines sozial integrierten wertbewussten Menschen der allgemeine Anstand empfindlich verletzt, so verstößt es (auch oder allein) gegen die guten Sitten (§ 111 Abs 1 zweiter Fall zweite Alternative StGB; Kienapfel/Schroll BT I5 § 111 RN 22; Fabrizy, StGB10 § 111 Rz 8; Lambauer, SbgK, § 111 Rz 25; Leukauf/Steininger Komm³ § 111 RN 9). Nur in der zweitgenannten Variante setzt das Tatbild zusätzlich noch voraus, dass der Sittenverstoß geeignet ist, den Angegriffenen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (vgl dazu und zum unterschiedlichen Meinungsstand Leukauf/Steininger Komm³ § 111 RN 9; Kienapfel/Schroll BT I5 § 111 RN 20).
Bei Bewertung eines Verhaltens als unehrenhaft ist eine streng auf die Umstände des Einzelfalls abstellende differenzierende Betrachtung geboten. So gilt zwar die Begehung einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Vorsatztat als Inbegriff eines unehrenhaften Verhaltens (Kienapfel/Schroll, BT I5 § 111 RN 20; Lambauer, SbgK § 111 Rz 34), doch sind Fahrlässigkeitsdelikte und (bloße) Verwaltungsübertretungen nicht generell vom Tatbestand des § 111 Abs 1 zweiter Fall StGB ausgenommen (Lambauer, SbgK § 111 Rz 34 f; Mayerhofer, StGB6 § 111 E 5). Die gerichtliche Strafbarkeit wegen Begehung einer Vorsatztat stellt nämlich nur ein Richtmaß für die Bewertung eines Verhaltens als unehrenhaft dar, weil ‑ abhängig vom konkreten Verhaltensvorwurf ‑ potentiell jede Gesetzwidrigkeit als unehrenhaft gelten kann, sofern damit bei gebotener Zugrundelegung eines normativen Beurteilungsmaßstabs (RIS-Justiz RS0093181 [T5], RS0125318 [T3]) eine deutlich ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der sozialen Wertschätzung verbunden ist (vgl in diesem Sinn zur Tatbildlichkeit des Vorwurfs einer ehebrecherischen geschlechtlichen Beziehung ungeachtet der Straflosigkeit des Ehebruchs seit dem StRÄG 1996 RIS‑Justiz RS0125318; vgl erneut Rami in WK2 StGB § 111 Rz 11). So stellen etwa die Wiederholung des gesetzwidrigen Verhaltens über einen längeren Zeitraum, das Vorhandensein niederer Motive, die Ausnützung einer Vertrauensstellung, die Erlangung unberechtigter Vorteile (welcher Natur auch immer) oder das Herbeiführen einer erhöhten Gefahrenlage für fremde Rechtsgüter Umstände dar, die ein Verhalten als solcherart unehrenhaft erscheinen lassen können.
Vorliegend hat Ernst P***** dem Privatankläger vorgeworfen, entgegen einer zeitlich punktuellen Meldepflicht (§ 111 Abs 1 Z 1 iVm § 33 Abs 1 ASVG) die Anmeldung dreier Arbeitnehmer zur Sozialversicherung unterlassen und darüber hinaus diese Personen über einen Zeitraum von eineinhalb Monaten, somit während der gesamten Betriebsdauer des Weihnachts- und Silvesterstands, überhaupt „schwarz beschäftigt“ zu haben. Im Hinblick auf den damit verbundenen gesteigert sozialwidrigen Unrechtsgehalt des angelasteten Verhaltens wurde die soziale Wertschätzung des Privatanklägers empfindlich beeinträchtigt (vgl auch S 46 dritter Absatz des Ersturteils). Die inkriminierten Äußerungen sind daher als Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens (§ 111 Abs 1 zweiter Fall erste Alternative StGB) zu beurteilen.
Nach den weiteren Feststellungen hat sich darauf im Übrigen (hinreichend deutlich) auch der (bedingte) Vorsatz des Ernst P***** bezogen, der demnach die Eignung seiner Äußerungen, den Privatankläger in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat (US 15, 42 f).
Damit ergeben sich folgende Gesetzesverletzungen:
Bereits die Beschuldigung eines sittenwidrigen Verhaltens verwirklicht bei Vorliegen dessen Eignung, den Betreffenden in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, das Tatbild des als alternatives Mischdelikt (vgl Rami in WK² StGB § 111 Rz 3; Lambauer, SbgK § 111 Rz 14; Leukauf/Steininger Komm³ § 111 RN 6) angelegten § 111 Abs 1 zweiter Fall (zweite Alternative) StGB. Indem das Erstgericht trotz Annahme eines solchen Verhaltensvorwurfs (vgl US 46 zweiter und dritter Absatz) den objektiven Tatbestand des § 111 Abs 1 zweiter Fall StGB wegen (vermeintlicher) Nichtverwirklichung des § 111 Abs 1 zweiter Fall erste Alternative StGB verneinte, verletzte es das Gesetz in dieser Bestimmung.
Trotz der Annahme einer durch die Anschuldigungen (potentiell) erheblich beeinträchtigten sozialen Wertschätzung des Privatanklägers (US 46 dritter Absatz) beurteilte das Erstgericht das diesem vorgeworfene Verhalten mit dem Hinweis auf dessen bloß verwaltungsstrafrechtliche Relevanz als nicht unehrenhaft. Wie die vorstehenden Ausführungen jedoch zeigen, stellen sich die Äußerungen des Ernst P***** recht besehen sehr wohl als Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens dar, sodass das Erstgericht auch unter diesem Gesichtspunkt das Tatbild des § 111 Abs 1 zweiter Fall StGB zu Unrecht verneint hat.
Dieser Rechtsfehler ist auch dem Berufungsgericht unterlaufen, das die auf § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Berufung wegen Nichtigkeit trotz der zutreffenden Behauptung des Privatanklägers, die inkriminierten Äußerungen seien als Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens zu werten und der Tatbestand des § 111 Abs 1 zweiter Fall StGB sei auf Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen (vgl US 3 f und 14 f) in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt (US 42 f), als „unbegründet zurückgewiesen“ hat.
Da sich diese Gesetzesverletzungen nicht zum Nachteil des Ernst P***** ausgewirkt haben, waren sie bloß festzustellen (§ 292 letzter Satz StPO).
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