OGH 10Ob20/13h

OGH10Ob20/13h28.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj S*****, geboren am *****, vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt Linz als Jugendwohlfahrtsträger (Amt für für Soziales, Jugend und Familie, 4041 Linz, Neues Rathaus, Hauptstraße 1-5), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 3. Jänner 2013, GZ 15 R 469/12i‑152, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 26. September 2012, GZ 6 PU 138/09p‑144, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Der derzeit 13‑jährige S***** lebt im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter. Nach der Aktenlage besteht bei S***** ein deutlich generalisierter Entwicklungsrückstand bei schwerer mentaler Retardation, cerebralen Krampfanfällen und einer hochgradigen Sehbehinderung. Im Jahr 2011 lag sein Entwicklungsstand bei dem eines zwischen 13 und 20 Monate alten Kindes (AS 337).

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 16. 11. 2009, GZ 6 PU 138/09p-60, wurde die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters für S***** ab 1. 9. 2009 mit 320 EUR festgesetzt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. 11. 2010, GZ 6 PU 138/09p‑73, wurde der Vater verpflichtet, zusätzlich zum laufenden monatlichen Unterhalt ab 1. 2. 2006 einen monatlichen Sonderbedarfsbetrag in Höhe von 287 EUR zu Handen der Mutter zu bezahlen. Aus der Begründung dieser Entscheidung ergibt sich, dass im Hinblick auf die dauernde schwere Behinderung, die die Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 7 bedingt, davon auszugehen ist, dass der im Jahr 2008 gegebene Sonderbedarf (ua für Therapien und Behandlungen) auch in den folgenden Jahren in etwa gleichbleibender Höhe bestehen wird.

Mit Beschluss vom 26. 8. 2011, GZ 6 PU 138/09p‑98, bewilligte das Erstgericht antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 320 EUR für den Zeitraum August 2011 bis Juli 2016.

Mit Schreiben vom 24. 9. 2012 beantragte der Minderjährige unter Hinweis auf den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. 11. 2010, ihm zusätzlich zu den Unterhaltsvorschüssen von 320 EUR monatlich Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von weiteren 287 EUR monatlich zu gewähren.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Rechtlich ging es davon aus, dass Sonderbedarf einer Bevorschussung nicht zugänglich sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen Folge. Es änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass der dem Minderjährigen mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 26. 8. 2011 für den Zeitraum 1. 8. 2011 bis 31. 7. 2016 gewährte monatliche Unterhaltsvorschuss von 320 EUR ab 1. 9. 2012 auf monatlich 607 EUR erhöht wird. Höchstgrenze bleibe der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß den §§ 293 Abs 1 Buchstabe c bb 1. Fall, § 108f ASVG, das sind im Jahr 2012 532,56 EUR und im Jahr 2013 547,47 EUR. Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass nur die nicht mehr fließenden, laufenden Geldunterhaltsleistungen in Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs einer Bevorschussung zugänglich seien, nicht aber Geldunterhaltsrückstände, andere Ansprüche, die aus dem Unterhaltsbegriff ableitbar seien, über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch hinausgehende Leistungen sowie andere wegfallende Leistungen des Unterhaltspflichtigen, wie etwa Betreuung und Erziehung. Unterhaltsvorschüsse für einmalige Aufwendungen, welche bereits bezahlt wurden und Unterhaltsrückstände darstellten, könnten demnach nicht gewährt werden. Im vorliegenden Fall stehe aber fest, dass der Minderjährige aufgrund seiner Behinderung insgesamt einen höheren gesetzlichen monatlichen Unterhaltsanspruch habe, als andere (gesunde) Kinder seiner Altersgruppe. Da sich die Entscheidungen des Erstgerichts über die Unterhaltshöhe im Rahmen des in § 140 ABGB normierten (gesetzlichen) Unterhaltsanspruchs hielten, seien die pflegebedingten Mehraufwendungen als laufender Unterhalt iSd § 3 UVG zu verstehen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob Unterhaltsvorschüsse auch für laufenden Sonderbedarf gewährt werden könnten, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber vertritt den Rechtsstandpunkt, auch wenn dies aus dem Wortlaut des UVG nicht hervorgehe, sei weder einmaliger noch laufender Sonderbedarf bevorschussungsfähig.

