OGH 13Os30/13f

OGH13Os30/13f16.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wancata als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Johann R***** und einen anderen Angeklagten wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Johann R***** und Boris C***** und der Finanzstrafbehörde sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Juni 2012, GZ 124 Hv 16/11y-96, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die nicht durch die (ganz erfolglose) Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde verursachten Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Johann R***** und Boris C***** jeweils (richtig) mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben nach §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 schuldig erkannt.

Danach haben sie vom 22. Juni 2007 bis zum 11. Oktober 2007 im Zuständigkeitsbereich des Zollamtes Wien im einverständlichen Zusammenwirken gewerbsmäßig vorsätzlich unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten in 58 Angriffen eine Verkürzung an Zoll und Einfuhrumsatzsteuer um insgesamt rund 406.000 Euro bewirkt, indem sie beim Import von Waren aus Asien im Zuge der Zollanmeldung gefälschte, den Warenwert zu niedrig ausweisende Fakturen vorlegten.

Unter einem wurde Boris C***** vom Vorwurf, er habe vom 9. März 2007 bis zum 13. Juni 2007 im Bereich des Zollamtes Wien im einverständlichen Zusammenwirken mit zwei abgesondert verfolgten Mittätern gewerbsmäßig vorsätzlich unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten eine Verkürzung von Eingangsabgaben um etwa 3,8 Mio Euro bewirkt, indem er beim Import von Waren aus Asien anlässlich der Zollanmeldung gefälschte, den Warenwert zu niedrig ausweisende Fakturen vorlegte, freigesprochen.

Die Angeklagten bekämpfen ihre Schuldsprüche mit Nichtigkeitsbeschwerden, wobei sich beide auf den Grund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO stützen, Boris C***** überdies auf die Gründe der Z 5, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO. Die Finanzstrafbehörde wendet sich aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO gegen den Freispruch des Boris C*****.

Alle drei Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Johann R*****:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht den Antrag auf „Einholung eines Sachverständigen-Gutachten zum Beweis dafür, dass die Wertberechnung welche der behaupteten Abgabenhinterziehung zu Grunde gelegt wurde, unrichtig ist und nicht zu den behaupteten Deliktszeitpunkt geltenden Bemessungsrichtlinien entsprochen hat“ (ON 95 S 19), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (ON 95 S 21):

Die Tatrichter stützen ihre Feststellungen zum (mit diesem Beweisantrag ersichtlich angesprochenen) strafbestimmenden Wertbetrag - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die diesbezügliche Fundstelle in den Akten - auf die Ergebnisse des zollbehördlichen Verfahrens (US 25 f). Nach ständiger Judikatur kommt einem Abgabenbescheid als dem Resultat eines fachspezifischen Ermittlungsverfahrens die Bedeutung einer qualifizierten Vorprüfung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des im jeweiligen Finanzstrafverfahren aktuellen Finanzvergehens zu (RIS-Justiz RS0087030). Strebt eine Prozesspartei die Überprüfung des Abgabenbescheids durch einen Sachverständigen an, muss sie demgemäß im darauf zielenden Antrag aus konkreten Details der Tatsachengrundlage des Bescheids im Beweisverfahren unausgeräumt gebliebene Mängel ableiten (Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 6), welchem Erfordernis der gegenständliche Beweisantrag nicht einmal ansatzweise gerecht wird.

Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.

Der Beschwerde (insoweit der Sache nach Z 5) zuwider ist der Schluss vom objektiven Tatgeschehen auf die subjektive Tatseite unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden, vielmehr bei (wie hier) leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452).

Die Feststellungen zum Tatplan, welche die Tatrichter insoweit ausdrücklich als Teil der Begründungsbasis heranziehen, finden sich auf den US 9 und 10, die diesbezüglichen beweiswürdigenden Überlegungen auf den US 21 und 22.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Boris C*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich ausschließlich auf den Antrag des Johann R***** auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, dem sich der Beschwerdeführer angeschlossen hat (ON 95 S 21). Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde jenes Angeklagten verwiesen.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5, teilweise iVm Z 11 erster Fall) sind die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer Marjana K***** veranlasste, das Einzelunternehmen „Handelsagentur P*****“ zu gründen, mit Marjana K***** vereinbarte, dass er (der Beschwerdeführer) die Handelsagentur P***** nach außen hin vertrete und er sodann (tatplangemäß) im einverständlichen Zusammenwirken mit Johann R***** über dieses Unternehmen die den Schuldsprüchen zu Grunde liegenden Importe abwickelte (US 10 f), weder undeutlich (Z 5 erster Fall) noch in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall).

