OGH 15Os42/13k

OGH15Os42/13k16.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wancata als Schriftführer im Verfahren zur Auslieferung des Frank S***** zur Strafvollstreckung, AZ 32 HR 418/12p des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 12. März 2013, AZ 22 Bs 90/13s (ON 36), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Frank S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Wiener Neustadt ist zu AZ 32 HR 418/12p gegen den deutschen Staatsangehörigen Frank S***** ein auf dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Münster, AZ 29 Js 424/02, basierendes Auslieferungsverfahren (§ 82 Abs 4 EU‑JZG) zur Strafvollstreckung an die Bundesrepublik Deutschland anhängig.

Die am 12. Oktober 2012 über den Genannten verhängte Auslieferungshaft (ON 8) wurde zuletzt ‑ über Antrag des Frank S*****, in dem er die angezogenen Haftgründe bestritt und zur Substituierung der Haft eine Kaution in der Höhe von 50.000 Euro anbot (ON 29) ‑ am 25. Februar 2013 (ausschließlich) wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 StPO fortgesetzt (ON 32). Das Gericht erachtete ‑ soweit hier von Relevanz ‑ im zuletzt genannten Beschluss die Haft durch die angebotene Kaution als nicht substituierbar, weil „mangels planwidriger Gesetzeslücke eine sinngemäße Anwendung der Bestimmungen über die Kaution (§ 180 Abs 1 StPO, auf den durch § 29 ARHG verwiesen wird, geht auf eine Haft zur Sicherung der Strafvollstreckung nicht ein) für den Fall einer Auslieferungshaft zur Sicherung der Strafvollstreckung nicht in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0118015; 13 Os 98/03)“ (ON 32 S 5).

Dagegen richtete sich die fristgerechte Beschwerde des Betroffenen, in der sowohl die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr als auch der Ausschluss einer Kaution kritisiert wurde (ON 34).

Das Oberlandesgericht Wien gab mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 12. März 2013, AZ 22 Bs 90/13s (ON 36), der Beschwerde nicht Folge und wiederholte ‑ soweit hier von Relevanz ‑ die Rechtsansicht des Erstgerichts zur Frage der Nicht‑Substituierbarkeit der Haft, weil die Bestimmung des § 180 Abs 1 StPO bei der Auslieferung zur Strafvollstreckung nicht anzuwenden sei.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die fristgerechte und zulässige (RIS‑Justiz RS0118056), die Unrichtigkeit der Rechtsansicht der Gerichte zur Frage der Anwendung des § 180 Abs 1 StPO in Auslieferungsverfahren zur Strafvollstreckung relevierende Beschwerde des Frank S*****, der Berechtigung zukommt.

Gemäß § 29 Abs 1 ARHG sind auf die Auslieferungshaft, soweit sich aus den Bestimmungen des ARHG nichts anderes ergibt, die Bestimmungen über die Untersuchungshaft sinngemäß anzuwenden.

Solcherart sind grundsätzlich auch die die Anwendung gelinderer Mittel zur Substituierbarkeit der Haft betreffenden Bestimmungen des § 173 Abs 5 StPO und demzufolge auch jene betreffend die Leistung einer Sicherheit nach § 180 StPO (§ 173 Abs 5 Z 8 StPO) sinngemäß anzuwenden. Dies gilt gleichermaßen für eine Auslieferungshaft wegen Strafverfolgung wie auch wegen Strafvollstreckung (vgl Göth‑Flemmich in WK2 ARHG § 29 Rz 6).

Die von den Gerichten argumentativ ins Treffen geführte Entscheidung 13 Os 98, 99/03 behandelte nicht ‑ wie in der erstinstanzlichen und der angefochtenen Entscheidung sowie verfehlt in RIS‑Justiz RS0118015 ausgeführt ‑ den prinzipiellen Ausschluss einer Kaution gemäß (nunmehr) § 180 Abs 1 erster Satzteil StPO für den Fall einer Auslieferungshaft zur Sicherung der Strafvollstreckung, sondern stellt lediglich klar, dass für eine ‑ in dem der damaligen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zugrundeliegenden Haftbeschluss angenommene ‑ obligatorische Substituierung der ausschließlich aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gerechtfertigten Haft (§ 180 Abs 1 zweiter Satzteil StPO) nicht die Summe der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen oder ‑strafreste maßgeblich ist.

Die Leistung einer Kaution nach § 180 StPO als gelinderes Mittel zur Substituierung der Haft kann daher ‑ gleich allen anderen im Gesetz angeführten gelinderen Mitteln ‑ zur Anwendung gelangen. Wie der Sache nach bereits zu 13 Os 98, 99/03 vertreten, kommt bei einer Auslieferungshaft zur Strafvollstreckung jedoch eine sinngemäße Anwendung des § 180 Abs 1 letzter Satzteil StPO (obligatorische Kaution) nicht in Betracht, weil nach dem Telos der Norm das Abstellen auf eine Strafdrohung nur im Fall der Haft zum Zweck der Strafverfolgung, nicht aber in jenem der Strafvollstreckung Platz greifen kann. Dies lässt sich auch aus § 11 Abs 2 ARHG ableiten, wonach die Zulässigkeit der Auslieferung zur Strafvollstreckung ‑ anders als jener zur Strafverfolgung (§ 11 Abs 1 ARHG) ‑ nicht von einer abstrakten Strafdrohung, sondern von der Höhe der noch zu vollstreckenden Strafe(n) oder Maßnahme(n) abhängt.

Frank S***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Dies erfordert zwar eine Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, nicht aber die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Dem Einzelrichter im Ermittlungsverfahren ist damit aufgetragen, unverzüglich von Amts wegen neuerlich über die Haft zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0112914).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 8 GRBG.

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