Dazu ist auszuführen:

1. Der Unterhalt dient der Deckung des gesamten Lebensbedarfs, den jedes Kind bestimmten Alters hat, vor allem von Nahrung, Kleidung, Wohnung, Unterricht und Erziehung, aber auch zur Abdeckung weiterer Bedürfnisse zB in kultureller und sportlicher Hinsicht, für Freizeitgestaltung, medizinische Versorgung etc („Regelbedarf“). Über den Regelbedarf hinaus kann ein Kind Sonder‑ oder Individualbedarf haben, also jenen Bedarf, der sich aus der Berücksichtigung beim Regelbedarf bewusst außer Acht gelassener Umstände des Einzelfalls ergibt (RIS-Justiz RS0109908; RS0117791). Sonderbedarf wird jeweils durch Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt (RIS-Justiz RS0047539); er fällt also nicht für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder mit weitgehender Regelmäßigkeit an. Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und der Persönlichkeitsentwicklung sowie Ausbildungskosten. Ob Sonderbedarf zu decken ist, hängt davon ab, ob dies dem Unterhaltspflichtigen angesichts dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist und überdies davon, ob der Sonderbedarf nicht durch Sozialleistungen von dritter Seite gedeckt ist. So dient etwa der einem Kind monatlich zukommende Betrag an Pflegegeld dem Einkauf der gegenüber einem nicht behinderten Kind erhöhten Pflege- und Betreuungsleistungen durch Drittpflege und/oder die eigene Mutter. Ein behinderungsbedingter Sachaufwand wird hingegen durch das Pflegegeld nicht abgedeckt (10 Ob 17/12s mwN).

1.1. Wird das Kind von einem Elternteil im eigenen Haushalt betreut, so hat dieser nach § 231 Abs 2 ABGB idF des KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15 (zuvor § 140 Abs 2 ABGB) nur für den zum Betreuungsbereich gehörenden Sonderbedarf naturaliter oder allenfalls durch Geld aufzukommen, während der übrige Sonderbedarf allein den geldunterhaltspflichtigen Elternteil belastet (10 Ob 17/12s; 1 Ob 150/08b; Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 6 105 f), es sei denn, der geldunterhaltspflichtige Elternteil ist an der Leistungsfähigkeitsgrenze angelangt.

1.2. Sonderbedarf kann in Form einer einmaligen Zahlung zusätzlich zu den laufenden Unterhaltsbeiträgen zugesprochen werden, etwa für einmalig aufgelaufene Therapiekosten (zB in 3 Ob 190/12f).

1.3. Bei regelmäßig jeden Monat anfallendem Sonderbedarf ‑ beispielsweise für allergiebedingten Sonderaufwand und Sonderbedarf für die auswärtige Wohnversorgung ‑ ist es nach der neueren Rechtsprechung aber auch auch zulässig, einen erhöhten monatlichen ‑ somit laufenden ‑ Unterhaltsbetrag für Sonderbedarf festzusetzen. Der Unterhaltsbeitrag ist nämlich nicht in Leistungen zur Befriedigung des „sonstigen“ Unterhaltsbedarfs und des (zweckgebundenen) Unterhaltsbedarfs aufzusplitten, dient doch die Gesamtleistung an Unterhalt der Abdeckung aller unterschiedlicher Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten (7 Ob 163/09k; 5 Ob 116/09h; 10 Ob 150/08b; 2 Ob 224/08t; Neuhauser in Schwimann , ABGB‑TaKom 2 § 140 Rz 57).

2.1. Zur Frage, ob Unterhaltsvorschuss auch für Sonderbedarf zu gewähren ist, vertritt Neumayr die Ansicht, auch wenn dies aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig hervorgehe, sei Sonderbedarf einer Bevorschussung nicht zugänglich. Dies ergebe sich aus § 3 Z 2 ABGB, der auf die laufenden Zahlungen abstelle ( Neumayr in Schwimann/Kodek 4 , § 1 UVG Rz 5). Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass sich die Aussage Neumayrs lediglich auf den üblichen Sonderbedarf bezieht, der in Form einer einmaligen Zahlung zusätzlich zu den laufenden Unterhaltsbeiträgen zu leisten ist.