Die - unter Bezugnahme auf konkrete Aktenteile vorgenommene (US 4, 7, 12, 13 und 26) - Ableitung der Feststellungen zum strafbestimmenden Wertbetrag aus den Ergebnissen des Abgabenverfahrens widerspricht weder den Gesetzen logischen Denkens noch grundlegenden Erfahrungssätzen. In der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO), die den diesbezüglichen Urteilserwägungen entgegenstehen, werden nicht aufgezeigt, sodass diese weder unter dem Aspekt der Vollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) noch unter jenem der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) zu beanstanden sind (Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 5). Der Umstand, dass der Warenwert hier durch abgabenbehördliche Schätzung (§ 184 BAO) ermittelt worden ist (diesbezüglich nominell verfehlt Z 9 lit a), vermag hieran nichts zu ändern, weil die dargelegten prozessualen Grundsätze hinsichtlich aller Arten abgabenbehördlicher Grundlagenermittlung (§§ 161 ff BAO) gelten (vgl 13 Os 15/10w, EvBl 2010/91, 609 sowie RIS-Justiz RS0114105).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell verfehlt auch Z 11), die aus der Prämisse der Überführung der gegenständlichen Waren in den zollrechtlich freien Verkehr mit unmittelbar anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung die Abgabenfreiheit der den Schuldsprüchen zu Grunde liegenden Importe abzuleiten trachtet, entfernt sich von den Urteilsfeststellungen (siehe insbesonders US 15 f) und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581).

Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass die Beschwerde ihre diesbezügliche Argumentation aus der seit 1. Jänner 2011 geltenden (umsatzsteuergesetzlichen) Rechtslage entwickelt, wogegen im Finanzstrafverfahren die abgabenrechtlichen Normen in der zur Tatzeit (hier Juni 2007 bis Oktober 2007) gültigen Fassung als Beurteilungsbasis heranzuziehen sind (Lässig in WK² FinStrG § 4 Rz 5).

Mit dem Einwand, das Ergebnis der vom Erstgericht - § 19 Abs 5 FinStrG entsprechend vorgenommenen (US 35 f) - Verhältnismäßigkeitsprüfung sei unrichtig, wird bloß ein Berufungsvorbringen (§ 283 StPO) erstattet (RIS-Justiz RS0086609, RS0086615; Lässig in WK² FinStrG § 19 Rz 22).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde:

Mit dem Umstand, dass im Zuge einer Hausdurchsuchung beim Angeklagten Boris C***** Unterlagen und Datenträger sichergestellt worden sind, die als Indizien für eine Beteiligung dieses Angeklagten auch an den vom Freispruch umfassten Handlungen gewertet werden könnten, hat sich das Erstgericht sehr wohl auseinandergesetzt (US 29 f). Eine darüber hinausgehende Erörterung sämtlicher Details der diesbezüglichen Verfahrensergebnisse ist - der Mängelrüge (Z 5) zuwider - aus dem Blickwinkel der Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht erforderlich, sie würde vielmehr dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zuwiderlaufen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428).

Indem die Beschwerde aus den angesprochenen Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen ihrem Prozessstandpunkt entsprechende Schlüsse ableitet, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Der Rüge zuwider stellt das Erstgericht keineswegs fest, dass Boris C***** hinsichtlich der vom Freispruch umfassten Handlungen „als Bote eingesetzt worden“ sei. Die insoweit zitierte Urteilspassage gibt bloß einen Teil der Verantwortung des Angeklagten Johann R***** wieder (US 29).

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass selbst eine tatsächlich in diese Richtung getroffene Urteilsfeststellung keineswegs im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zum bekämpften Freispruch stünde.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei ergänzt:

Da die Deliktsstruktur des § 35 Abs 2 FinStrG jener des § 33 Abs 1 FinStrG gleicht, ist auch der diesbezügliche finanzstrafrechtliche Tatbegriff entsprechend gestaltet. Bewirkt - wie hier - der Anmelder (Art 4 Z 18 ZK) durch wahrheitswidrige Angaben in der Zollanmeldung (Art 4 Z 17 ZK) eine Verkürzung an Eingangsabgaben, so ist die Abgabe dieser (unrichtigen) Zollanmeldung (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) selbständige Tat im materiellen Sinn und solcherart kleinstes Sachverhaltselement (Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 11 und § 35 Rz 14 f). Demgemäß muss bei einem Schuldspruch nach § 35 Abs 2 FinStrG jede einzelne inkriminierte Zollanmeldung durch subsumtionstaugliche Feststellungen individualisiert werden, womit bei Tatmehrheit die bloß pauschale Konstatierung des gesamten strafbestimmenden Wertbetrags nicht hinreicht.

Fallbezogen wird in den Urteilsfeststellungen eine Aufgliederung des strafbestimmenden Wertbetrags nach Einzeltaten nicht ausdrücklich vorgenommen. Durch den (wiederholten) Verweis auf die diesbezüglichen Ergebnisse des Abgabenverfahrens (US 4, 12, 13, 26) wird aber der Wille der Tatrichter, die erforderlichen Konstatierungen zu treffen, gerade noch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, aus welchem Grund insoweit ein amtswegiges Vorgehen des Obersten Gerichtshofs nicht geboten ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19).

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Dieses wird zu beachten haben (Ratz, WK-StPO § 283 Rz 1), dass die angefochtene Entscheidung an - nicht geltend gemachter - Nichtigkeit aus Z 11 dritter Fall des § 281 Abs 1 StPO leidet, weil sie die Gewährung bedingter Strafnachsicht aus dem Grund fehlender Schuldeinsicht ablehnt (RIS-Justiz RS0090897 [T3]).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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