2.2.1. Rechtsprechung zur Frage, ob Sonderbedarf einer Bevorschussung zugänglich ist, besteht nur von zweitinstanzlichen Gerichten. Das Landesgericht Salzburg führt in seiner Entscheidung vom 16. 2. 2000, AZ 21 R 334/99k = EFSlg 94.049 unter Hinweis auf Knoll , Komm zum UVG Rz 8 zu § 1 aus, aus der Gesamtschau des Gesetzes (vgl insbesondere § 3 Z 2, §§ 6 f, § 13 Abs 1 Z 1, § 24 UVG) ergebe sich die Einschränkung, dass der Unterhalt dann zu bevorschussen sei „soweit er in Form einer (monatlichen) Geldrente zu bezahlen ist“. Bevorschussungsfähig seien daher in jedem Fall nur die nicht mehr fließenden, laufenden Geldunterhaltsleistungen in Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs, nicht aber Geldunterhaltsrückstände oder andere Ansprüche, die aus dem Unterhaltsbegriff ableitbar sind und über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch hinausgingen. Ebensowenig sei Sonderbedarf einer Bevorschussung zugänglich.

2.2.2. Gegenstand der Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2. 9. 2002, AZ 45 R 208/02t (= EFSlg 101.292, dort mit 45 R 508/02t zitiert) war die Frage, ob ein laufender monatlicher Kindergartenbeitrag als Sonderbedarf einer Bevorschussung zugänglich ist. Dies wurde mit der Begründung verneint, dass die vom Vater im Scheidungsvergleich eingegangene monatliche Unterhaltsverpflichtung von 8.500 S (in der als Sonderbedarf 3.240 S an Kindergartenbeitrag enthalten waren) im Hinblick auf die (geringe) Einkommenshöhe des Vaters den nach § 140 ABGB gegebenen gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Kindes jedenfalls bei weitem übersteige, weshalb dahingestellt bleiben könne, ob es sich bei dem Kindergartenbeitrag überhaupt um Sonderbedarf handle.

2.2.3 Auch nach einer weiteren Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. 6. 1993, AZ 44 R 288/93, EFSlg 72.480, ist eine über den gesetzlichen Unterhalt hinausgehende Leistung nicht zu bevorschussen.

3. Wenngleich im vorliegenden Fall zwei getrennte Unterhaltsbeschlüsse gegeben sind, dienen beide Beschlüsse zusammen der Festsetzung des in § 231 ABGB idF des KindNamRÄG 2013 BGBl I 2013/15 normierten ( gesetzlichen ) Unterhaltsanspruchs, der im Hinblick auf die Behinderung des Minderjährigen über den Regelbedarf gesunder Kinder der gleichen Altersgruppe hinausgeht (siehe Gitschthaler , Unterhaltsrecht 2 Rz 271) und auch Sonderbedarf umfasst, wobei weder die Qualifikation als Sonderbedarf noch die entsprechende Leistungsfähigkeit des Vaters im Revisionsrekurs in Frage gestellt wird. Infolge der Art der Behinderung ist hier ein Sonderbedarf nicht einmalig, sondern laufend in etwa gleichbleibender Höhe gegeben, sodass es an sich auch möglich gewesen wäre, ihn in einem einzigen Beschluss durch Zuspruch eines erhöhten monatlichen Unterhaltsbeitrags zu berücksichtigen. Es handelt sich somit um einen in Form einer monatlichen Geldrente zu bezahlenden Unterhaltsanspruch des allein geldunterhaltspflichtigen Elternteils, dessen Haushalt das Kind nicht angehört.

Wenngleich ein einmalig gegebener und abzugeltender Sonderbedarf einer Bevorschussung nicht zugänglich sein mag, ist demnach kein Grund ersichtlich, einen in Form eines laufenden monatlichen Unterhaltsbeitrags zugesprochenen gesetzlichen Unterhaltsanspruch, der Sonderbedarf darstellt oder mitumfasst, nicht als „laufenden Unterhaltsbeitrag“ iSd § 3 Z 2 UVG anzusehen.

Der Revisionsrekurs bleibt daher erfolglos.

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